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International-Mobility-Strategien verlangen Neuaufstellung

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Im Mobility Management sind neue Prozesse, Policies und Konditionen notwendig: zum einen aufgrund der Corona-Pandemie, zum anderen im Zuge veränderter Familien- und Lebensmodelle. Die klassischen Entsendeformen für Mitarbeitende verlieren stark an Attraktivität. Firmen müssen neue Formate entwickeln und sich vor allem flexibler zeigen. Das kann – wie bei hybriden Entsendungen – den Aufenthaltsort der Beschäftigten betreffen, aber auch die Unterbringung im Gastland und das Travel-Budget.

Die Geschäfts- und Mobility-Bereiche der Unternehmen tun sich derzeit schwer, Beschäftigte für einen Auslandseinsatz zu gewinnen. Eine wichtige Ursache dafür liegt in der nach wie vor großen Verunsicherung durch die Corona-Pandemie. Viele potenzielle Kandidaten wollen nicht für längere Zeit ins Ausland ziehen und vor allem nicht ihre Familien mitnehmen. Dies stellt Firmen zunehmend vor existenzielle Fragen, denn schließlich sind in den weltweiten Niederlassungen weiterhin Experten, Fachkräfte und Talente aus den Heimatstandorten gefragt. Die enge Zusammenarbeit über Ländergrenzen und Kontinente hinweg ist für zahlreiche Geschäftsbereiche und Projekte unabdingbar. Hinzu kommt: Auslandserfahrung bleibt auch in Zukunft ein wichtiger Aspekt für die Entwicklung von Führungskräften. 

Um den internationalen Austausch von Führungskräften, Experten und Talenten weiterhin zu gewährleisten, müssen Arbeitgeber ihre Entsendemodelle grundlegend überdenken – eine Forderung, die auch bereits vor Covid-19 laut geworden war. Damals ging es in erster Linie um Kosteneinsparungen sowie eine Flexibilisierung der bislang starren Mobilitätsformen, die im Wesentlichen Kurzzeitentsendungen (bis zu einem Jahr) und Langzeitentsendungen (bis zu drei Jahren) umfassen. Durch die Pandemie erhält die Überarbeitung eine neue Dringlichkeit. In einigen Firmen sind bereits Pilotprojekte gestartet.

Im Fokus: die hybride Entsendung

Im Mittelpunkt dieser Projekte stehen virtuelle Formen der länderübergreifenden Zusammenarbeit. Von diesen versprechen sich Unternehmen eine deutliche Erleichterung bei der Besetzung offener Positionen im Ausland, da der Mitarbeitende in diesen Fällen seinen Aufenthaltsort nicht ändern muss. Klar ist jedoch auch: Den persönlichen Kontakt sowie die direkten Erfahrungen in einer anderen Kultur können Videokonferenzen und Kollaborationssoftware nicht vollständig ersetzen.

Zudem sich bestimmte Tätigkeiten – etwa im Labor oder auf dem Shopfloor – aus dem Homeoffice schlicht und einfach nicht ausüben lassen.

Eine wichtige Rolle spielen daher hybride Lösungen, bei denen die Mitarbeitenden im Rahmen einer Kurz- oder Langzeitentsendung teilweise vor Ort im Gastland und teilweise aus ihrem Heimatland arbeiten.
Vorstellbar ist etwa, dass der Entsendete zunächst für drei Monate im Gastland tätig ist, um sich mit dem Team und der Kultur vertraut zu machen. Im weiteren Verlauf arbeitet er virtuell mit seinem Team zusammen und besucht es nur nach Bedarf. Zum Abschluss bleibt er noch einmal für einen längeren Zeitraum vor Ort bleibt, um das Projekt zu beenden. Der große Vorteil einer solchen Regelung: Die Familien können sicher zu Hause bleiben, während der Entsendete und seine Firma von dem Auslandseinsatz profitierten. Nicht zuletzt sparen Unternehmen auf diesem Weg auch Kosten ein.

Talentpool vergrößert sich

Diese neuen Formate machen sich nicht nur in Pandemiezeiten bezahlt, sondern haben auch langfristig Vorzüge – etwa, wenn es um die Diversität des Talentpools geht: So ist bislang der deutlich überwiegende Teil der Langzeitentsendeten männlich. In der Regel werden sie von ihren Partnerinnen und ihrer Familie ins Ausland begleitet. Ist dies jedoch aufgrund der möglichen Remote-Phasen nicht länger notwendig, lassen sich auch mehr weibliche Talente für eine Entsendung gewinnen. Auch für Dual Career Couples werden Auslandsentsendungen mit hybriden Modellen attraktiver. Kinder im Schulalter müssen das Land und die Schule nicht wechseln. Insgesamt bedeutet die Flexibilisierung des Aufenthaltsorts, dass sich der Talentpool deutlich erweitert. Ein ähnlich positiver Effekt ergibt sich, wenn Unternehmen auch in anderen Konstellationen als der Entsendung hybride Formen der länderübergreifenden Zusammenarbeit anbieten: So können sie möglicherweise internationale Talente eher für sich gewinnen, wenn mit der neuen Stelle nicht zwangsläufig ein Umzug in ein anderes Land verbunden ist, sondern gelegentliche Geschäftsreisen ausreichen.

Neue Entsendemodelle: nicht ohne eingehende Prüfung

Keinesfalls zu empfehlen ist jedoch, in der Euphorie über die neuen Möglichkeiten Beschäftigten ohne eingehende Prüfung pauschal zu eröffnen: „Ihr könnt ab jetzt alle arbeiten, wo ihr wollt.“ Denn möglicherweise muss das Unternehmen in diesem Fall einen Rückzieher machen und enttäuscht oder verärgert die betreffenden Mitarbeiter.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass zunächst geklärt wird, welche Modelle und Szenarien für welche Fach- und Führungskräfte und welche Tätigkeiten erwünscht beziehungsweise möglich sind. Im Rahmen einer systematischen Betrachtung lassen sich drei Kategorien unterscheiden, aus denen jeweils unterschiedliche Fragestellungen resultieren:

  • Businessgetriebene Bedürfnisse: Welche Notwendigkeiten bestehen, um die reibungslose und erfolgreiche Geschäftstätigkeit des Unternehmens sicherzustellen? Welchen Mitarbeitenden brauche ich vor Ort? Ist eine Anwesenheit im Ausland unabdingbar, oder lassen sich seine Aufgaben teilweise oder vollständig remote erfüllen?
  • Talentgetriebene Bedürfnisse: Wie wirkt sich die Mobility-Strategie auf die Gewinnung und Bindung von Talenten aus? Können wir Fach- und Führungskräfte aus anderen Ländern mit hybriden Formen internationalen Arbeitens leichter rekrutieren? Oder: Lassen sich mit hybriden Modellen mehr weibliche Talente für Entsendungen gewinnen?
  • Mitarbeitergetriebene Bedürfnisse: Welche Formen der virtuellen Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg fördern die Zufriedenheit und Motivation der international mobilen  Arbeitnehmer? Wie weit will ein Unternehmen ihren Wünschen entgegenkommen?

Unter Berücksichtigung dieser drei zentralen Aspekte gilt es zu klären: 

  • Welche Formen hybrider Zusammenarbeit wollen wir unterstützen?
  • Welche traditionellen Formen sollen weiterhin angeboten werden?
  • Wie sollen die traditionellen Formen nachjustiert werden, um mehr Flexibilität für das Unternehmen und die Mitarbeitenden zu gewinnen?

Entscheidungsbaum entwickeln

Die hybriden Formen der Entsendung sollen die klassischen nicht ersetzen, sondern vielmehr ergänzen. Hinzu kommt: Bevor neue Modelle implementiert werden, müssen die aus ihnen resultierenden Fragen zum Betriebsstättenrisiko, zur Sozialversicherung, zum Aufenthalts- und Arbeitsrecht sowie zur Steuerpflicht geklärt werden. Dazu werden idealerweise crossfunktionale Teams mit Experten aus den betroffenen Bereichen Mobility, Recht, Steuern und Talentakquise gebildet. Auf diese Weise lässt sich sicherstellen, dass bei der Entwicklung neuer Modelle alle relevanten Perspektiven einfließen und nicht später aufwendig beziehungsweise für die Mitarbeitenden enttäuschend nachjustiert werden muss.

Zu empfehlen ist es, im ersten Schritt verschiedene Mobilitätsszenarien aufzuzeigen und im zweiten Schritt ihre Vor- und Nachteile zu prüfen. Zum Beispiel:

  • Was sind die Hürden, wenn ein Mitarbeitender nicht klassisch entsendet wird, sondern abwechselnd im Heim- und Gastland arbeitet?
  • Wo liegen die Showstopper, die ein beschriebenes Szenario unattraktiv machen? Lässt sich die Tätigkeit wirklich remote ausüben?
  • Darf ein Arbeitnehmer aus körperschaftssteuerlichen Gründen in einem Land nicht im Homeoffice arbeiten, weil die Firma dort keine Niederlassung hat?

Auf diese Weise lassen sich Entscheidungsbäume entwickeln, anhand derer ganz systematisch entschieden werden kann, ob eine bestimmte grenzüberschreitende Arbeitsform in Frage kommt oder nicht.

Bedingungen für das Modell Workation

Immer häufiger zählt zu den neuen Szenarien auch der Trend zu Workation, die immer mehr Firmen aufgrund der großen Nachfrage aus der Mitarbeiterschaft – also aus talent- und mitarbeitergetriebenen Bedürfnissen – anbieten möchten. Der Name – zusammengesetzt aus Work und Vacation – verrät dabei schon, worum es geht: Für eine begrenzte Zeit kann der Arbeitnehmer im Ausland arbeiten und dort den Feierabend oder das Wochenende am Strand verbringen. Attraktiv ist dies zum Beispiel im Anschluss an einen Urlaub oder Familienbesuch im Ausland, aber auch als motivierender Tapetenwechsel an einen Ort der Wahl. Der Wunsch nach Workation wird von den Mitarbeitenden immer häufiger geäußert. Viele Unternehmen wollen Leistungsträger binden und nicht an die Konkurrenz verlieren, die mit entsprechenden Angeboten lockt.

Wichtig ist jedoch, dass zunächst geklärt wird, welche Szenarien für welche Fach- und Führungskräfte und welche Tätigkeiten aus Sicht des Unternehmens erwünscht und möglich sind. Hierzu können zum Beispiel Modelle erarbeitet werden, bei denen Mitarbeitende die Möglichkeit erhalten, unter bestimmten Voraussetzungen einmal oder mehrmals im Jahr bis zu einer vordefinierten Anzahl von Arbeitstagen in einem anderen Land zu arbeiten.

Mehr Flexibilisierung bei Lang- und Kurzzeitentsendungen

Neben der Entwicklung neuer Entsendemodelle im hybriden Format geht das Umdenken inzwischen weiter. Es betrifft die grundsätzliche Flexibilisierung von Lang- und Kurzzeitentsendungen.
Denn, so zeichnet sich ebenfalls ab: Mit den bisherigen starren Policies und Konditionen wird es immer schwieriger, die passenden Talente für Auslandspositionen zu gewinnen. So berücksichtigen diese nicht, dass sich  Familienstrukturen und Lebensmodelle stark verändert haben. Zum Beispiel erlauben sie kaum, dass eine Alleinerziehende oder ein Alleinerziehender ins Ausland geht, da in diesen Fällen die Kinderbetreuung sehr viel schwieriger zu organisieren ist. Ebenso wenig liefern sie eine passende Antwort darauf, dass ein Single vielleicht gar nicht die pauschal angesetzten Heimflüge nutzen und stattdessen lieber durch das Gastland reisen möchte.

Auch bei Budgetplanung Familienmodelle berücksichtigen

Insgesamt gilt es, die gängige Definition von Familie zu überdenken und die Budgets – zum Beispiel für Housing und Heimflüge – so flexibel zu gestalten, dass die Wunschkandidatinnen und -kandidaten für eine Position attraktive Wahlmöglichkeiten haben. Dass sie zum Beispiel im Sinne einer einfacheren Kinderbetreuung auch andere Angehörige als den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin mit ins Gastland nehmen können. Oder dass sie nach dem sogenannten Dial-up-/Dial-down-Prinzip das Housing-Budget runter- und das Travel-Budget hochsetzen können. Auch Cash-out-Ansätze sind eine von den Mitarbeitenden oftmals geschätzte Option, die aus steuerlicher Sicht allerdings meist ungünstig ist. Kritisch zu sehen sind vor allem sogenannte Cafeteria-Ansätze, bei denen der Entsendete ein ihm zugeteiltes Budget weitgehend frei verwenden kann. Diese verursachen einen sehr hohen Verwaltungsaufwand, da jeder Entsendevertrag, jede Steuererklärung und jede Payroll individuell ausfällt.

Talentgewinnung im Vordergrund

Grundsätzlich gilt bei der dringend notwendigen Überarbeitung der Policies und Konditionen: Die Angebote müssen sehr viel stärker an den individuellen Bedürfnissen der Entsendeten ausgerichtet werden – und weniger an standardisierten Prozessen.

Laut der aktuellen EY-Studie melden 63 Prozent der Teilnehmer: Der Haupttreiber bei der Gestaltung der Mobilitätsstrategie (Mobility Purpose) ist die Talentgewinnung und -bindung. Danach steigt auch im Verhältnis zu den businessgetriebenen Bedürfnissen der Geschäftsbereiche die Bedeutung der talent- und mitarbeitergetriebenen Bedürfnisse stark an. Werden unter diesen Voraussetzungen neue Entsendemodelle sorgfältig und ausgewogen konzipiert, zahlen sie auf die Ziele des Unternehmens ein und steigern gleichzeitig seine Attraktivität als Arbeitgeber deutlich. Oder andersherum formuliert: Firmen, die sich gegen neue Entsende- und Arbeitsformen sperren, werden künftig im globalen Wettkampf um die besten Talente große Nachteile haben.

Jens Goldstein
Partner
Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
jens.goldstein(*)de.ey(.)com
www.ey.com/de

Gordon Rösch
Partner
Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
gordon.roesch(*)de.ey(.)com
www.ey.com/de

David Rooney
Executive Director
Ernst & Young GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
david.J.Rooney(*)de.ey(.)com
www.ey.com/de