Folgt man dem Eindruck, den viele Unternehmen in ihren Stellenbeschreibungen hinterlassen, ist die moderne Arbeitswelt dem Menschen so zugewandt wie noch nie. Beschäftigte haben die Wahl zwischen Homeoffice und Büro, sie können jederzeit Vorgesetzte um Feedback bitten und beharrlich an der Karriere feilen – Weiterbildungsmaßnahmen warten nur darauf, endlich ergriffen zu werden.
Das Gehalt, heißt es oft außerdem, sei „marktüblich“ oder „leistungsgerecht“. Gerade in diesem für Bewerber sehr wichtigen Aspekt drücken Unternehmen sich in seltener Eintracht vor Klarheit und belassen es bei kryptischen Angaben. Die Jobplattform Stepstone will nun gegensteuern und plant, ab Anfang 2021 allen Inseraten, die auf der Jobplattform geschaltet werden, eine Gehaltsangabe hinzuzufügen – ob es Inserenten passt oder nicht.
„Möglichst viele relevante Informationen“
Grundlage ist ein Prognosemodell, das sich aus rund drei Millionen Gehaltsdaten speist, die aus Studien des Unternehmens resultieren und nicht zuletzt durch die Übernahme von Gehalt.de möglich wurden. Aus ihnen soll nicht etwa ein konkretes Gehalt, sondern eine Gehaltsspanne errechnet werden. Zwei denkbare Beispiele: Können Absolventen mit Masterabschluss sich im Vertrieb auf ein Jahressalär von 50 bis 60 Tausend Euro einstellen, winken der berufserfahrenen Sales Managerin in der IT-Branche zwischen 70 und 80 Tausend.
Durch seinen Vorstoß verspricht die Plattform, dass Bewerber und Arbeitgeber endlich auf „Augenhöhe“ verhandeln könnten. Gingen beide Seiten offen damit um, welches Gehalt realistisch sei, „sind Einstellungsrunden letztlich viel effizienter“, sagt Stepstone-Sprecherin Rottländer. Der Informationsvorsprung, den Unternehmen durch das Verschweigen des möglichen Gehaltes erlangen, soll sich demnach verringern oder gleich ganz verschwinden. Oberstes Ziel von Stepstone sei, Menschen bei der beruflichen Orientierung zu helfen, sagt Rottländer. Treffen könne die richtige Entscheidung jedoch nur, wer über „möglichst viele relevante Informationen zum Job und zum Arbeitgeber“ verfüge. Nachdem das Jobportal vor zwei Jahren die Anzeigenstruktur auf „Liquid Design“ umgestellt und seither viele Inserate durch virtuelle Office-Führungen, Arbeitgeberbewertungen und Informationen zur Unternehmenskultur inhaltlich aufgerüstet habe, sagt Rottländer, „gehen wir mit Gehaltsangaben in Stellenanzeigen jetzt den nächsten Schritt.“
Angst vor interner Missgunst
Die Initiative von Stepstone bleibt in der HR Community nicht ohne Widerhall. Wie erste Reaktionen von Recruiting-Bloggern, Beratern und Hochschullehrern zeigen, findet der Vorstoß durchaus Zustimmung. Solange aus Umfragen hervorgeht, dass Bewerber sich mehr Angaben zum Gehalt wünschten, „ist jeder Ansatz richtig, frühzeitig für mehr Transparenz im Recruitingprozess zu sorgen“, betont etwa Ruth Böck von Rekrutierungserfolg.de.
In den Betrieben hingegen dürfte der Vorstoß allerdings auf Vorbehalte stoßen. Sie beginnen laut Ruth Böck bei der Befürchtung, dass sich Gehälter in engen Arbeitsmärkten hochschaukeln, weil die Konkurrenz genau hinschaut und sofort nachzieht. Und sie enden nicht bei der Angst vor interner Missgunst, Unzufriedenheit und Fluktuation, weil gewachsene Gehaltssysteme sich selbst bei gutem Willen nicht von jetzt auf gleich umstellen lassen. „Wer schon einmal ein Vergütungsmodell eingeführt hat, weiß wovon ich spreche.“
Dazu kommt: „Augenhöhe in einer Verhandlung ist keine Frage der fehlenden Information“, wie Recruiting-Blogger Henrik Zaborowski bekräftigt, „sondern der eigenen schwächeren oder stärkeren Position“. Plane etwa ein fachlich versierter Professional, den Job zu wechseln, erwarte er oder sie Zaborowski zufolge „mit Fug und Recht“ einen Aufschlag aufs aktuelle Salär. In dieser starke Verhandlungsposition sei eine Gehaltsangabe in einem Inserat belanglos. Ganz anders sei das hingegen bei Berufseinsteigern, für die die Information durchaus interessant ist – die Verhandlungsposition aber kaum verändere. „Als Bewerber muss ich erst die Führungskraft überzeugen, dass ich wirklich ein höheres Gehalt wert bin“, sagt Zaborowski.
Datenqualität bleibt offene Frage
Offen bleibt zudem die Frage nach der Datenqualität. Immerhin hängt die Aussagekraft einer Gehaltsangabe nicht nur von der zugrunde liegenden Datenmenge, sondern auch von Differenzierungsmerkmalen des jeweiligen Jobtitels ab, worauf Böck mit Nachdruck verweist. Die Güte der Angaben, wie etwa der Hinweis, ob sie sich aus Datenbanken oder Unternehmensangaben herleiten, „sollte klar ersichtlich sein“, fordert Christoph Beck, Professor für Betriebswirtschaft und Personalmanagement an der Hochschule Koblenz. „Dann kommt die Initiative bei Bewerbern auch gut an.“
Klappt das, könnten auch die Unternehmen überzeugt werden – schließlich basiert das Geschäft Stepstones darauf, die passenden Bewerber auch zu erreichen. So könnten, glaubt Blogger Zaborowski, selbst Unternehmen, die sich vorübergehend von Stepstone abwenden, wiederkommen, wenn sie auf anderem Wege weniger erfolgreich beim Recruiting sind.