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Missachtung der Testpflicht: Unternehmen haben aktuell keine Strafen zu fürchten

Mit heißer Nadel gestrickt: Das Bundesarbeitsministerium hat eine Testangebotspflicht für Unternehmen auf den Weg gebracht. Das Ergebnis: mehr Fragen als Antworten. Prof. Dr. Björn Gaul legt den Finger in die Wunden.

Portrait Björn Gaul.
Prof. Dr. Björn Gaul, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, Köln. Foto: CMS Hasche Sigle

Personalwirtschaft: Nachdem es eine Testpflicht
für Kinder beim Schulbesuch gibt, klingt eine Testangebotspflicht für
Unternehmen doch eigentlich konsequent. Warum wehren sich Arbeitgeberverbände
dagegen?
Björn Gaul:
Arbeitgeberverbände sind zunächst einmal
Interessenvertreter der Arbeitgeberseite. Insofern ist es richtig, deutlich zu
machen, dass mit der Testangebotspflicht im Hauruckverfahren neue Pflichten für
die Arbeitgeber geschaffen werden, dabei aber gleichzeitig sehr viele Fragen
zur Umsetzung offen bleiben.

Zum Beispiel?
Ungeklärt
ist, wo Unternehmen den Test anbieten müssen: Im Betriebseingang, der Kantine
oder an jedem einzelnen Arbeitsplatz? Oder soll das Angebot dem Arbeitnehmer
bereits zu Hause unterbreitet werden? Müssen im Betrieb abgetrennte
Räumlichkeiten geschaffen werden, damit sich die Mitarbeitenden ohne Beobachtung
testen können? Wie erhalten die mobilen Beschäftigten wie
Außendienstmitarbeitern den Test? Per Post? Ebenso hat sich der Arbeitsminister
nicht dazu geäußert, ob der Test in der Arbeitszeit oder davor durchgeführt
werden soll. Wenn er – was sicher sinnvoll wäre – außerhalb der eigentlichen
Arbeitszeit erfolgt, stellt sich die Frage, ob diese Zeit zu bezahlen ist. Hier
kommt es auf den Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag an, weil der Arbeitgeber
nicht auffordert, sondern nur anbietet. Der Arbeitsschutz kennt keinen Anspruch
auf Entgeltfortzahlung. Außerdem müsste der Betriebsrat gefragt werden, wenn
deshalb die Arbeitszeit verlängert wird.

Ist denn geklärt, wer die Mitarbeitenden beim
Test anleitet? Oder geht man davon aus, dass Erwachsene dazu selbstständig in
der Lage sind?

Sicherlich
könnten sie das ohne „Betreuung“, aber nach dem Arbeitsschutzgesetz hat der
Arbeitgeber die Pflicht, die Beschäftigten zu unterweisen. Das gilt auch bei
Selbsttests, selbst wenn wir hier von „Laientests“ sprechen. Hierfür muss jeder
Arbeitnehmer erreicht werden, und die Aufklärung erfordert sachkundiges
Personal und zeitliche Ressourcen. Möglicherweise reicht es aber auch aus, wenn
die allgemeine Gebrauchsanleitung ausgelegt wird. Aber diesen Punkt lässt der
Gesetzgeber offen, genauso die Frage, wer haftet, wenn der Test falsch erklärt
wird oder trotz richtiger Erklärung falsch angewendet wird. Als
kritisch sehe ich außerdem an, dass die Verordnung schon in der 16. Kalenderwoche
in Kraft treten soll. Es ist keineswegs sichergestellt, dass bis dahin und auch in den
anschließenden Wochen alle Unternehmen immer die ausreichende Anzahl an
Selbsttests zur Verfügung steht. Hier hätte eine Öffnungsklausel für den Fall aufgenommen
werden müssen, dass eine Beschaffung nicht möglich oder zumutbar ist.

Aber man kann doch immerhin davon ausgehen, dass es hinsichtlich der Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz durch die Pflicht sicherer wird, oder?
Ich gehe
davon aus, dass in fast allen Unternehmen schon seit dem Frühjahr 2020 umfassende
Hygienekonzepte zum Schutz der Mitarbeitenden angewendet, fortlaufend überprüft
und auf der Grundlage einer individuellen Gefährdungsanalyse zu COVID-19
angepasst werden. Dazu zählen zum Beispiel die Maskenpflicht, Trennwände,
geänderte Laufwege, klare Besetzungspläne, Arbeitszeitänderungen und Homeoffice-Angebote.
Wenn der Gesetzgeber Sorge hat, dass die Arbeitnehmer sich in Betrieben
anstecken, hätte er diese Konzepte vor Ort überprüfen können. Mein Eindruck
ist, dass dies nicht geschehen ist, obwohl eine solche Überprüfung sinnvoll und
zur Begründung der Testpflicht an sich auch erforderlich gewesen wäre.

Darf der Arbeitgeber dokumentieren, wer die Tests nutzt?
Wer den Test nutzt, wird nicht notiert. Es genügt, wenn er vor Ort – im
Zweifel also im Betrieb – zur Verfügung gestellt wird. Schließlich handelt es
sich um ein Angebot, das vom Mitarbeitenden abgelehnt werden kann. Eine
Dokumentation derjenigen Beschäftigten, die keinen Test machen, wäre eine
unzulässige Erfassung personenbezogener Daten, für die Schadensersatz und
Bußgelder drohen. Denn es gibt auf Arbeitgeberseite gar keinen zulässigen
Verwendungszweck dieser Daten. Lediglich bei einem positiven Testergebnis muss
der Arbeitgeber unterrichtet werden. Die Mitteilungspflicht gegenüber dem
Gesundheitsamt trifft dann nicht den Arbeitgeber, sondern den Beschäftigten.

Die neue Verordnung ist ein
zahnloser Tiger, insbesondere weil Arbeitgeber bei einer Missachtung keine
Bußgelder fürchten müssen.

Was droht Unternehmen, wenn sie gegen die neuen
Regularien verstoßen?

Es passiert erst einmal wenig. Die neue Verordnung ist insoweit ein
zahnloser Tiger, insbesondere weil Arbeitgeber bei einer Missachtung keine
Bußgelder fürchten müssen. Denn eine Ordnungswidrigkeit läge nur vor, wenn in
der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzverordnung auf den Bußgeldtatbestand in Paragraph 25 im Arbeitsschutzgesetz
verwiesen worden wäre. Aber das wollte der Gesetzgeber wohl nicht. Erst wenn
die jeweils zuständigen Behörden den Fall aufdecken und eine Anordnung treffen würden
und der Arbeitgeber dann noch immer seine Pflichten ignoriert, käme also ein
Bußgeld in Betracht.

Was taugt eine Pflicht, die bei Verstößen keine
rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht?

An sich taugt eine Pflicht auch dann etwas, wenn sie nicht mit Strafen
versehen wird. Sie erreicht alle Unternehmen, die Recht und Gesetz achten. Das
ist der ganz große Teil in Deutschland. Gerade deshalb aber wäre es wichtig
gewesen sicherzustellen, dass die Neuregelung nicht so viele Unklarheiten
enthält und schnell sowie einfach umgesetzt werden kann.

Wozu dann diese
gesetzgeberische Aktion?

Aus meiner Sicht soll die Aktion ein politisches Signal in Richtung
derer setzen, die glauben, dass die Unternehmen ihren Anteil an der
Pandemiebekämpfung nicht geleistet haben. Außerdem trägt man der These
Rechnung, dass noch viel zu viele Arbeitnehmer in den Betrieben arbeiten, statt
in das Homeoffice zu wechseln. Ich halte beide Einwände für zu kurz gegriffen,
wenn man sieht, welche Schutzmaßnahmen in den Betrieben eingeführt wurden und
welche wirtschaftlichen Lasten Unternehmen tragen. Hinzu kommt: Es wird
übersehen, dass das Homeoffice nicht nur dort ausgeschlossen ist, wo eine
Tätigkeit nicht zu Hause ausgeübt werden kann. Vielmehr können und wollen viele
Arbeitnehmer gar nicht zu Hause arbeiten, weil Räumlichkeiten oder Technik, wie
schnelle Internetverbindungen, nicht vorhanden sind oder die Arbeitsbelastung
durch parallele Kinderbetreuung zu hoch ist.

Aus meiner Sicht soll die Aktion ein politisches Signal in Richtung
derer setzen, die glauben, dass die Unternehmen ihren Anteil an der
Pandemiebekämpfung nicht geleistet haben.

Verpflichtende
Tests hat das Land Berlin eingeführt. In der Regelung ist festgehalten, dass
Beschäftigte mit direktem Kontakt zu Kunden oder Gästen sich testen lassen müssen.
Kommen sie dem nicht nach, drohen ihnen arbeitsrechtliche Schritte. Wann hat
ein Arbeitgeber das Recht, einen Test zu verlangen?

Auch
Sachsen – dort für Pflegeheime und ambulante Pflegedienste – sowie NRW und
Rheinland-Pfalz haben bereits vergleichbare Rechtsverordnungen über eine
Testpflicht. Außerhalb dieser Regelungen bietet das Direktionsrecht dem
Arbeitgeber grundsätzlich keine Grundlage, Mitarbeitende zur Durchführung eines
Selbst- oder Schnelltests zu zwingen. Darin läge ein unzulässiger Eingriff in
die körperliche Unversehrtheit, die unverhältnismäßig wäre. Denn der
Arbeitgeber darf Mitarbeitenden ja auch ohne Test beschäftigen, wenn die
sonstigen gesetzlichen Schutzmaßnahmen eingehalten werden. Damit wäre auch eine
Abmahnung oder Kündigung unzulässig, wenn Arbeitnehmer sich außerhalb der
Sonderregelungen einzelner Bundesländer weigern, einen Test durchzuführen.

Welche Gründe rechtfertigen eine Testpflicht?
Wenn zum
Beispiel ein Beschäftigter mit Husten und Schnupfen, die beide durchaus Symptome
von COVID-19 sein können, an seinen Arbeitsplatz kommt, ist eine Aufforderung,
sich zu testen, zulässig. Es bleibt aber bei der Aufforderung. Auch dann kann
der Arbeitgeber den Beschäftigten nicht zwingen, einen Test durchzuführen. Ebenso
kann er deshalb keine Abmahnung oder Kündigung aussprechen. Nach meiner Auffassung ist der Arbeitgeber aber berechtigt, eine
Beschäftigung dieser Person im Betrieb abzulehnen. Er kann und muss zwar aufgrund
der Arbeitsschutzverordnung noch einmal anbieten, dass dieser Mitarbeitende im
Homeoffice arbeitet. Wenn dies aus zwingenden betrieblichen Gründen nicht
möglich ist, bleibt der Beschäftigte draußen. Allerdings hat er einen Anspruch
auf Entgeltfortzahlung, wenn der Beschäftigte tatsächlich an COVID-19 erkrankt
ist.

Und wenn ein Mitarbeiter nicht an Covid erkrankt
ist, aber sich einfach nur nicht testen lassen möchte?

In
diesen Fällen erscheint es gerechtfertigt, keine Vergütung zu bezahlen –
solange bis die besonderen Umstände, die ausnahmsweise die Aufforderung zum
Test rechtfertigten, nicht mehr gegeben sind. Überträgt man dabei die zur
Quarantäne geltenden Regeln, wäre dies allerdings erst nach 14 Tagen der Fall,
sofern nicht vor diesem Tag ein negativer Test vorgelegt wird. Schließlich
missachtet der Arbeitnehmer mit der Verweigerung eines Tests die Pflicht, den
Arbeitgeber in zumutbarer Weise bei den Maßnahmen des Gesundheitsschutzes zu
unterstützen. Dies sieht das Arbeitsschutzgesetz vor. Eine Pflicht, die beide
Arbeitsvertragsparteien gerade in der COVID-19-Pandemie zu weitergehenden
Maßnahmen verpflichtet, um den Rechten und Interessen der anderen Rechnung zu
tragen.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.