Round Table Personalberatung: Der Krise trotzen
30. Mai 2025 von Jan Schulte
Wirtschaftskrise, veränderte Kandidatenansprüche und KI stellen Personalberatungen vor neue Aufgaben. Wie sich die Branche anpasst und was das für Unternehmen heißt, diskutierten Expertinnen und Experten beim Round Table.
Es sind zweifelsohne unruhige Zeiten für viele Unternehmen in Deutschland. In zahlreichen Branchen läuft es derzeit nicht rund. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind eher vorsichtig, was neue Arbeitsverträge angeht. Was aber bedeutet das für die Personalberatungen, die Führungs- und hoch bezahlte Fachkräfte vermitteln? Schon diese Frage beim Round Table Personalberatung der Personalwirtschaft in Frankfurt machte deutlich, wie unterschiedlich die Situation von Nische zu Nische ist – auch innerhalb der Branche der Personalberatungen.
„Es finden derzeit mehr Menschen den Weg zu uns als jemals zuvor“, berichtet etwa Tilo Ferrari, Gründer und Geschäftsführer der Deutschen Interim. Seine Firma hat sich darauf spezialisiert, vor allem Führungskräfte zu vermitteln, die Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum unterstützen. Gerade Führungskräfte, die älter als 50 Jahre sind, interessierten sich für alternative Beschäftigungsmodelle. „Und dann überlegen sie, ob ein Interimjob etwas für sie ist“, so Ferrari. Doch auch wenn sich mehr Topkräfte bei der Deutschen Interim melden, ist das Geschäft deshalb nicht unbedingt leichter. „In und unmittelbar nach Corona wollten Firmen ihre vakanten Stellen unbedingt schnell besetzen, egal wie“, erinnert er sich. „Jetzt überlegen sie dreimal, ob ein externer Kandidat auf Zeit eingesetzt werden soll.“
Kandidatenschwemme: Fluch oder Segen?
Darüber, wie es der Wirtschaft insgesamt geht, haben Personalberatungen ein gutes Bild. „Wir haben eine fundamentale Krise in den Bereichen Automotive und Maschinenbau“, beschreibt Dr. Michael Faller, Vorstand der Baumann Unternehmensberatung, die Lage. Zudem sei die Zulieferindustrie der „Old Economy“ umfassend in Kurzarbeit. „Wir befinden uns in einer echten Strukturkrise.“ Dieses Mal sei es anders als zum Beispiel während Corona. Denn damals konnte man sicher sein, dass die Krise mit einem Impfstoff relativ bald vorbei ist. „Zu hohe Energie- und Lohnkosten sowie eine überbordende Regulatorik und Bürokratie lassen sich aber nicht ohne weiteres lösen.“ Personalberatungen, die im Bereich Führungspositionen unterwegs sind, spüren die Auswirkungen der Wirtschaftskrise laut Faller bisher aber nicht. „Wir begleiten Mandanten vor allem bei Nachfolgebesetzungen auf der ersten und zweiten Führungsebene“, sagt er. Insbesondere der Mittelstand habe sich lange nicht ausreichend mit dem Thema Nachfolge beschäftigt. Die Krisen führten aber dazu, dass mehr Kandidaten offen für einen Wechsel seien. „Das passiert schon allein durch Personalanpassungsmaßnahmen bei großen Automobilzulieferern“, so Faller. Viele Branchen könnten von einem erfahrenen Manager mit Erfahrungen in einem solchen Unternehmen profitieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Die angespannte Wirtschaftslage birgt für Personalberatungen Chancen.
- Es gibt derzeit viele Kandidaten auf dem Markt.
- Sowohl Firmen als Kandidaten werden immer anspruchsvoller.
- Wenn die Babyboomer in Rente gehen, bekommen Personalberatungen viel zu tun.
- KI kann Personalberatungen die Arbeit erleichtern, verschärft aber auch die Konkurrenz.
„Das Profil geht immer mehr in Richtung Führungskräfte, die einen digitalen Fußabdruck haben.„
Bina Brünjes, Branch Manager Frankfurt am Main, Hays
Die Krise in der Automobilindustrie und der energieintensiven Chemiebranche bewegt derzeit offenbar so einiges. „Abfindungen von 500 000 Euro und mehr sind aktuell keine Seltenheit“, sagt Dr. Thomas K. Heiden von Heiden Associates (Eigenschreibweise heiden associates). Und weil es häufig ältere Topmanager betrifft, die seitens der Unternehmen angesprochen werden, sei das ein großes Kandidatenpotenzial für das Interimsgeschäft. „Wenn ein 55-Jähriger jetzt solch eine Abfindung erhält, dann muss er für sich kalkulieren, ob und wie er es bis zur Rente schafft“, so Heiden. Die aktuelle Situation mache auch das Outplacement-Geschäft attraktiver. Unternehmen packten auf die Abfindungen noch 30 000 bis 40 000 Euro für eine Outplacement-Beratung obendrauf. „Viele Konzerne haben sich durch einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen ihre Handlungsspielräume drastisch eingeschränkt und durch ‚sozial verträgliche’ Abfindungspakete teuer erkauft.“
Die Wirtschaftskrise führt also dazu, dass viel zu vermittelndes Personal auf dem Markt ist. Viele Menschen würden sich selbst auf Stellen bewerben. Es klingt im ersten Moment so, als brauche es in dieser Phase Personalberatungen gar nicht, weder aus der Sicht von Unternehmen, noch aus der Sicht der Bewerberinnen und Bewerber. Doch weil es inzwischen so einfach geworden ist, sich digital zu bewerben, würden Unternehmen und Personalberatungen mit Bewerbungen förmlich überschwemmt, so Heiden. „Viele melden sich für Stellen, die offensichtlich nicht auf ihr Profil passen“, sagt er. Und genau das ist vielleicht eines der großen Argumente für Personalberatungen: Wer es schafft, die richtigen Kandidaten mit dem richtigen Unternehmen zu verbinden, der gewinnt Vertrauen und profitiert.
Bina Brünjes, die bei Hays für Legal verantwortlich sowie Standortleiterin Frankfurt mit Schwerpunkt Festanstellung ist, wies auf zwei weitere Branchen hin, wo derzeit viel Bewegung herrscht: die Pharma- und die Legal-Branche. „Dort wird gerade ganz aktiv nach Führungs- und Fachkräften gesucht“, berichtet Brünjes. Im Legal-Bereich würden derzeit vor allem die Fachkräfte gesucht, die sich mit Rezessionen auskennen. „Das sind dann vor allem solche mit Schwerpunkt Insolvenz- und Arbeitsrecht.“ Je komplexer die Krise, desto größer die Unsicherheit – wobei es diesmal aber keine Schockstarre, sondern viel Bewegung auf dem Kandidatenmarkt gebe.
Info zum Round Table
Für ausgewählte aktuelle Themen lädt die Personalwirtschaft Expertinnen und Experten zu einem Round Table ein, um mit ihnen über Trends und aktuelle Entwicklungen zu diskutieren. Die Expertenrunden zum BGM wurde von Matthias Schmidt-Stein, Redaktionsleiter der Personalwirtschaft, und Erwin Stickling, Herausgeber der Personalwirtschaft, moderiert.
Berichte zu unseren Round Tables finden Sie auf unserer Übersichtsseite.
„Härte müssen nicht immer nur alte weiße Männer zeigen.“
Tilo Ferrari, CEO, Deutsche Interim
Unterschiede zwischen Mittelstand und Dax
Das spürt auch Sascha Gerland von der Personalberatung Xellento Executive Search, die sich mit ihrem Tochterunternehmen Board Xperts auf die Vermittlung von Aufsichts- und Beiräten spezialisiert hat. „Wir erhalten wöchentlich 50 Bewerbungen“, berichtet er. Die müsse man dann erstmal sortieren. „Im Moment ist der Markt ein brutaler Kundenmarkt. Unternehmen bekommen für ihre Non-Executive-Gremien Topkandidaten und -Kandidatinnen selbst für eine übersichtliche Vergütung.“
Die Welt der Aufsichtsräte sei gerade im Mittelstand vielschichtig. „Der innovative Mittelstand ist der Teil des Eisberges, der aus dem Meer herausschaut“, beschreibt es Gerland. Im großen Teil darunter gebe es noch viel Potenzial, Gremien zu professionalisieren. „Da trifft sich der Aufsichtsrat viermal im Jahr und beschwert sich, dass der Fisch beim Abendessen nicht so gut war.“ Klassischerweise würden dort sehr alte weiße Männer sitzen, die von Haus aus häufig Steuerberater, Wirtschaftsberater oder Juristen seien. Die gute Nachricht für Personalberatungen sei in diesem speziellen Segment aber: „Der Eisberg hat Auftrieb.“ Es kommt aktuell also zu einem Personalwechsel in den Aufsichtsräten der Mittelständler. „Es wird auch jünger und weiblicher“, berichtet Gerland. Bei Firmen, die im M-Dax oder Dax gelistet sind, herrsche mit einer Frauenquote von rund 40 Prozent fast Parität in den Aufsichtsräten. Gerland sieht es als Aufgabe von Personalberatungen für Aufsichtsräte an, die Mittelständler genau zu beraten. „Gesellschafter müssen sich fragen, wo 60 000 Euro besser investiert sind: in einen Mitarbeiter auf unterer Ebene oder lieber in einen Beirat, der Erfahrung darin hat, eine Firma zu sanieren oder durch eine Transformation zu führen.“ Dies und Digitalisierung seien Kernkompetenzen, die Aufsichtsräte mitbringen müssen. Im Gegensatz dazu sei Nachhaltigkeitsexpertise nur eine Komplementärkompetenz, zumindest bei den kleineren Unternehmen, die häufig nur einen dreiköpfigen Beirat hätten.
Zumindest nach Meinung einiger Diskussionsteilnehmer sei die Anpassungsfähigkeit von Topmanagern und Aufsichtsräten nun entscheidender. „Aktuell sind vor allem Situationsspezialisten gefragt“, sagt Tilo Ferrari. „Firmen suchen Personal, das ihnen hilft, ein ganz bestimmtes Ziel zu erreichen.“ Für Führungskräfte sei es daher oft nicht ein Job, für den sie geholt werden, sondern eine bestimmte Mission. „Der Executive-Markt wird damit agiler, aber auch volatiler“, so Ferrari.
Dem stimmt Caroline Gellrich von der Page Group zu. „Ich habe das Gefühl, dass sich der Stellenwert der Erfahrung verschiebt“, beschreibt sie es. Es ginge nun mehr darum, wie schnell man sich etwas Neues aneignen kann, Kompetenzen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) etwa. „Es geht also immer stärker um adaptive Spezialisierung“, fasst Gellrich es zusammen.
„Die Suchen werden richtigerweise immer dezidierter und anspruchsvoller.“
Dr. Michael Faller, Vorstand Baumann Unternehmensberatung
Michael Faller pocht indes auf den Wert der Erfahrung. „Wenn ich in meinem Unternehmen eine große Transformation plane, dann suche ich jemanden, der darin schon Erfahrung hat“, sagt er. Eine gute Personalberatung wisse genau, welche Kandidaten solche Transformationen schon erfolgreich durchgeführt haben. „Das genaue Verständnis des Kunden und seiner Lage sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Suche“, betont Faller. In Transformationen brauche es zudem Persönlichkeiten, die auf der einen Seite strategisch denken, auf der anderen Seite aber auch Umsetzungserfahrung und -kompetenz mitbringen. „Die Suchen werden richtigerweise immer dezidierter und anspruchsvoller“, so Faller. Und deshalb müssten Personalberatungen auch ihre Kandidaten richtig gut kennen.
Thomas K. Heiden von Heiden Associates beschreibt den Prozess, bis es zu einem Vertrag zwischen Unternehmen und Kandidaten kommt, anhand von mehreren Phasen. „Der Fit ist selten 100 Prozent“, stellt er gleich zu Beginn klar. So sollte er einmal einen Geschäftsführer suchen, der auf keinen Fall ein Betriebswirt sein durfte. „Unser Mandant wollte unbedingt einen Ingenieur“, so Heiden. Mit Hilfe von Linkedin und seinem Netzwerk suchte er nach Kandidaten, die zu den Anforderungen passten. Es stellte sich heraus: Neben den Ingenieuren kamen auch technisch orientierte Betriebswirtschaftler in Betracht. „Unter den fünf Top-Kandidaten, die wir unserem Mandanten vorgestellt haben, waren auch zwei Betriebswirte, von denen einer final die Zusage erhielt“, so Heiden. „Unser Kunde schätzt gerade an unserer Arbeit, dass wir vor dem Executive Search eine Organisationsberatung durchgeführt haben, um aus den zukünftigen Herausforderungen das Stellenprofil sauber abzuleiten“, sagt Heiden.
„Viele Firmen rekrutieren noch sehr altmodisch“, stellt Gellrich fest. „Sie wollen einfach hinter möglichst viele Anforderungen, die sie vorher definiert haben, ein Häkchen setzen.“ Nur, wo sei da wirklich der Wert? „Wir müssen Kunden überzeugen, dass das der falsche Weg ist.“ Skill-based Hiring sei viel sinnvoller. Deshalb werde die Beratung, wie im beschriebenen Fall von Thomas K. Heiden, immer wichtiger.
Man müsse nach Kunden unterscheiden, differenziert Michael Faller. Im Mittelstand gebe es ein starkes Bedürfnis nach einer ganzheitlichen Begleitung des Such- und Auswahlprozesses. „Hier steht neben der Suche insbesondere die Beratung und Begleitung des Kunden im Mittelpunkt.“ Demgegenüber seien Suchmandate bei Konzernen arbeitsteiliger. „Große Unternehmen suchen vor allem unser professionelles Screening und die gezielte Ansprache des Kandidatenmarktes sowie den Zugang zu unseren persönlichen Netzwerken.“ Heiden benennt zwei Vorteile, wenn es um die Zusammenarbeit mit Mittelständlern geht: „Sie sind risikofreudiger, und vor allem treffen sie auch Entscheidungen.“ Noch deutlicher wird Tilo Ferrari von der Deutschen Interim: „Große Firmen wollen mit großen Firmen zusammenarbeiten.“ Er mache jedoch einen großen Bogen um solche Kunden, weil sie sich manchmal selbst im Weg stünden.
Es braucht auch mal harte Worte
Etwas uneins ist sich die Runde, welcher Typ als Führungskraft gerade am ehesten verlangt wird: der empathische Manager – oder doch lieber einer, der mit harter Hand regiert? „Empathie wird immer wichtiger für Führungskräfte, erst recht, wenn der Mitarbeiterstand jünger wird“, findet Sascha Gerland von Xellento. Besonders die Generationen Y und Z wollten solche Führungskräfte. Im Rahmen einer Transformation sei Empathie entscheidend, auch wenn manchmal harte Entscheidungen getroffen werden müssten. Auch Authentizität sei da superwichtig, ergänzt Gellrich von der Page Group.
Tilo Ferrari berichtet auch von Unternehmen, die zuweilen einen härteren Ton pflegten. „So sagte ein Kunde: ‚Ich brauche das Arschloch, das einfach mal durchzieht‘,“ argumentiert er. Eine professionelle Härte gehöre da einfach dazu. Gerland kann sich das nur für einen kurzen Zeitraum vorstellen. „So ein Manager geht dann nach drei Jahren wieder, wenn er einmal aufgeräumt hat. Danach braucht es eine langfristig ausgerichtete Führungskraft“, so der Personalberater von Xellento.
Bina Brünjes von Hays bringt noch eine weitere Eigenschaft ins Spiel, die eine Führungskraft heutzutage brauche. „Das Profil geht immer mehr in Richtung Führungskräfte, die einen digitalen Fußabdruck haben: die als Digital Leader vorangehen und KI und anwenden können, oder die bei Linkedin für sich eine Personal Brand als sogenannte Corporate Influencer entwickelt haben.“ Empathie hält sie indes auch für eine wichtige Fähigkeit. Erst recht, wenn es um ein Unternehmen geht, in dem die Mitarbeitenden auf dem Absprung sind.
Michael Faller versucht, Empathie und Härte zusammenzudenken. Beide Eigenschaften würden sich nicht unbedingt ausschließen, sagt er. „Ein Manager kann seinen Mitarbeiter verstehen und ihm dann trotzdem eine harte Entscheidung verkünden“, argumentiert Faller. „Wir brauchen Manager, die unangenehme Nachrichten verkünden und umsetzen können.“ Denn die richtig guten Zeiten in der Wirtschaft seien vorbei. „Darauf weisen wir in Briefings auch stärker hin.“
An Generationen oder auch dem Geschlecht, da sind sich wieder alle einig, lasse sich hingegen nicht ablesen, ob eine Führungskraft nun eher hart oder eher empathisch sei. „Härte müssen nicht immer nur alte weiße Männer zeigen. Junge Frauen können genauso unnachgiebig sein“, so Ferrari. Thomas K. Heiden rechnet derweil mit der jüngeren Generation ab. Die Hoffnung, dass sie einen besseren Führungsstil an den Tag lege, habe sich leider nicht bewahrheitet, sagt er. „In meinen zahlreichen Gesprächen mit Führungskräften und Kandidaten der jüngeren Generation erlebe ich immer wieder Verhaltensmuster, die ich eher der Vergangenheit zugeordnet hätte.“
„Viele Firmen rekrutieren noch sehr altmodisch.“
Caroline Gellrich, Head of Page Executive – Germany, Austria and CEE, Page Group
Innovation kommt zu kurz
Was man aber ablesen kann, so Brünjes: „In den vergangenen Jahren spielte das Thema Diversität eine zentrale Rolle in vielen Unternehmen und wurde gezielt gefördert.“ Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage erlebten wir jedoch eine Neuausrichtung der Prioritäten – Investitionen in entsprechende Programme werden zunehmend zurückhaltender geprüft. „Dennoch halten viele deutsche Unternehmen weiterhin an ihren Initiativen fest und setzen auf langfristige Strategien zur Förderung von Vielfalt in der Arbeitswelt“, sagt Brünjes. „Insbesondere im Bereich Geschlechtergerechtigkeit bleibt die Förderung von Frauen ein wichtiges Anliegen, besonders in Konzernen, die klare Zielvorgaben haben.“
Für Caroline Gellrich kommt indes eine andere Eigenschaft zu kurz: Innovation. „Es hilft nicht, immer nur im Krisenmodus zu sein“, sagt sie. Deshalb sei es wichtig, dass Führungskräfte schnell und mit klarem Zielbild neue Fähigkeiten erlernen können. „Das steht bei uns in der Anforderungsbeschreibung der Kunden ganz oben.“
Brünjes ergänzt den Gedanken noch um das Thema De-Skilling. „Führungskräfte müssen dafür bereit sein, einige Aufgaben an eine KI abzugeben, und sich dafür neue Fähigkeiten aneignen“, sagt sie.
„Die neue Konstante ist die Veränderung“, fasst Ferrari die Diskussion über die Fähigkeiten zusammen. Und Veränderungswille sei in Zukunft eher mehr als weniger gefragt. „Darauf müssen Führungskräfte sich einstellen.“ Wer das schaffe, könne erfolgreich bleiben. „Nichts bleibt so, wie es ist. Das sehen wir auch an externen Faktoren, die Unternehmen immer mehr beeinflussen.“ Dazu passt etwa der US-amerikanische Zollkrieg. Oder aber die Disruption im Bereich Automotive. Plötzlich müsse ein Zulieferer feststellen, dass das Getriebe, das er immer gebaut hat, nicht mehr gebraucht wird, weil ein E-Auto anders angetrieben wird. „Dann muss sich ein ganzer Konzern umstellen. Und auch alle Mitarbeiter“, so Ferrari.
In solchen Zeiten, ist Ferrari überzeugt, zeige sich, welche Manager gut seien. „Wir kommen aus einem Jahrzehnt mit Niedrigzinspolitik, was vieles verwässert hat“, argumentiert er. „Schlechtes Management konnte sich lange hinter billigem Geld verstecken.“ In der jetzigen Zinsphase kämen Managementfehler ans Licht – schlecht geführte Unternehmen in Not.
„Im Moment ist der Markt ein brutaler Kundenmarkt.“
Sascha Gerland, Managing Partner, Xellento Executive Search
Unternehmen machen es sich selbst schwer
Die aktuelle Phase hat sowohl auf der Kandidatenseite als auch bei den Unternehmen die Ansichten verändert. „Auf C-Level-Ebene ist es schon eine Kunst, den richtigen Kandidaten zu finden“, berichtet Baumann-Vorstand Michael Faller. Die Komplexität käme durch die Unternehmen, die immer spezifischere Anforderungen hätten. Zudem sei die persönliche und kulturelle Übereinstimmung mit dem Unternehmen von zentraler Bedeutung. „Zugleich haben die sehr guten Kandidaten mehr als nur ein Angebot auf dem Tisch.“ Prozess- und Entscheidungsgeschwindigkeit seien heute ein echtes Unterscheidungskriterium im Bewerbungsprozess. Mal sei man als Personalberatung zu langsam, mal zu schnell. Thomas K. Heiden sieht ein Problem in der Sicherheitsorientierung von Entscheidern in Unternehmen. „Man will sich intern unbedingt absichern, alle im Board wollen den Kandidaten unbedingt vorher gesehen haben.“ Gellrich drückte es in Zahlen aus: „Früher hat es gereicht, wenn ein Kandidat zu 80 Prozent gepasst hat, dann konnte man ihn im Job in ein paar Monaten auf 90 Prozent bringen.“ Heute suche man welche, die zu 120 Prozent passen. Gleichzeitig seien aber auch die Kandidaten anspruchsvoller geworden. Titel, Gehalt, Führungsverantwortung: All diese Faktoren seien zwar Enabler, aber nicht mehr die alleinigen Gründe, einen Job anzutreten. „Wir müssen die Kandidaten dazu viel stärker abholen und ihnen aufzeigen, was sie bewirken können“, schildert sie.
Heiden kennt noch eine weitere Hürde aus Kandidatensicht: das Familienumfeld, sei es der Beruf des Partners, die Schulsituation der Kinder oder die Betreuung der älter werdenden Eltern. Dies führe dazu, dass ein Wohnortwechsel zeitnah nicht möglich oder perspektivisch gar unmöglich würde. Aus diesem Grund erwarteten immer mehr Kandidaten ein hybrides Arbeitsmodell aus Präsenz vor Ort und Homeoffice. Gellrich hat auch dafür exemplarische Zahlen parat: „Man spricht acht von zehn Kandidaten an“, sagt sie, „und nur vier von ihnen könnten sich überhaupt vorstellen, den Job zu machen.“
Etwas anders sieht die Umzugsbegeisterung noch bei den Kandidaten der Deutschen Interim von Tilo Ferrari aus: „Bei uns melden sich ja in der Regel diejenigen, die über 50 Jahre alt sind. Deren Haus ist bezahlt, und die Kinder sind aus dem Haus.“ Bei ihnen, so Ferrari, gebe es schon Interesse, mal für zwei Jahre eine Werksleitung im Sauerland zu übernehmen. „Diese Manager mieten sich für die Zeit dann eine Wohnung.“ Der Vorteil bei solchen Interim-Jobs: Ein Ende ist von Anfang an definiert – und damit in der Regel auch der Zeitpunkt, wann die Führungskraft wieder nach Hause zurückkehren wird.
Die Personalberatung verändert sich
„Der Markt wird immer fluider“, beobachtet Bina Brünjes von Hays. Auch weil die Generationen sich voneinander unterschieden. „Gerade junge Menschen haben andere Ansprüche an den Arbeitgeber, als dies bei früheren Generationen der Fall war“, urteilt sie. Ferrari bringt eine Studie aus den USA ins Spiel. „McKinsey schätzt, dass bis 2028 in den USA 50 Prozent selbstständig arbeiten werden“, berichtet er. Das verändere natürlich auch die Rolle von Personalberatungen. Werden sie zukünftig weniger gebraucht? Ferrari sieht das Gegenteil: „Wohl zum ersten Mal wird im industriellen Europa die Wertschöpfung einer ganzen Generation vererbt. Bisher kam immer ein Krieg dazwischen“, sagt er. Und diese neue Generation habe ein paar fundamentale Probleme für sich gelöst. Der Sinn (Purpose) sei ihr wichtig. Geht aber nun die Generation der Babyboomer in den Ruhestand, gebe es für Personalberatungen viel zu tun. Ein Problem dabei für Personalberatungen benennt Sascha Gerland von Xellento: „Zu viele der 18- bis 22-Jährigen wollen einen sicheren Job in der Verwaltung oder der Polizei, auch Lehrer wollen viele werden“, sagt er. Oder wie Heiden es ausdrückt: „Es gibt keine sicheren Häfen mehr, außer im öffentlichen Dienst.“ Dadurch werde es immer schwieriger, den Bedarf an Menschen mit Machermentalität zu decken.
„Abfindungen von 500.000 Euro und mehr sind aktuell keine Seltenheit.„
Thomas Heiden, Partner und Gründer, Heiden Associates Personalberatung
Wie also wird man diese Generation überzeugen können? „Es braucht heute schon mehr Überzeugungskraft als früher“, sagt Gellrich. Nicht nur die Bezahlung müsse besser sein, Flexibilität werde zum Standard. Der Sinn sei wichtiger als der Status. Manager wechselten nicht mehr nur wegen Position oder Gehalt, sie wollten wissen, wofür sie arbeiten. „Kandidaten suchen nicht nur einen Job, sondern Menschen, mit denen sie arbeiten möchten.“ Brünjes macht eine ähnliche Beobachtung: „Purpose und Flexibilität sind für die junge Generation wichtig“, sagt sie. „Wir erleben in vielen Branchen und Profilen, dass Kandidaten absagen, weil ihnen die Bedingungen zu starr sind.“ Das würde nicht zu einer Generation passen, die es vor allem in die Verwaltung zieht.
Doch Personalberatungen müssen sich nicht nur über die sich verändernden Ansprüche von Kandidaten und Unternehmen Gedanken machen. Der Megatrend Künstliche Intelligenz macht auch vor ihnen nicht halt. „Es ist faszinierend, was man mit KI so alles machen kann“, berichtet Heiden. KI-Tools wie ChatGPT oder Copilot können ein Stellenprofil innerhalb kürzester Zeit hochwertig erstellen und anschließend relevante Zielfirmen ermitteln sowie potenzielle Kandidaten identifizieren. In der EU blockt jedoch ein rigider Datenschutz weitergehende Informationen wie Kontaktdaten ab. „In den USA ist der Datenschutz lascher, da wäre ein Zugriff auf diese Daten möglich“, so Heiden. Der Gründer von Heiden Associates sieht darin eine Gefahr. Personalberatungen könnten ihren Research in die USA verlagern, oder Unternehmen würden gleich mit amerikanischen Beratungen zusammenarbeiten.
Dass KI einige Aufgaben von Personalberatungen wegnehmen oder zumindest verändern wird, scheint logisch. Brünjes von Hays macht auch deutlich, dass darin eine Chance für die Branche liegt. Zum einen könne sie sich selbst durch den Einsatz von KI die Arbeit erleichtern, zum anderen ließen sich mit KI schnell Fälschungen erstellen. Das geht zum Beispiel bei einem Lebenslauf, auch Deepfake-Videos seien ein Problem. „Wir werden also immer mehr zum vertrauenswürdigen Berater“, sagt sie. Denn Personalberatungen könnten damit punkten, dass sie ihre Kandidaten teilweise schon 20 Jahre lang kennen.
Wie KI die eigene Arbeit erleichtern kann, berichtet auch Michael Faller. „Wir nutzen KI für die Suche und das Matching“, sagt er. Das betreffe nicht nur die fachliche Passung. So ließe sich zum Beispiel herausfinden, wie mobil Kandidaten womöglich sind. „Unsere selbst entwickelte KI ermöglicht ein strukturiertes Screening, ob ein Kandidat zu einer bestimmten Region Anknüpfungspunkte in seinem Profil hat“, so Faller. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Kandidat in der Region des zukünftigen Dienstsitzes geboren worden sei oder dort studiert habe. Fest steht am Ende vor allem eines: In der Welt der Personalberatung wird es nicht langweilig.
Fotos: Bernd Roselieb