Die Kultur am Arbeitsplatz ist offener und integrativer geworden, da Unternehmen und Regierungen sich für Vielfalt, Wohlbefinden und Gerechtigkeit einsetzen. Dieser kulturelle Wandel führt zu mehr Transparenz bei einem der letzten Tabus: der Kommunikation der Vergütung.
Die Vergütungsstrukturen vieler Unternehmen sind undurchsichtig und nicht immer fair. Menschen werden für die gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt, wobei Frauen und Minderheiten oftmals den Kürzeren ziehen. Neue Mitarbeitende und solche, die zu gehen drohen, werden oft besser bezahlt als Beschäftigte, die dem Arbeitgeber treu bleiben. Dies kann zu einer Stimmung des Misstrauens und der Unzufriedenheit führen – und zu einer allgemeinen Verringerung des Engagements bei diesen Mitarbeitenden.
Die Vergütung wird jedoch zunehmend transparenter. Arbeitgeber müssen die Auswirkungen verstehen und bereit sein, auf die Risiken und Chancen zu reagieren, die sich aus der Vergütungstransparenz ergeben.
Aber was bedeutet eigentlich Vergütungstransparenz? Sie bezieht sich auf den Grad der Offenheit des Arbeitgebers in Bezug auf die Frage, welche Leistung warum, wie und in welcher Höhe vergütet wird – und inwieweit er es erlaubt, dass Beschäftigte diese Informationen mit anderen teilen. Das bedeutet: Bestehende und potenzielle Mitarbeitende benötigen Unterstützung, damit sie verstehen, wie ihr Gehalt im Kontext der Markt- und Geschäftsrealitäten festgelegt wird.
Mehr Informationen und gestiegene Erwartungen
Die Informationen über die Vergütung und die Erwartungen an die Transparenz sind aufgrund folgender Faktoren gestiegen:
- Die Gesetzgebung in Europa und in Nordamerika öffnet den Zugang zu Gehaltsinformationen und beeinflusst die Normen für die Offenlegung.
- Ein angespannter Arbeitsmarkt und eine hohe Inflation haben die Verhandlungsmacht einiger Gruppen von Arbeitskräften gestärkt. Ihr Ziel ist es, den Verlust ihrer Kaufkraft zu verhindern.
- Es stehen mehr Informationen zur Verfügung, die es den Menschen ermöglichen, Nachforschungen anzustellen und ihr Gehalt zu vergleichen – auch in Onlineforen und auf Websites wie Glassdoor.
Darüber hinaus findet ein Generationenwechsel statt. Jüngere Mitarbeitende, die im Zeitalter der sozialen Medien aufgewachsen und zu einer unsicheren Zeit in das Berufsleben eingetreten sind, sprechen eher mit Freunden und Kollegen über ihr Gehalt. Die kommende Generation erwartet mehr Transparenz. Unternehmen in Europa beginnen zu reagieren. Mercer-Daten zeigen, dass 44 Prozent der Arbeitgeber planen, die Vergütungstransparenz zu erhöhen. Bei der Frage, ob sie Angaben zum Grundgehalt in Stellenausschreibungen machen, nehmen sich 81 Prozent der Arbeitgeber dies nur vor, wenn es gesetzlich vorgeschrieben ist.
Das Unternehmensimage steht auf dem Spiel
Aktiv managen statt nur zu reagieren: Nach dieser Devise sollten Unternehmen handeln. Ein reaktives Vorgehen ist nicht ausreichend. Doch nur ein Viertel der Arbeitgeber betrachtet die Vergütungstransparenz als eine ihrer wichtigsten Prioritäten. Daten aus Mercer-Studien zeigen, dass bei den Unternehmen, welche die Vergütungstransparenz erhöhen wollen, die Employee Experience und die Vergütungsgerechtigkeit die wichtigsten Gründe dafür sind.
Wenn Arbeitgeber keine Maßnahmen zur Erhöhung der Vergütungstransparenz ergreifen, laufen sie Gefahr, dass sich ihre Belegschaft auf Informationen aus zweiter Hand verlässt. Der Ruf des Unternehmens steht auf dem Spiel, wenn sie es versäumen, Probleme in ihrer Gehaltsstruktur anzugehen. Die Zunahme der obligatorischen und freiwilligen Berichterstattung über Vergütungsunterschiede hat Ungerechtigkeiten aufgrund des Geschlechts und anderer Erwägungen aufgedeckt. Große Unternehmen sehen sich infolgedessen mit rechtlichen Schritten und unerwünschter Publicity konfrontiert.
Rechtliche Anforderungen und wirtschaftliche Bedingungen
Die Gesetzgebung ist eine der wichtigsten Triebfedern der Vergütungstransparenz. Das Recht der Mitarbeitenden auf Gehaltsinformationen hat dazu beigetragen, den Vergütungsunterschied in Deutschland und anderen europäischen Staaten wie Österreich und der Schweiz zu verringern. Dieses Ziel steht auch im Mittelpunkt der EU-Richtlinie zur Lohngleichheit und Lohntransparenz. Der Vorschlag zur Richtlinie sieht Folgendes vor:
- Arbeitgeber müssen in Stellenausschreibungen die Höhe des Anfangsentgelts oder eine Entgeltspanne angeben.
- Mitarbeitende haben das Recht, von ihrem Arbeitgeber Informationen über ihr eigenes Entgelt und das durchschnittliche Entgelt für gleichwertige Arbeit, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, zu verlangen.
- Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten müssen Informationen über den Vergütungsunterschied zwischen Männern und Frauen (Gender Pay Gap) veröffentlichen. Diese Verpflichtung kann auf Arbeitgeber mit 50 oder mehr Beschäftigten ausgedehnt werden.
Auch die in den US-Bundesstaaten erlassenen Gesetze zur Vergütungstransparenz sind von Bedeutung. In New York City, Colorado und Kalifornien sind Arbeitgeber nun verpflichtet, in Stellenanzeigen Gehaltsspannen zu veröffentlichen. In diesen Bundesstaaten sind viele weltweit tätige Unternehmen ansässig. In einem globalen Markt für Talente erwarten wir, dass Transparenz zur Norm wird, da internationale Unternehmen ihre Praktiken in den verschiedenen Märkten angleichen.
Die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt verstärken diesen Druck noch. Besonders gefragte Arbeitskräfte in bestimmten Branchen fordern höhere Löhne. Dies gilt insbesondere, da die Inflation den höchsten Stand seit Jahrzehnten erreicht hat. Die weltweiten Daten von Mercer zeigen, dass 42 Prozent der Mitarbeitenden nicht glauben, dass sie fair bezahlt werden. Nur 50 Prozent glauben, dass ihre Bezahlung ihre Leistung widerspiegelt. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch der Meinung sind, dass sie fair bezahlt werden, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie im Unternehmen bleiben.
Argumente gegen Einwände
Transparenz bei der Entlohnung bedeutet nicht, dass die individuelle Vergütung jedes Mitarbeitenden uneingeschränkt offengelegt wird. Es ist auch nicht das gleiche wie faire Bezahlung – obwohl beide miteinander verbunden sind –, aber Transparenz kann dazu beitragen, die Bezahlung fairer zu gestalten. Und eine gerechte Bezahlung bedeutet nicht, dass alle gleich bezahlt werden. Eine transparente Gehaltsstruktur bietet weiterhin Raum für Diskretion bei der Entlohnung von Leistung und besonderen Fähigkeiten.
Wenn wir mit Arbeitgebern sprechen, die vor der Einführung von Lohntransparenz zurückschrecken, haben sie zwei Hauptbedenken: Zum einen befürchten sie, dass die Transparenz sie der Kritik an ungerechter Vergütung aussetzt. Zum anderen gehen sie davon aus, dass Transparenz nicht mehr zurückgenommen werden kann. Unsere Antwort darauf lautet, dass eine größere Vergütungstransparenz unvermeidlich ist: Arbeitgeber müssen proaktiv vorgehen und dafür sorgen, dass die eigenen Verfahren und Strategien fair strukturiert sind, und diese nutzen, um Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten.
Ein weiterer Einwand gegen die Vergütungstransparenz ist, dass sie unweigerlich die Lohnkosten in die Höhe treiben wird, weil die weniger gut bezahlten Mitarbeitenden mehr verlangen werden. Möglich ist, dass einige von ihnen Gehaltserhöhungen erhalten werden, aber das muss nicht zwangsläufig zu höheren Gesamtkosten führen. Eine transparente Struktur kann Führungskräfte nämlich auch in die Lage versetzen, Forderungen von gut bezahlten Beschäftigten zu widerstehen, die am lautesten schreien oder damit drohen, das Unternehmen zu verlassen.
Trümpfe der Lohntransparenz
Die Einführung von Lohntransparenz ist eine Chance, denn sie kann Vertrauen und Engagement bei den Mitarbeitenden aufbauen. Die 42 Prozent der Mitarbeitenden, die sich unterbezahlt fühlen, sind vielleicht zufriedener, wenn sie ihren Rang in einer klaren Struktur sehen können. Außerdem kann die Förderung der Lohngleichheit zur Transparenz beitragen und die in der heutigen Wirtschaft erforderliche Vielfalt am Arbeitsplatz vorantreiben. Frauen und Minderheiten erhalten eine klarere Vorstellung von ihrem Wert für das Unternehmen. Organisationen, die bereits Vergütungstransparenz praktizieren, haben folglich das Potenzial, ein attraktiverer Arbeitgeber für talentierte Menschen aus diesen Gruppen zu sein.
Wie lässt sich also der Wandel hin zu mehr Vergütungstransparenz gestalten? Zunächst sollten sich Arbeitgeber einen Überblick über ihren konkreten Weg hin zu mehr Vergütungstransparenz verschaffen. Wir empfehlen, diese ersten drei Schritte durchzuführen:
- Bewerten Sie Ihre Situation: Machen Sie sich ein Bild davon, wie gut Ihre Arbeitsplätze definiert sind, wie Ihre Vergütungsstrategie aussieht, wie gerecht Sie Ihre Mitarbeitenden bezahlen und wie Ihre Beschäftigten ihre Vergütung sehen.
- Festigen Sie Ihre Grundlagen: Untersuchen Sie die Strukturen, analysieren Sie die Vergütungsgerechtigkeit und beheben Sie Aspekte, die nicht richtig funktionieren. Stellen Sie sicher, dass die Stellen richtig definiert sind, und überarbeiten Sie die Vergütungsstrukturen.
- Klären Sie die Kommunikation: Überlegen Sie, wie Sie das Gehaltskonzept kommunizieren wollen, damit die Mitarbeitenden Ihnen vertrauen. Stellen Sie sicher, dass Management und HR-Verantwortliche entsprechend geschult und bereit sind, Fragen zu beantworten.
Folgende weitere Schritte machen es möglich, die Vergütungstransparenz im gesamten Unternehmen zu verankern:
- Setzen Sie Transparenz um: Nutzen Sie digitale Technologien, um Gehaltsinformationen zu kommunizieren. Geben Sie Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihr potenzielles Einkommen einzusehen, und entwickeln Sie die Gehaltsstrukturen.
- Erzählen Sie Ihre Geschichte: Definieren Sie Ihre allgemeine Botschaft und erstellen Sie passende Informationen für verschiedene Zielgruppen – von Bewerbenden bis hin zu neuen Mitarbeitenden und Managerinnen und Managern.
- Messen Sie die Wirkung: Führen Sie Umfragen unter Bewerbenden und Mitarbeitenden durch, um herauszufinden, warum Menschen bei Ihnen arbeiten wollen und ob sie der Meinung sind, dass sie fair bezahlt werden.
Letztlich sollten Arbeitgeber zudem bedenken, dass Vergütung nur ein Teil des Gesamtpakets ist, das sie anbieten, um Talente anzuwerben, zu halten und zu motivieren. Viele Unternehmen bieten wertvolle Anreize und Vorteile wie Altersvorsorge und Flexibilität, aber Mitarbeitende kennen beziehungsweise verstehen vielleicht gar nicht alle Teile des gesamten Pakets. Auch hier ist entsprechende Kommunikation notwendig.
Mit einer transparenten Gehaltspolitik lässt sich viel gewinnen – wenn Unternehmen sich auf den Wandel einlassen. Sie sollten sicherstellen, dass die Strukturen stimmen, damit sie für Transparenz bereit sind und ihre Botschaften mit Überzeugung transportieren können.
John Langenuis
Senior Associate
Mercer
john.langenius(*)mercer(.)com
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Lucey Provera
Global Pay Equity Solutions Manager
Mercer
lucey.provera(*)mercer(.)com
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