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Topsharing: Geteilte Führung, doppelte Power

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Befreundete Kolleginnen an Schreibtisch
Bild: Sergey Nivens/Fotolia.de

Einen Posten mit zwei Führungskräften besetzen? Geht nicht – so oftmals die Reaktion in der Geschäftsführung. Dass es doch geht und „Topsharing“ auch Vorteile für den Arbeitgeber mit sich bringt, zeigen die Beispiele der Deutschen Telekom IT und Daimler. Es wird Zeit, das Thema für das Recruiting zu nutzen.

Als Nicole Dorazil vor über fünf Jahren die Stellenanzeige für eine Tandem-Führungsrolle las, war sie überrascht, dass es solche Angebote überhaupt gibt. Die Telekom hatte für ihren IT-Bereich T-Systems eine Teamleiterstelle im Bereich Application Management Solution ausgeschrieben, die im Tandem besetzt werden sollte. Tanja Niebert, die bereits seit 2001 im Unternehmen tätig war, und Nicole Dorazil bewarben sich und bekamen den Job. Zuvor durchliefen beide ein Tandem-Assessment-Center, um herauszufinden, wie sie gemeinsam Aufgaben angehen und Entscheidungen treffen würden. Vor allem wurde im Auswahlgespräch darauf geachtet, ob sie das gleiche Führungsverständnis haben. „Das ist die wichtigste Voraussetzung, damit die Zusammenarbeit im Tandem funktioniert“, ist Nicole Dorazil überzeugt. Ist das gegeben, habe die Tandemführung nur Vorteile: „Wir ergänzen uns in fachlichen Qualifikationen, können zeitkritische Themen mit doppelter Manpower schneller erledigen und können die Präsenz an verschiedenen Standorten leichter abdecken.“

Gestartet sind die Tandempartnerinnen mit einer Aufteilung von 60 und 80 Prozent bei insgesamt rund 50 Wochenstunden. Seit Januar 2017 hat Tanja Niebert auf 32 Stunden aufgestockt und zusätzliche Themen ohne festen Teambezug übernommen. Niebert: „Ich bin zufrieden, dass auf meinen Wunsch nach Arbeitszeiterhöhung flexibel reagiert wurde, ohne die Tandemsituation aufzulösen.“
Ihre Arbeitstage vereinbaren sie flexibel: Jeweils zu Beginn einer Woche legen sie gemeinsam fest, wer wann arbeitet. Jeder erledigt das, was jeweils am Tag anfällt. So müssen Aufgaben und Mitarbeiter auch nicht aufgeteilt werden. Ihre unterschiedlichen Stärken lassen sich für das Unternehmen nutzen: Dorazil bringt als studierte Wirtschaftswissenschaftlerin Fachkenntnisse im Bereich Business Development & Innovation mit, während Niebert als Informatikerin über mehr Erfahrungen in der Anwendungsentwicklung verfügt. Gegenüber ihrem Team – dazu gehören rund 30, vorwiegend männliche, Mitarbeiter – treten sie als Duo auf und werden so auch von Kunden und Vorgesetzten wahrgenommen.

Kaum Teilzeitführung auf oberen Ebenen

Solche Führungs-Tandems gibt es allerdings immer noch selten in deutschen Chefetagen. Während die Teilzeit vor allem bei berufstätigen Frauen immer gängiger wird, fristet Teilzeitführung in deutschen Unternehmen noch ein Nischendasein: Laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung lag der Anteil der Teilzeitbeschäftigten mit Managementaufgaben zuletzt bei elf Prozent; bei herausragenden Führungsposten bei nur sechs Prozent. Obwohl sowohl Frauen als zunehmend auch Männer gerne ihre Arbeitszeit verringern würden, um mehr Zeit für Familie, Weiterbildung oder persönliche Hobbys zu haben, ist das Modell der Teilzeitführung auf oberen Führungsebenen noch kaum vertreten. „Bisher wird es noch verstärkt von weiblichen Führungskräften auf unteren und mittleren Führungsebenen angenommen“, sagt Anja Karlshaus, Professorin für Personalmanagement an der Cologne Business School.

In vielen Unternehmen herrscht immer noch der Mythos vor, dass es in der Führung eine(n) starke(n) Alleinherrscher(in) braucht. „Der Vorteil beim Topsharing ist aber gerade der, dass Unternehmen eine Doppelspitze mit möglichst sich ergänzenden Stärken besetzen können, die zusammen bessere Entscheidungen treffen, auch weil der eine für den anderen jeweils ein guter Sparringspartner ist“, sagt Jana Tepe, die 2013 mit ihrer Partnerin die Jobsharing-Plattform Tandemploy, eine Kontaktbörse für Jobsharer und Unternehmen, gegründet hat.
Anders als bei der klassischen Teilzeit, in der oftmals vollzeitnah gearbeitet wird, begleitet von dem Gefühl ständiger Unzufriedenheit über liegen gebliebene Arbeit, hat Topsharing aus ihrer Sicht einen großen Vorteil: Der Tandempartner kann sich darauf verlassen, dass der andere seine Arbeit (gut) zu Ende bringt, denn die Jobsharer entscheiden in der Regel selbst, wie sie ihre Aufgaben und Verantwortungsbereiche aufteilen.

Viele Vorbehalte sind unberechtigt

Katrin Hörber und Katharina Bleck sind eins von 16 Topsharing-Paaren auf Abteilungsleiter-Ebene bei Daimler. Seit zwei Jahren leiten sie gemeinsam die Einkaufs- und Baurevision des Automobilkonzerns und setzen alles daran, dass die Zusammenarbeit funktioniert. „Wir haben gemeinsam ein Konzept für ein Zusammenarbeitsmodell entwickelt und uns dann auch gemeinsam auf unsere jetzige Stelle beworben. Da wir aus unterschiedlichen Bereichen kommen, ergänzen wir uns gut und haben zudem vollstes Vertrauen zu dem anderen und das gleiche Werte- und Führungsverständnis“, sagt Katrin Hörber, die mit ihrer Partnerin und zehn Mitarbeitern weltweit Revisionsprüfungen im Bereich Einkauf und Bau durchführt.

Reibungsverluste und Abstimmungsprobleme gebe es nicht, da beide Partnerinnen die Verantwortung für die projektbezogenen Audits klar aufteilen und die Mitarbeiter wissen, an wen sie sich jeweils wenden können.
Auch die Teamleiterinnen von T-Systems teilen den im Zusammenhang mit Topsharing stehenden Vorbehalt nicht, dass der Aufwand für Absprachen und Projektkoordination die Zusammenarbeit erschwert:

Unsere tägliche Übergabe dauert nur wenige Minuten. Jeder von uns steckt in den Themen so weit drin, dass beide sowohl Mitarbeitern als auch der Geschäftsleitung kompetent Auskunft geben können.

Die Doppelspitze hat noch einen weiteren Vorteil. Dorazil: „Ist einer im Urlaub, gibt es einen wirklich kompetenten Vertreter und nicht nur einen Mitarbeiter, der E-Mails nur weiterleitet.“ Auch bei Meetings können sich beide gegenseitig vertreten und im Nachgang für den anderen das Wichtigste zusammenfassen – für das Tandempaar hat sich dadurch die Arbeitseffizienz erhöht.

Perspektivwechsel sorgt für ein gesundes Gleichgewicht

Dass der Erfolg ihres Tandems nicht selbstverständlich ist und es Hürden geben kann, wissen die beiden Managerinnen: Ohne die Rückendeckung der Geschäftsführung und eine Kultur, die offen für flexible Arbeitsmodelle ist, würde es nicht funktionieren.
Doch hier liegt oftmals der Haken, wie Yannik Franken, der im Januar 2017 mit seiner Partnerin Svenja Christen die Unternehmensberatung Jobsharing Hub in Berlin gegründet hat, beobachtet: „Oftmals wird Teilzeitführung ‚nur‘ als vorteilhaft für den Arbeitnehmer gewertet und es gibt keine strategische Vorgehensweise.“
Aus seiner Sicht braucht es einen Perspektivwechsel, der auch die Vorteile für das Unternehmen ins Blickfeld rückt. So lasse sich das Instrument im Recruiting beispielsweise zur Erschließung neuer Zielgruppen und zur Führungskräfteentwicklung wertstiftend für Unternehmen und Bewerber einsetzen: „Sucht zum Beispiel ein Unternehmen das passende Pendant zu einer erfahrenen Führungskraft, könnte im Recruiting-Prozess mittels Eignungsdiagnostik eine Nachwuchsführungskraft gewonnen werden, für den der langjährige Mitarbeiter ein guter Sparringspartner ist. Der junge Universitätsabgänger ist wiederum mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgestattet – ein starkes Tandem ist geboren.“

Auch an anderer Stelle zeige sich der Mehrwert dieses Modells für das Unternehmen, nämlich dann, wenn Positionen stärker entsprechend den Anforderungen an eine Stelle besetzt werden. Ein Beispiel wäre eine Schnittstellenposition zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Marketing, die mit einem Führungstandem besetzt werden kann, wobei einer zum Beispiel Marketing- und der andere Vertriebsexperte ist.

Hierfür braucht es moderne HR-Verantwortliche, die ‚out of the box‘ denken und frühzeitig den Blick darauf richten, welche Fachabteilungen welche Stellen mit dem entsprechend geforderten Know-how besetzen wollen.

Franken: „Jobsharing muss auf konkrete, businessrelevante Ziele einzahlen. Diesen Mehrwert für das Unternehmen zu erkennen und gegenüber der Geschäftsführung und Führungskräften zu kommunizieren, ist die wichtige Rolle von HR. Ansonsten bleibt die Teilzeitführung in den Augen der Geschäftsführungsriege ein Muttimodell für Ausnahmefälle von Frauen, die nach ihrer Familienpause wieder einsteigen wollen.“

Jana Tepe von Tandemploy empfiehlt Unternehmen, sich auch die monetären Vorteile stärker vor Augen zu führen: „Im Krankheitsfall eines Sharing-Partners ist immer noch der andere da, der die Prozesse am Laufen hält. Der Totalausfall eines Fulltime-Mitarbeiters würde viel härter zu Buche schlagen, zumal dieser oftmals auch nicht kompetent vertreten werden kann.“

+++ Dieser Beitrag stammt aus dem Recruiting Guide 2018. Kontakte zu Recruiting-Beratern und Dienstleistern finden Sie › hier. +++