Personalwirtschaft: Sie sind seit Kurzem Arbeitsdirektorin bei Thyssenkrupp Steel Europe, dem größten deutschen Stahlhersteller. Zuvor waren Sie viele Jahre als Justiziarin bei der IG Metall. Wie wollen Sie den Spagat zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen meistern?
Sabine Maaßen: Aus meiner Sicht sind das zwei Seiten einer Medaille. Der über die Mitbestimmung gesteuerte Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gehört untrennbar zur Stahlindustrie dazu. Das hat eine lange Tradition und ist einer ihrer Erfolgsfaktoren, denn wir konnten den Wandel unserer Industrie trotz aller Krisen letztlich immer einvernehmlich gestalten. Für mich ist meine neue Aufgabe daher eher ein Perspektivwechsel. Natürlich bin ich als Vorstandsmitglied dem wirtschaftlichen Erfolg unseres Unternehmens verpflichtet. Aber auch aus dieser Perspektive stelle ich mir die Frage: Wie erhalten wir langfristig möglichst viele industrielle Arbeitsplätze? Die Stahlindustrie ist Teil des industriellen Rückgrats in Europa. An jedem unserer Arbeitsplätze hängen sechs andere in vor- und nachgelagerten Industrien. Stahl ist damit auch Teil unseres gesellschaftlichen Wohlstands und unserer sozialen Stabilität. Dazu gilt es, die unternehmerisch und personalpolitisch besten Lösungen zu finden.
War es dann Zufall, dass Sie zu einem Stahlunternehmen wie Thyssenkrupp Steel gewechselt sind? Hätte es auch eine ganz andere Branche werden können?
Ich bin ein Kind aus der Region, ich bin mit Thyssenkrupp groß geworden. Ich kann mich an viele Erzählungen und Geschichten erinnern, aus denen ein bestimmtes Bild entsteht: Geprägt von Verlässlichkeit, von Kontinuität, auch von Stolz auf die ja durchaus harte Arbeit. Die Stahlindustrie fasziniert mich schon lange. Insofern hat es eine gewisse Konsequenz, dass ich mich für dieses Unternehmen entschieden habe.
Auf Sie kommen jetzt tausend neue Aufgaben gleichzeitig zu. Was wollen Sie zuerst anpacken?
Wir haben hier beim Stahl eine ganz besondere Kultur des Miteinanders. Ich werde daher erst einmal zuhören, um zu verstehen, was Thyssenkrupp Steel ausmacht. Mit 27.000 Beschäftigten und einem Produktionsnetzwerk mit 13 Standorten sind wir ein großer Konzern, dessen DNA ich verstehen will, um unbedachte Schnellschüsse zu vermeiden. Dazu brauche ich ein verlässliches Netzwerk, um mit vielen Menschen in einen offenen Austausch gehen zu können. Diese Grundlage schaffe ich mir gerade. Arbeitssicherheit steht unabhängig davon bereits im Fokus. Da müssen wir noch besser werden. Das ist letztlich ein Kulturthema, bei dem wir viel über uns lernen können: Nimmt jeder Einzelne seine Verantwortung wahr? Wie werden Verbesserungen auf den Weg gebracht? Wie konsequent sind wir wirklich im Alltag? Das Ziel muss eine echte Verantwortungskultur sein, die jeder, der für uns arbeitet, als wesentlichen Teil seines Arbeitslebens ansieht.
Thyssenkrupp und Tata wollen ihre Stahlsparten zusammenlegen. Dadurch sollen 2.000 Arbeitsplätze wegfallen. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Arbeit? Wie wollen Sie den Stellenabbau managen?
Es ist noch zu früh, um darüber im Detail zu sprechen, denn das Joint Venture muss ja erst noch starten. Aber unabhängig davon: Unsere Arbeitswelt wird sich drastisch verändern, ob durch den demografischen Wandel, durch die Digitalisierung oder Faktoren die wir noch gar nicht präzise kennen. Diese Veränderungen werden nicht vor unseren Werktoren haltmachen, es wäre fatal sich dieser Illusion hinzugeben. Wir müssen deswegen Voraussetzungen für die Beschäftigung von morgen schaffen und ein Unternehmen bauen, über das die Menschen auch in zehn Jahren sagen: „Da will ich anfangen zu arbeiten – die bieten mir spannende und zugleich sichere Jobs.“ Ich bin positiv überrascht, dass ich in meiner bisherigen kurzen Zeit im Unternehmen bereits viele Menschen getroffen habe, die genau hier ansetzen. Die Stahl weiter denken und die ganz konkret fragen: „Was müssen wir jetzt tun, um auch in zehn Jahren erfolgreich zu sein?“ Genau hier werde ich ansetzen: Bereitschaft zur Veränderung ermutigen und fördern. Weniger durch Druck, sondern vor allem durch Befähigung, um ein breites Verständnis für notwendige Veränderungen zu schaffen. Darauf wird es ankommen, um industrielle Beschäftigung langfristig zu erhalten.
Inwiefern ist auch Ihr Bereich, das Personalressort, von der Digitalisierung betroffen? Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?
Digitalisierung betrifft uns alle – jeden Tag. Wir sind mittendrin in diesem Prozess. „Betroffen“ klingt mir dabei zu passiv. Denn die Digitalisierung wird von Menschen gemacht und soll den Menschen dienen und ihre Arbeit besser, effizienter, teilweise auch weniger gefährlich machen. Sicher wird es Beschäftigungen geben, die irgendwann wegfallen, dafür werden an anderer Stelle neue entstehen. Entscheidend ist es, auch hier die Veränderungen als Chance zu begreifen, indem wir beispielsweise verdeutlichen, dass Digitalisierung helfen kann, einer zunehmenden Arbeitsverdichtung zu begegnen. Aber: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie wird nur dort erfolgreich sein, wo sie einen Wertbeitrag für unsere Kunden und Mitarbeiter bietet.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist und schreibt regelmäßig arbeitsrechtliche Urteilsbesprechungen, Interviews und Fachbeiträge für die Personalwirtschaft.