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Round Table MAB: Wettbewerbsvorteil in Krisen

14. Juli 2025 von Christina Anastassiou

Die Mitarbeiterbefragung wird in den aktuellen Krisenzeiten wichtiger. Resilienz, mentale Gesundheit und Führung werden vor allem abgefragt. KI kann Impulse geben, aber ohne die menschliche Einordnung geht es nicht.

Globale Konflikte, geopolitische Umbrüche, Dauerkrise in der deutschen Wirtschaft – auf den ersten Blick scheint es für hiesige Unternehmen Wichtigeres zu geben als Mitarbeiterbefragungen (MAB). Doch weit gefehlt! Wie die Expertinnen und Experten des Round Table MAB der Personalwirtschaft berichten, können die aktuellen Krisen dem Wunsch der Unternehmen nach Feedback ihrer Mitarbeitenden nichts anhaben. Im Gegenteil: Gerade in Krisen sind sie ein gutes Instrument, um die Belegschaft bestmöglich durch die herausfordernden Zeiten mitzunehmen und trotz der äußeren Umstände zum erfolgreichen Arbeiten zu motivieren. „Die Mitarbeiterbefragung wird nicht an Bedeutung verlieren, nur weil es Krisen gibt“, sagt Gerhard Bruns, Geschäftsführer des geva-instituts. In den vergangenen Jahrzehnten habe es immer wieder wirtschaftliche Krisen gegeben, und gerade in schwierigen Zeiten sei es wesentlich, auf Mitarbeiterbindung zu achten.

Ingrid Feinstein, Service Line Lead EX Germany bei Ipsos, ergänzt, sie nehme seit einigen Jahren eine Veränderung wahr: „Immer mehr Unternehmen brauchen mehr Feedback. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel bringen sie dazu, verstärkt zu fragen, wie sie Talente anziehen und binden können. Sie beobachtet, dass daher auch verstärkt Menschen mit Profilen in die Unternehmen geholt werden, die sich auf Employee Experience Management (EXM) spezialisiert haben.

Auch Eva Sziber, Principal Strategic People Advisory bei Mercer, hält die Mitarbeiterbindung gerade in Krisenzeiten für sehr wichtig: „Wenn Unsicherheit herrscht, ist es entscheidend, dass Mitarbeitende ihrem Unternehmen vertrauen – und bleiben möchten.“ Doch einfacher macht die Krisenzeit das Employee Listening nicht. Die im März durchgeführte, globale EX-Trendstudie von Mercer unter 1.400 HR-Führungskräften zeigt, welche aktuell die größten Herausforderungen beim Umsetzen von Employee Listening sind. So nannten 39 Prozent der Befragten begrenzte Ressourcen, 33 Prozent fehlende Unterstützung durch Führungskräfte und 32 Prozent ein unzureichendes Budget. „Der Wille ist oft da, aber es fehlt an struktureller Verankerung im Unternehmen“, fasst Sziber zusammen.

Wenn sich hier nichts tut, dann können hohe Kosten auf das Unternehmen zukommen. Patrick Scheib, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Cubia AG gibt zu bedenken, dass das Halten eines Mitarbeitenden – bezogen auf Recruiting, Onboarding und Produktivität – oft deutlich weniger kostet als eine Neubesetzung. Deshalb sei „Mitarbeiterbindung in Krisenzeiten nicht nur „nice to have“, sondern ein essenzieller Wettbewerbsvorteil: Sie sichert Know-how, reduziert Kosten und stärkt die organisatorische Resilienz.“

Das Wichtigste in Kürze

  1. Mitarbeiterbefragungen verlieren in Krisenzeiten nicht an Bedeutung – im Gegenteil: Gerade jetzt ist es wesentlich, die Mitarbeitenden an das Unternehmen zu binden.
  2. Thematische Trends bei den MAB sind unter anderem Resilienz, mentale Gesundheit, Führung in Krisen und Vertrauen. Dazu kommen der Druck zur Transformation und KI.
  3. KI-basierte Audio-Befragungen von Mitarbeitenden sind bereits technisch möglich und werden künftig voraussichtlich stärker eingesetzt für die offenen Kommentare.
  4. KI kann beim Erstellen einer MAB Impulse setzen. Doch menschliche Expertise ist erforderlich, denn die Beratenden ordnen den KI-Output ein, sprechen mit Kunden, planen mit ihnen die nächsten Schritte und begleiten anschließend die Prozesse.
  5. Es sollte für die Mitarbeitenden klar sein, dass die MAB keine Maßnahme des Managements ist, sondern ihr Werkzeug, mit dem sie ihre Zusammenarbeit verbessern können.

„Je häufiger Mitarbeitenden zugehört wird, desto eher haben sie das Gefühl, dass etwas mit ihrem Feedback passiert.“

Dr. Roland Abel, Director, Qualtrics

Der Managing Director von JSS HR & Consulting Services, Jan Stephan Schmaderer, sieht Unternehmen in einem Spannungsfeld. Denn MABs kosten Zeit und personelle Ressourcen, die man in einer volatilen Wirtschaftslage nicht immer unbedingt hat. Gleichzeitig erhöht sich der Veränderungsdruck von außen und es gilt, alle Mitarbeitenden beim Change mitzunehmen. „Viele fragen sich hier, ob sie die notwendigen Mittel haben, in der aktuellen Situation zu investieren.“ Zudem müsse das Top-Management auch akzeptieren, dass Transformationsprozesse nicht nur Geld kosten, sondern auch Zeit brauchen. Employee Retention sei in Krisenzeiten nach wie vor elementar wichtig, um diese Prozesse nachhaltig zu stützen.

Hannah Rexroth, Senior Consultant bei Skopos View, beobachtet zwar, dass Unternehmen, denen es schlecht geht, keine MAB durchführen: „Aber solange du die Krise am Horizont siehst und ausreichend Budget hast, investierst du in deine Mitarbeitenden und guckst, wie es ihnen geht und was du für sie tun kannst.“ Schließlich habe die Unternehmenskultur einen sehr wichtigen Einfluss auf deren Leistung und somit den Unternehmenserfolg.

Perspektivwechsel: Wie sieht es auf Unternehmensseite aus? Bei der Diamant Software hat die MAB ungeachtet der externen Krisen einen hohen Stellenwert. „Die Mitarbeitenden fordern es auch ein“, schildert Susanne Krause-Hennemann, Chief People Officer bei dem Spezialisten für Rechnungswesen und Controlling. Die MAB hilft dem Management dabei, Stimmungsbilder bei den Mitarbeitenden einzufangen und Veränderungsprozesse zu begleiten.

Info zum Round Table

Für ausgewählte aktuelle Themen lädt die Personalwirtschaft Expertinnen und Experten zu einem Round Table ein, um mit ihnen über Trends und aktuelle Entwicklungen zu diskutieren. Die Expertenrunden zum MAB wurde von Lena Onderka, Redakteurin der Personalwirtschaft, moderiert.

Berichte zu unseren Round Tables finden Sie auf unserer Übersichtsseite.

„Die KI-Tools für MAB werden besser, aber ich glaube nicht, dass eine KI Führungskräfte davon überzeugt, ihr Verhalten zu ändern. Beratende werden weiterhin gebraucht werden.“

 

Gerhard Bruns, Geschäftsführer, geva-institut  

Kürzere Abstände und neue Themen

Die MAB ist also gerade in Krisenzeiten relevant. Doch was hat sich im Vergleich zum Vorjahr verändert? Roland Abel, EX Strategy Director EMEA bei Qualtrics, erkennt den „Trend, dass die klassische MAB immer kürzere Fragebögen hat“. Die Landschaft der Instrumente und Formate diversifiziere sich. MAB finden mehr an unterschiedlichen Stellen im Employee Lifecycle statt, im Recruiting-Prozess wird die Candidate Experience abgefragt und mit verschiedenen Puls-Checks soll die Stimmung im Zeitraum zwischen großen Befragungen zu aktuell relevanten Themen im Unternehmen ermittelt werden – auch bei besonderen Zielgruppen, die nicht in der herkömmlichen MAB auftauchen. „Das erhöht das Themenspektrum und den Erkenntnisgewinn“, sagt Abel.

Laut den Teilnehmenden des Roundtables würden thematisch aktuell besonders Resilienz, mentale Gesundheit, Führung und Vertrauen abgefragt werden. „Wie kann ich meine Mitarbeitenden besser auf Krisen vorbereiten?“ – diese Frage interessiert laut Rexroth von Skopos View aktuell Unternehmen. Weitere Aspekte seien gesundheitliche und psychologische Sicherheit. Bruns vom geva-institut nennt als weiteres wesentliches Thema Führung in Krisen: „Wie funktionieren Führungskräfte, wie werden sie von ihren Mitarbeitenden wahrgenommen?“ Dafür brauche man eine gewisse Tiefe der Auswertung, zum Beispiel bis auf die Ebene von Führungskräften, „was aber in manchen Unternehmen gar nicht gewollt ist, um Führungskräften ein Feedback zu ersparen.“

Feinstein von Ipsos ergänzt, dass die Themen in den Befragungen weitgehend stabil sind – zum Beispiel Zusammenarbeit. Es gehe immer darum, was die Beschäftigten motiviere, insbesondere bei Veränderungen. Und eine „ganz große Herausforderung in der heutigen Zeit“ sei das Thema Mitarbeitenden-Vertrauen und psychologische Sicherheit. Eine Veränderung sieht sie aber darin, wie die Unternehmen mit den Daten aus der MAB umgehen. Es werde zunehmend geschaut, welche weiteren Daten man habe und wie sich diese miteinander vernetzen lassen. „Ich sehe uns hier in Deutschland immer noch in den Kinderschuhen im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA“, sagt Feinstein.

Empfehlungen der Round-Table-Teilnehmenden

Dr. Roland Abel

Gerhard Bruns

Dr. Ingrid Feinstein:

Susanne Krause-Hennemann:

Hannah Rexroth:

Patrick Scheib:

Jan Stephan Schmaderer:

Eva Sziber:

 

 

„Immer mehr Unternehmen brauchen mehr Feedback. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel bringen sie dazu, sich verstärkt zu fragen, wie sie Talente anziehen und binden können.“

Dr. Ingrid Feinstein, Service Line Lead EX Germany, Ipsos 

Sziber von Mercer nimmt wahr, dass sich die „Schwerpunkte in der MAB in den letzten Jahren deutlich verschoben haben“. Während früher oft die allgemeine Zufriedenheit oder das Engagement im Fokus standen, rücken heute spezifischere und strategischere Themen in den Vordergrund. Sie nennt vier Themenblöcke auf Basis der globalen EX-Trendstudie ihres Arbeitgebers, nämlich Vertrauen und Fairness, Digitale Transformation und KI- (Künstliche-Intelligenz-)Kompetenz, Resilienz und Anpassungsfähigkeit sowie Skill-Transparenz und Weiterentwicklung. Und zu diesen Blöcken leiten sie dann, wenn nötig, Maßnahmen ab. Ein Beispiel: Auf das – seit dem Allzeithoch 2022 – gesunkene Vertrauen in den Arbeitgeber reagieren Unternehmen laut Sziber, indem sie Themen wie faire Bezahlung, Diversität und Inklusion stärker in den Fokus rücken.

Schmaderer von JSS HR & Consulting Services sieht einen Trend zur Transformation bei den Unternehmen – viele möchten dabei begleitet werden. Es sei wichtig, „Orientierung und Sicherheit zu geben, um durch das momentan schwierige Fahrwasser hindurchzunavigieren“. Hauptthemen bei der MAB seien der externe Druck zur Transformation, zunehmend KI und nach wie vor Inklusion, Diversität sowie psychische Belastungsfaktoren – Stichwort „Psychological Safety“. Es gehe jetzt um „Systemvertrauen. Fahren die Schiffe in die richtige Richtung? Sind wir zukunftsfähig?“ Hier müssen die richtigen Antworten gegeben werden.

Auch bei den MAB der Diamant Software sind Führung und Zusammenarbeit Fokusthemen, die kontinuierlicher Bestandteil sind. „Das gilt gerade in Bezug auf die aktuellen Veränderungsprozesse“, präzisiert Krause-Hennemann. Außerdem häufig abgefragt werde das Vertrauen ins Management nach dem Motto „Können wir während der Transformation Mitarbeiter und Führungskräfte mitnehmen?“ sowie der Bereich Gesundheit.

„Wir erreichen viel mehr, wenn die Teams die Befragungen auch als ihr eigenes Feedback-Tool nutzen.“

Susanne Krause-Hennemann, Chief People Officer, Diamant Software

KI: Einsatz und Grenzen bei der MAB

KI verändert aktuell die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, weshalb sie langfristig auch nicht nur als Themenblock innerhalb der MAB vorkommt, sondern auch die Art und Weise, wie eine MAB entwickelt, durchgeführt und ausgewertet wird, beeinflusst. Doch was kann ein Algorithmus bei der MAB leisten und wo sind weiterhin menschliche Expertise und Beratung erforderlich?

Als Beispiel für die KI-Integration wurde beim Roundtable die KI-basierte Audio-Befragung genannt. Könnte sie zukünftig zum Standard werden? Scheib von der Cubia bezeichnet KI-basierte Audio-Befragungen von Mitarbeitenden aktuell noch als Gimmick, unter anderem, weil aufgrund der Methode unverhältnismäßig große Messfehler auftreten könnten. Das könnte sich in Zukunft allerdings ändern: „Ich denke, eines Tages werden die technischen Hürden überwunden und KI-basierte Audio-Befragungen verbreitet sein.“ Zum Potenzial der KI-gestützten Auswertung von qualitativen Daten im Allgemeinen sagt Scheib: „Längerfristig wird es durchaus möglich, auch methodisch saubere Auswertungen von qualitativen Daten zu erstellen.“ Letztlich komme es darauf an, wie man die Modelle trainiere.

Abel von Qualtrics vermutet, dass viele Unternehmen beim Thema KI-basierte Audio-Befragungen zögern, „weil man für repräsentative statistische Auswertungen ohnehin die schriftlichen Kreuzchen für eine MAB braucht und es unpragmatisch ist, eine Mischung aus mündlichen und schriftlichen Antworten abzugeben.“ Und dann gebe es bei der Audio-Befragung noch Anonymitätsbedenken, weil Stimmen wiedererkannt werden könnten.

Doch Innovation muss auch einen Nutzen haben und darf die Qualität der MAB nicht vermindern. Bruns vom geva-institut sieht einen „freien Fall der Qualitäten. Die methodischen Anforderungen an das, was man von einer Mitarbeiterbefragung in methodischer Hinsicht erwartet, haben in den letzten Jahren aufseiten der Unternehmen stark nachgelassen.“ Er kritisiert, es gehe oft nur darum, eine Innovation zu haben: „Die Ergebnisse verstehen viele zwar nicht, aber sie klingen gut.“ Es sei das Gleiche, als füttere man eine KI mit qualitativen Datensätzen. Das Ergebnis klinge plausibel, sei aber meist empirisch nicht belastbar. Auf Unternehmensseite beobachtet Bruns mehr Unverständnis und Halbwissen als vor zehn oder 20 Jahren. „Was wir heute teilweise erleben, ist zum Teil haarsträubend. Wird in der Zeitung oder in einem Online-Forum eine neue Möglichkeit der Datenerhebung und Interpretation beschrieben, nehmen Unternehmen das gerne auf, ohne es zu hinterfragen oder qualitativ zu beleuchten.“

Rexroth von Skopos View merkt an, es käme beim Einsatz von KI in Befragungen bislang auf den Kontext an, und nennt ein Beispiel: „Wenn ich die Kantine des Unternehmens evaluieren möchte, könnte ich mit KI-basierten Befragungen experimentieren.“ Man könne damit sicherlich Erkenntnisse sammeln, die über einen normalen Fragebogen hinausgingen. „Aber es ist klar, dass man das Instrument bei einer ernsthaften MAB, wo es um Führung und Vertrauen geht, noch nicht einsetzen kann“, sagt sie. Mit Verweis auf die „rasante Entwicklung der KI“ seien KI-basierte Audio-Befragungen aber „definitiv eine Zukunftsvision, die kommen wird“.

Für Feinstein von Ipsos sind KI-basierte Audio-Befragungen keine Vision mehr – es gibt bereits Tools, die das umsetzen: „Aus meiner Sicht steht das Ziel im Vordergrund. Die Frage, die ich in der MAB beantworten will, zeigt mir, welche Methode ich brauche.“ Es steht für sie „außer Zweifel, dass immer mehr Audio eingesetzt wird für die offenen Kommentare.“ Als Beispiel nennt sie Mitarbeitende in Berufen ohne klassischen Büro-Arbeitsplatz, für die es „auch so alltäglich ist, Nachrichten ins Handy zu sprechen, weil sie weder Zeit noch Lust haben, diese zu tippen“. Das werde eine höhere Teilhabe bei dieser Zielgruppe bei der MAB schaffen, denn es sei einfacher, Gedanken mündlich mitzuteilen, als schriftlich.

„Ich sehe einen Shift im Mindset. Die MAB ist nicht mehr das Tool von oben, sondern das Tool eines Teams, das sich gemeinsam entwickeln und verbessern will.“

Hannah Rexroth, Senior Consultant, Skopos View  

Die Rolle der Berater im Wandel

KI kann zwar in einzelnen Bereichen einer MAB helfen, in anderen aber nicht. Schmaderer von JSS HR & Consulting Services stellt klar: „KI macht wenig Sinn bei der individuellen Fragebogenkonstruktion und der organisationsspezifischen Kontextanalyse als Vorarbeit einer passgenauen Befragung. Außerdem bringt KI nichts bei der Abbildung der Teilnehmer- und Organisationsstruktur im Vorfeld der Befragungsvorbereitung. Das ist viel zu sensibel: Denn wie bekomme ich die Personal- und Organisationsdaten so zu mir ins System, dass beispielsweise die Führungskräfte-Zuordnungen wirklich passen?“

Abel von Qualtrics merkt an: Es war aufgrund moderner Technologie „nie einfacher, schlecht zu befragen, aber auch nie einfacher, gut zu befragen“. Auch er ist der Meinung, dass KI bei bestimmten Prozessen wie zum Beispiel dem Aufbau von Berichtsstrukturen „auf absehbare Zeit keine große Hilfe sein wird.“ Er geht allerdings davon aus, dass KI beim Fragebogen-Design, der Erstellung von Ergebnis-Präsentationen oder bei Moderationskonzepten im Rahmen von klassischen MAB helfen kann. „Es geht nicht um das Ersetzen des Menschen, sondern darum, Impulse zu geben“, erläutert er. Dann hätten Dienstleister immer noch die Freiheit, davon abzuweichen. Aber vielleicht würden sie so auf Dinge aufmerksam, die sie vorher nicht gesehen hätten.

Rexroth von Skopos View sieht „die Rolle der MAB-Dienstleister nach wie vor darin, die Qualität der Befragung sicherzustellen und KI-Daten einzuordnen“. Aber die Beratenden müssten nicht mehr stundenlang vor qualitativen Antworten sitzen – das könne die KI übernehmen. Schließlich werde KI auch schon bei der Krebsdiagnose eingesetzt. „Dort spielt Qualität eine viel wichtigere Rolle als bei uns. Trotzdem prüft natürlich ein Experte das Ergebnis nochmals.“

Scheib von der Cubia ist sich nicht sicher, „inwiefern man jemals an den Punkt kommt, Kontrolle und Wissen aufzugeben und die KI machen zu lassen.“ Er veranschaulicht seine Aussage anhand eines per KI erstellten Fragebogens zur Schmackhaftigkeit von Burgern. Das Ergebnis ist laut Scheib beeindruckend – getestet wurden sensorische Attribute, Geschmack und Konsistenz: „Die Skala und der Fragebogen sind solide, das kann ich überprüfen mit meiner menschlichen Intuition.“ Er fügt hinzu: „Aber niemand würde auf die Idee kommen, zum Beispiel das Rückfallrisiko von Sexualstraftätern mit einem von ChatGPT erstellten Fragebogen zu testen.“ Man könne die Gesellschaft nicht diesem Risiko aussetzen – es gebe kein Maß dafür, wie gut die KI sei.

Bruns vom geva-Institut hebt die Bedeutung des Menschen hervor. So könne KI zwar bei Technik und Strukturen von MAB helfen. Was dabei jedoch fehle, sei die menschliche Komponente: die Bewertung und Einordnung von Ergebnissen, das Gespräch mit den Kunden über deren Erkenntnisziele, das Finden einer Lösung, das gemeinsame Planen der nächsten Schritte, das Begleiten der Prozesse. „Die KI-Tools für MAB werden besser, aber ich glaube nicht, dass eine KI Führungskräfte davon überzeugt, ihr Verhalten zu ändern. Beratende werden weiterhin gebraucht werden“, sagt Bruns. Er geht davon aus, dass sich die Rolle der Beraterin oder des Beraters wandeln wird: „Es wird viel stärker in den psychologischen Bereich hineingehen, um die Kunden zu verstehen, um Ergebnisse zu bewerten und auf dieser Grundlage Verbesserungen abzuleiten. Das kann Technik allein nicht.“

Für die Diamant Software als Softwarehersteller hat KI im Produktkontext einen hohen Stellenwert. Aber für die MAB wird die Technologie vorerst nicht eingesetzt. Krause-Hennemann hält Menschen weiterhin für erforderlich, um die Ergebnisse zu begleiten. Dennoch kann sie sich angesichts der „knappen Berater-Ressourcen vorstellen, künftig bei der ersten Interpretation der Ergebnisse oder bei den Hypothesen mit KI-Unterstützung zu arbeiten“.

Sziber zufolge sieht man KI bei Mercer nicht nur als Analysetool, sondern als „echten Partner, der die Art und Weise, wie wir Arbeit und Mitarbeitererfahrung verstehen, grundlegend verändert.“ Es gehe darum, Aufgaben und Prozesse so zu gestalten, dass KI repetitive und datenintensive Teile übernimmt, während Menschen sich auf strategische und kulturelle Aspekte konzentrieren können. Doch Daten und Algorithmen allein bringen noch keine Veränderung, so Sziber: „Die Interpretation der Ergebnisse, die Einordnung in die Unternehmenskultur und das Ableiten von passenden Maßnahmen – das bleibt menschliche Kernkompetenz.“

„Längerfristig wird es durchaus möglich, auch [KI-basiert] methodisch saubere Auswertungen von qualitativen Daten zu erstellen. Letztlich kommt es darauf an, wie man die Modelle trainiert.“

Patrick Scheib, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Cubia AG  

Datenvernetzung: Gewusst wie

Doch wie können Unternehmen KI für die bereits erwähnte Vernetzung von Daten aus mehreren MAB nutzen? Laut Scheib von der Cubia ist hier Methodenkompetenz gefragt. Er empfiehlt, „auf jeden Fall jemanden zu kontaktieren, der weiß, wie es funktioniert, bevor man alle Daten, auch die geheimen, in ChatGPT einspeist.“ Beim Vernetzen von Daten sei der erste Schritt die Fragestellung und daraus abgeleitet die Hypothese: „Was wollen wir prüfen und mit welchem angenommenen Effekt?“ Diese Hypothese bestimme nicht nur, welche Datenquellen man betrachte, sondern auch, wie man die Daten aufbereite, welche Metriken man ableite und welche statistischen Verfahren man einsetze. Zugleich seien die Rechtslage und die Anforderungen an Anonymisierung beziehungsweise Pseudonymisierung sowie die Belange des Betriebsrats zu berücksichtigen.

Feinstein von Ipsos benennt zwei Anwendungsfälle dazu. Zum einen könnte es darum gehen, eine Situation vorherzusagen – beispielsweise die Fluktuation. Befragungsdaten ließen sich zusammenführen mit HR-Daten aus dem System. Zum anderen könnten MAB-Daten mit anderen Moment-that-matters-Befragungen verknüpft werden. Die Expertin ergänzt, eine wichtige Komponente dabei sei natürlich der Datenschutz. Hier gibt es Lösungen, aber viele Unternehmen scheuen den teils großen Aufwand der Mitbestimmung.

„Der Folgeprozess einer MAB sollte als Umsetzungsinstrument einer Transformation sehr individuell gestaltet werden. Es gibt keine Blaupause – „no size fits all“ ist die Devise!“

Jan Stephan Schmaderer, Managing Director, JSS HR & Consulting Services 

Achtung! Folgeprozess

Ein weiterer Themenkomplex beim Round Table ist der Folgeprozess und die Frage, wie man sicherstellen kann, dass die MAB tatsächlich etwas bewirkt. Abel von Qualtrics stellt zwei Thesen zum Folgeprozess vor, die auf den EX Trendreports seines Hauses unter weltweit rund 35.000 Befragten basieren. So haben erstens deutlich mehr Mitarbeitende als in den vergangenen Jahren das Gefühl, dass etwas mit den veröffentlichten Befragungsergebnissen passiert. „In diesem Themenbereich sehen wir die stärkste Verbesserung insgesamt. Ich kann mir vorstellen, dass das unter anderem an der besseren Technologieunterstützung liegt, ob nun KI- oder nicht-KI-gestützt“, interpretiert er. Zweitens spielt die Befragungshäufigkeit eine Rolle. Abel sagt: „Je häufiger Mitarbeitenden zugehört wird, desto eher haben sie das Gefühl, dass etwas mit ihrem Feedback passiert, weil die kritischen Themen kontinuierlich auf dem Radar bleiben und nicht so einfach ignoriert werden können.“

Doch Mitarbeitende sind keinesfalls nur passive Beteiligte, wenn es um die Folgeprozesse geht. Der Arbeitgeber und die Führungskräfte können nicht alleine Maßnahmen für Problemfelder, die sich in der MAB gezeigt haben, entwickeln. Hier müssen auch die Beschäftigten in die Verantwortung genommen werden.

Sie müssen die Befragung als Instrument für ihr Team begreifen und nicht als eine vom Management verordnete Maßnahme. Kam die MAB ursprünglich aus der Denkweise, dass das Top-Management gefragt hat und „die es dann auch richten sollen“, nimmt Rexroth von Skopos View einen „Shift im Mindset“ wahr und beschreibt: „Die MAB ist nicht mehr das Tool von oben, sondern das Tool eines Teams, das sich gemeinsam entwickeln und verbessern will.“

Krause-Hennemann von Diamant Software bekräftigt: „Wir erreichen viel mehr, wenn Teams die Befragungen als eigenes Feedback-Tool einsetzen oder als eigene Möglichkeit, sich in ihrer Zusammenarbeit zu verbessern.“ Sie nimmt zwar wahr, dass einige Teams das schon tun, „aber es ist hier noch Luft nach oben“.

Schmaderer von JSS HR & Consulting Services betont, der Folgeprozess einer MAB müsse „als Prozess der Transformation nach wie vor sehr individuell gestaltet werden. Es gibt keine Blaupause.“ Wichtig sei, den Folgeprozess immer im Bewusstsein der Beschäftigten zu lassen. Schließlich gebe es „Maßnahmen, die von den Mitarbeitenden gar nicht mehr mit der MAB verknüpft werden, weil sie monatelang laufen.“ Die Protagonisten und Protagonistinnen des Folgeprozesses müssen überdies „ausgebildet werden, den Prozess von innen heraus zu gestalten und nicht nur Lösungen vom grünen Tisch vorzulesen.“

Sziber von Mercer fügt hinzu, echte Wirkung brauche nicht nur Maßnahmen, sondern auch Sichtbarkeit: „Wenn Mitarbeitende nachvollziehen können, was mit ihrem Feedback passiert, und wenn sie es im Alltag wiedererkennen, dann entsteht Vertrauen.“ Und dies sei die Voraussetzung für Veränderung.

„Wenn Unsicherheit herrscht, ist es entscheidend, dass Mitarbeitende ihrem Unternehmen vertrauen – und bleiben möchten.“

Eva Sziber, Principal Strategic People Advisory, Mercer 

Orientierung im Tool-Dschungel

Zum Abschluss beschäftigen sich die Expertinnen und Experten mit den MAB-Tools am Markt. Wie können sich HR-Abteilungen in diesem Dschungel von Angeboten einen Überblick verschaffen und die passende Software finden? Schmaderer von JSS HR & Consulting Services rät, strukturiert an das Thema heranzugehen, beginnend mit einer Zieldefinition: „Was für eine Befragung möchte ich fahren? Was möchte ich erreichen? Welche Botschaft soll gesendet werden? Welches sind Muss- und Kann-Kriterien? Wünscht man eine reine Tool-basierte Befragung? Oder soll eine inhaltliche Beratung dabei sein?“

Abel von Qualtrics empfiehlt – neben einem Blick in den Forrester-Bericht aus dem zweiten Quartal 2025, der die Tools sehr gut abbilde, das Vernetzen mit anderen Unternehmen, um über die Erfahrungen mit den Tools zu sprechen. Er glaubt übrigens nicht, dass es mehr Tools gibt als noch vor drei bis vier Jahren, sondern beobachtet eine Dynamik am Markt: „Viele Tools, die wie Pilze täglich entstehen, verschwinden auch genauso schnell wieder.“

Skopos View ist Implementierungspartner und Berater. Rexroth sagt: „Bei einer ausgefeilten Employee-Listening-Strategie im Großkonzern braucht man eine stabile und umfangreiche Plattform. Wir gucken aber auch, was wir Kunden empfehlen können, die ein geringeres Budget oder einen speziellen Anwendungsfall haben.“ Und hier sei sie überrascht von der Innovationskraft kleiner Tools, gerade im Bereich KI. Die Vielfalt bei den Tools sieht sie positiv – der Markt profitiere davon und ihre Branche ebenfalls, weil „wir uns der verschiedenen Software-Varianten bedienen können“.

Scheib von der Cubia merkt an, die Unternehmen wünschten im Grunde kein Tool für eine MAB, sondern es gehe letztlich um die Befragungsdaten. Anbieter im Full-Service-Bereich könnten das leisten. „Und falls man unbedingt ein Tool haben möchte, sollte man eines wählen, das eigene Mitarbeitende bereits bedienen können. Das hält auch die Kosten geringer“, regt er an. Gerade angesichts der Wirtschaftskrise könnte dieser Vorschlag von Bedeutung sein.

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