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Team Zukunft: Mensch und KI

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Als Ende 2022 ChatGPT gelauncht wurde, war dies das erste Mal, dass zeitgleich jeder Mensch und jede Organisation weltweit kostenlos den Zugang zu einer revolutionär neuen Technologie erhielt. Künstliche Intelligenz stellt seither die Art und Weise, wie wir lernen und arbeiten, wie wir kommunizieren und kreativ sind, wie die komplette Wertschöpfung erfolgt, auf den Kopf. So viele Umbrüche in atemberaubend kurzer Zeit erzeugen Aufbruchstimmung und Unternehmungslust – einerseits. Doch wie bei allen Umwälzungen verursacht auch die KI-Revolution Ängste und Sorgen: Wird Künstliche Intelligenz zu Massenarbeitslosigkeit führen und eine Kultur totaler Überwachung erzeugen? Die Debatte dazu ist in vollem Gang. „New Work. Neue Chancen – Zwischen Arbeit, Algorithmen und Ambitionen“ lautete der Titel des DENKRAUM Für Soziale Marktwirtschaft, der am 7. Mai in Berlin stattfand. Dieses Format bringt Protagonisten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit Bürgern zusammen, um über gelebte Soziale Marktwirtschaft nachzudenken und zu debattieren. Konzipiert und umgesetzt wird das Projekt von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und dem Thinktank ifok. Hauptpartner ist die Robert Bosch GmbH.

Der Ort war perfekt gewählt: Am Bosch IoT Campus am Tempelhofer Hafen in Berlin stehen sonst Projekte rund um das Internet of Things und die digitale Transformation im Zentrum. Mehr als hundert Gäste konnten neben Vorträgen und Podiumsdiskussionen auch anhand ganz konkreter Fallbeispiele erleben, wie und wo bei Bosch KI bereits zu Einsatz kommt.

Soziale Marktwirtschaft blickt optimistisch auf Technologie

Den Bogen von Künstlicher Intelligenz zu Sozialer Marktwirtschaft schlug Gerald Braunberger, der Herausgeber der F.A.Z.: Zu den wesentlichen Bestandteilen des deutschen Gesellschaftsmodells zähle die Arbeit. „Dabei ist die Soziale Marktwirtschaft grundsätzlich technologieoptimistisch, sie schaut auf die Chancen, die der Wandel bringt“. Zu den offenen Fragen bei KI zähle, was sich letztlich wirtschaftlich durchsetzt. Die Erfahrung früherer technologischer Umwälzungen etwa zu Beginn der Industrialisierung habe gezeigt, dass neue Technologien oft lange bräuchten, um sich zu etablieren.

Welch ambivalente Gefühle Künstliche Intelligenz hervorruft, referierte Dr. Nathalie Martin-Hübner, Head of Governmental Relations bei Bosch: Bei einer Umfrage für den Bosch Tech Compass hätten zwar fast zwei Drittel von 8000 Befragten gesagt, dass KI die relevanteste Zukunftstechnologie sei, gleichzeitig fürchtete aber mehr als die Hälfte negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze. „Künstliche Intelligenz ist eine Allzwecktechnologie“, sagte sie, Ziel müsse es sein, nun auch Vertrauen in ihre Möglichkeiten zu schaffen.

Unternehmen stehen in der Pflicht

Bosch-Chef Stefan Hartung blickt optimistisch in eine Zukunft, in der Kollegin KI eine bedeutende Rolle in der Arbeitswelt spielt. Foto: Marco Urban

Mit einem plastischen Einstieg für seinen Vortrag über die „Kollegin KI“ machte Dr.-Ing. Stefan Hartung, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH klar, wo Zukunftsängste herkommen: „Echte Löwen sind in Hollywood nicht mehr gefragt, seitdem Algorithmen Bilder der Raubtiere erschaffen.“ Selbst das legendäre Maskottchen des MGM-Studios, das jeden Film mit Gebrüll ankündigt, habe schon lange ausgedient. „Wird KI eine neue Massenarbeitslosigkeit verursachen?“, fragte Hartung und stellt das sogleich in Abrede. Klar sei, dass manche Berufe eher wegfallen werden, andere sich verändern. Es entstünden aber auch viele neue Jobs. Insgesamt sei er sehr optimistisch, denn „zu arbeiten gab es bisher immer genug“. Der Bosch Chef betonte die Verantwortung der Unternehmen für die Beschäftigten: „Wir haben die Pflicht, denjenigen, deren Jobs in Frage stehen, neue Chancen zu eröffnen.“ Unternehmen müssten massiv in Weiterbildung investieren.

Technologiesprung durch Sprachmodelle

Hartung unterstrich den Technologiesprung, der gerade die großen Sprachmodelle wie ChatGPT auszeichne: Klassische KI-Modelle seien „leer“, sie müssten anhand von Beispielen trainiert werden. ChatGPT dagegen könne auf das Wissen der Welt zurückgreifen. Für den Bosch-Chef markieren die Sprachmodelle einen Paradigmenwechsel: „Vor wenigen Jahren wurde gesagt, dass Daten das neue Öl der Weltwirtschaft seien. Künstliche Intelligenz ist viel besser – sie ist die Ölquelle.“ Tatsächlich, so Hartung, seien „wir in Deutschland gar nicht schlecht für KI aufgestellt, aber China und die USA sind ganz weit vorne“. Um mithalten zu können, brauche es bezahlbaren grünen Strom und Mut, um sich dem Wandel zu stellen. „KI ist vielleicht die letzte Chance für Europa, bei Zukunftstechnologien eine Rolle zu spielen“, bei Softwareentwicklung und Cloud-Technologie sei es längst zu spät. Der Bosch Chef beschwor die Geister der Ingenieur-Nation: „Gerade wir in Deutschland haben immer von der Moderne gelebt.“ Ein solcher Umbau funktioniert freilich nicht ohne Leitplanken. Die neue Technologie sei „so tiefgreifend, dass sie die Welt und die Gesellschaft verändert“, meinte Hartung. Dafür brauche es Regeln.

Wissensarbeit verändert sich

Von Automatisierung und Robotertechnik waren bis lang zumeist Berufe betroffen, die mit physischen Tätigkeiten einhergingen, Kopfarbeiter dagegen mussten kaum je um ihre Jobs bangen. Das verändere sich gerade, erläuterte in einem Impulsvortrag Professor Dr. Martin Krzywdzinski, Direktor des Weizenbaum-Instituts. Das Technologieversprechen moderner KI bestehe darin, dass ihre kognitive Leistung die des Menschen übertreffe und dass sie vielfältig anwendbar sei. Dies gefährde die Jobs von Wissenschaftlern, Managern oder Juristen, werde vielfach postuliert. Bei genauer Betrachtung zeige sich aber, dass nur einige Aufgabenbereiche von der KI erledigt werden könnten. Bei Anwälten etwa könnten Rechercheaufgaben automatisiert werden, was besonders weniger erfahrenen Juristen zugute käme. Strategie und Mandantenberatung dagegen – die Stärken erfahrener Anwälte – könne KI nicht leisten.

Wandelnder Denkraum – Zukunft greifbar machen

Technik zum Anfassen: Eine Roboterspinne lernt schneller laufen mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz. Foto: Marco Urban

Über KI zu sprechen ist interessant – zu sehen und zu erleben, wo und wie sie bereits im Einsatz ist, ist noch spannender. An sechs Stationen konnten deswegen die Besucher hautnah erfahren, was die Zukunftsgestalter von Bosch bereits in petto haben. Auch kritische Fragen waren willkommen.

Chipfabrik: Wie funktioniert eine vollautomatisierte Chipfabrik – und deren digitaler Zwilling? In Dresden fertigt Bosch Halbleiter an. Das Besondere an dem Werk ist der Automatisierungsgrad: Menschen spielen in der Produktion keine Rolle mehr. Der Durchlauf der Bauteile durch mehr als 800 Produktionsschritte verläuft vollautomatisch. 150.000 Sensoren im Gebäude sorgen dafür, dass ein virtuelles Duplikat jederzeit aktuell ist. Doch auch wenn in der Produktion keine menschlichen Beschäftigen nötig sind, gibt es doch mehrere Hundert Mitarbeiter: Ingenieurinnen, IT-Fachleute und KI-Experten sorgen dafür, dass das Werk – und der digitale Zwilling – funktionieren.

Metaverse: Im Metaverse-Lab konnten die Besucher Ausflüge in virtuelle Realitäten unternehmen. Per Virtual Reality- und Augmented Reality-Tools wurden so Mensch-Maschine-Interaktionen erlebbar. Diese Technik birgt Chancen und Risiken. Von 3-D-Visualisierungen über das Erstellen von Prototypen bis hin zum Einsatz in Risikogebieten reicht die Bandbreite der positiven Optionen. Aber: Wer haftet eigentlich im Schadensfall, wenn Mensch und Maschine zusammenwirken, wollte eine Teilnehmerin wissen.

Kreativtools: Fotos und Texte für Marketing oder Kampagnen passgenau zu erstellen ist heute ein Kinderspiel. Eine Live-Demo zeigte, wie die KI auf Befehl täuschend echte Bilder produziert. Eine sehr echt aussehende Sechzigjährige im Bosch-grünen Hemd, die einen Smoothie herstellt? Kein Problem.

AI-Academy: Manche Berufsbilder haben ausgedient, andere müssen zumindest auf neuen Stand gebracht werden – gerade in einem Tech-Unternehmen wie Bosch geht ohne Wissen um KI nur noch wenig. „Wie kriegen wir KI in den Menschen?“ Diese Frage stellen sich die Verantwortlichen für die Weiterbildung. Die Bandbreite der Wissensvermittlung ist dabei so riesig wie die Aufgaben in dem Unter nehmen. Auf der einen Seite des Spektrums steht der Umgang mit Generativer KI im Arbeitsalltag. Am anderen Ende befinden sich Weiterbildungen, in denen über mehrere Monate tiefes technisches Know-how etwa zur Funktion von neuronalen Netzwerken vermittelt wird.

Modelfabrik: Unter dem Titel „Die Evolution in der Fabrik, die Zukunft hat bereits begonnen“ gab es Einblicke in die Modelfabrik von Bosch Rexroth: Anhand der Produktion eines Rasierers wurde gezeigt, wie sich die Fabrik der Zukunft entwickelt. Das Zusammenspiel von Mensch, Robotik, KI-gestützter Software, smarten Funktionsbaugruppen und neuartigen Transportkonzepten erlaubt es, die Produktion wandelbar zu gestalten. Dank dieser Flexibilität können bestehende Anlagen so adaptiert werden, dass auf ihnen die Produkte von morgen entstehen.

AskBosch: Was ChatGPT für die Allgemeinheit ist, ist AskBosch für die Bosch-Community: ein KI gestützter Textgenerator auf Basis von Sprachmodellen. Als virtueller Assistent unterstützt er alle Mitarbeitenden bei Aufgaben wie dem Zusammen fassen, Übersetzen oder Überarbeiten von Texten. Das Tool ermöglicht die Interaktion mit öffentlichen Daten und Bosch-Wissen, ohne dass das Risiko besteht, dass Daten nach außen dringen.

Junge Perspektiven auf KI

Wenn KI die Zukunft der Arbeitswelt ist – wie blicken dann diejenigen auf das Thema, die ihr ganzes Berufsleben noch vor sich haben? Im Unterricht komme KI fast nie zum Einsatz, berichteten Oberstufen-Schülerinnen und Schüler des Berliner Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasiums. Nur wenige Lehrer würden KI in den Unterricht einbeziehen. Das funktioniere schon wegen der meist fehlenden IT-Infrastruktur nicht. ChatGPT dagegen werde sehr wohl von den Jugendlichen benutzt. Manche verwendeten das Tool als Ideengeber oder virtuellen Diskussionspartner bei den Hausaufgeben, andere würden ihre Aufgaben sogar vollständig von der KI erledigen lassen. Wozu das führen sollte? „Schriftliche Ab schlussarbeiten sind nicht mehr sinnvoll – anders als mündliche Prüfungen“, meinen die Jugendlichen. Auch bei der Berufswahl schleicht sich das KI-Thema immer wieder ein: „Suchen wir Berufe, die sich mit KI beschäftigen – oder solche, die nicht durch sie ersetzbar sind“, fasst eine Schülerin zusammen.

Europa braucht eine Datenstrategie

Eine europäische Datenstrategie forderte die hessische Digitalisierungsministerin Kristina Sinemus ein. Foto: Marco Urban

Die schöne neue KI-Welt ist nicht nur in der Wirtschaft angekommen – auch Politik und öffentliche Verwaltung setzen sich damit auseinander. Prof. Dr. Kristina Sinemus (CDU), Ministerin für Digitalisierung und Innovation in Hessen, benannte die wichtigste Ressource im Umgang mit KI: „Bildung, Bildung, Bildung!“ Neue Berufsbilder entstünden, gleichzeitig steige Demografie bedingt der allgemeine Fachkräftemangel. Schulen müssten gigabitfähig ausgestattet werden. Auf politischer Ebene äußerte sie vor allem einen Wunsch: „Wir müssen in Deutschland und Europa Datensouveränität entwickeln – und wir brauchen eine eigene Datenstrategie.“

Kompetenz, Kooperation, Kommunikation

Der Diskussionsbedarf zu KI ist riesig. Auf dem Posium (v.l.n.r.): Jacob Birkenhäger, Monika Ilves, Ana Dujić, Jürgen Kerner, Stefan Hartung und Nadine Bös. Foto: Marco Urban

Den inhaltlichen Abschluss des Denkraums bildete eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion. Moderiert von Jacob Birkenhäger von ifok und Nadine Bös, Leiterin des Ressorts Beruf und Chance bei der F.A.Z., debattierten Bosch-Chef Stefan Hartung, Ana Dujić vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), IG Metall-Vize Jürgen Kerner und Monika Ilves vom Zentrum für Digitalen Fortschritt.. „Arbeit wird fundamental anders werden, und KI ist das Werkzeug, das wir für diesen Wandel brauchen“, sagte Ana Dujić. „Dafür müssen wir Künstliche Intelligenz entmystifizieren und Freude und Neugier auf ihre Möglichkeiten wecken.“ Große Defizite sieht sie insbesondere in mittel ständischen Unternehmen. Um hier Aufklärung zu betreiben, sei ein „KI-Bus“ entwickelt worden, der zu den Unternehmen fährt und anhand von Demonstratoren Einsatzmöglichkeiten aufzeigt. Und auch beim BMAS selbst ist KI ein heißes Thema: Angesichts von 40.000 Beschäftigten, die bis Ende des Jahrzehnts in den Ruhestand gehen, sei im Ministerium der Handlungsdruck zur Einführung von KI-Tools hoch, sagte Ana Dujić.

Von dem Sisyphos-Zyklus der Technikangst berichtete wiederum die KI-Expertin Monika Ilves: Wann immer eine neue Technologie auftauche, erzeuge sie neue Sorgen, die gleichzeitig Ängste über vorhergehende Entwicklungen ersetze. Dies sei auch bei KI der Fall. Nicht ohne Grund, denn: „Wir werden bestimmte Formen von Künstlicher Intelligenz nicht mehr verstehen“, so Monika Ilves.

„Nicht nur diskutieren, sondern einfach mal machen“, lautete die Aufforderung des IG-Metall Vize Jürgen Kerner. „Wir brauchen Positivbeispiele für KI-Nutzung insbesondere bei Mittelständlern, um Vorbilder zu haben und Ängste zu nehmen.“ Eine Sorge, die den Gewerkschafter umtreibt, sind die der zeitigen Entlassungswellen in vielen Unternehmen. „Sie geben auf der einen Seite viel Geld aus, um die Menschen rauszukriegen – und auf der anderen Seite bezahlen sie viel Geld, um neue Leute zu rekrutieren.“ Einen solchen Austausch von Belegschaften könne man sich aber nicht mehr leisten. „Es muss viel mehr in die Weiterbildung der Menschen investiert werden“, verlangte Kerner. Wie die Arbeitswelt mit der KI-Entwicklung um gehen sollte, brachte Bosch-Chef Stefan Hartung zum Schluss noch einmal auf den Punkt: „Wir haben ein hohes Bildungsniveau und viele tolle Betriebe – aber das allein hilft uns nicht für die Zukunft.“ Das Allerwichtigste seien Lernen und der Aufbau von Kompetenz. KI müsse in der Schule, in der Aus- und Weiterbildung immer mitgedacht werden. Stefan Hartung: „Wir dürfen den Wandel, der durch Künstliche Intelligenz entsteht, nicht unterschätzen – aber müssen ihn vor allem als Chance begreifen.“

Info

Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.