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„Cheffing“: So gelingt Führung nach oben

Frage an die HR-Werkstatt: Wie bekomme ich von meinem Vorgesetzten, was ich brauche?

Es antwortet Gudrun Happich, Führungskräfte-Coach ab der mittleren Managementebene.

Vorweg: Immer wieder erlebe ich Führungskräfte auch aus Personalabteilungen, die ihren Chef oder ihre Chefin verändern möchten: „Der muss doch endlich einmal begreifen …“, „Die muss doch einsehen, dass …“ Nichts muss er! Nichts muss sie! Von niemandem, auch nicht von seinem Mitarbeitenden muss ein Vorge­setzter oder eine Vorgesetzte sich vorschreiben lassen, was zu tun ist. Also sollten Sie ihn oder sie nehmen, wie er oder sie ist. Mit dieser Einstellung stehen Ihre Chancen deutlich besser, zu erhalten, was Sie brauchen. Klar ist damit aber auch: „Führung nach oben“ oder „Führen von unten“ beziehungsweise Cheffing, wie der Fachbegriff dazu heißt, funktio­niert nicht per Anweisung.

Unterscheidung der Hierarchie-Ebenen

Was immer auch Ihr Anliegen ist, eine erfolgreiche Strategie setzt grundsätzlich voraus, zunächst zwischen den Hierarchiestufen zu unterscheiden: Haben Sie es mit einer Vorgesetzten aus dem mittleren Management zu tun? Oder gehört der Adressat der Top-Ebene, also dem Vorstand oder der Geschäftsleitung, an?

Knackpunkt im Umgang mit Top-Managern: Das Beziehungsgefüge durchschauen

Bei Letzteren kommt es weniger auf Inhalte als auf die emotionalen Beziehungen der Handelnden untereinander an. Das Beziehungsgefüge ist dabei mit einem Ökosystem vergleichbar – etwa einem Waldrand: Zahlreiche Pflanzen und Tieren sind hier über Beziehungsebenen und Quer­beziehungen auf vielfältige Weise zu einem komplexen Ganzen verbunden. Um dieses System zu begreifen oder gar zu beeinflussen, bedarf es eines vernetzten Denkens – denn die vielfältigen Beziehungen und Rückkopplungen lassen sich durch lineare Kau­salitäten nicht beschreiben. Die Besonderheit des Ökosystems liegt darin, dass es sich selbst regelt und steuert. Grundlage hierfür: ausgewogene Interferenzbeziehungen, ein ausgeprägtes Anpassungsvermögen von Einzelorganismen, Populationen und Lebensgemeinschaften sowie der Ringschluss von Produzenten, Konsumenten und Reduzenten im biologischen Stoffkreislauf.

Das Beispiel verdeutlicht, dass alles komplex miteinander verwoben ist. Durchschaut man die Verflechtungen, bringt dies einen enormen Vorteil mit sich. Meine Empfehlung lautet daher: Fertigen Sie ein Beziehungsdiagramm an, in dem Sie aufzeichnen, wie die Mitglieder des Vorstands beziehungsweise der Geschäftsleitung zueinander in Beziehung stehen. Sie erkennen so, dass sich das System über unterschiedliche Ansatzpunkte beeinflussen und in eine gewünschte Richtung lenken lässt – und auch, wer beispielsweise in einem Meeting im Falle einer Entscheidung wem zur Seite stehen dürfte. Wollen Sie ein bestimmtes Ergebnis erreichen, ist es also nicht notwendig (und auch nicht immer sinnvoll), direkt auf die Zielgrößen einzuwirken. Stattdessen können Sie – wie beim Billard mit der weißen Kugel – auch „über die Bande spielen“ und indirekt steuern. Mit anderen Worten: Suchen Sie verstärkt den Kontakt zu den Führungskräften, die einen guten Draht zum Vorstand haben und Sie in Ihrem Vorhaben unterstützen können.

Knackpunkt für Führungskräfte im Middle Management: klare Argumente

Während es im Topmanagement auf eine gekonnte Einflussnahme ankommt, zählt in den mittleren Ebenen viel stärker die Klar­heit der Argumente: Suchen Sie hier das Gespräch mit dem oder der Vorgesetzten. Signalisieren Sie, dass Sie mit Ihrer Mannschaft grundsätzlich hinter den Zielen und Strategien stehen, und machen Sie deutlich, welchen Part Ihr Team dabei spielt. Zeigen Sie dann auf, was Sie für den ERfolg benötigen. Beschreiben Sie den Bedarf, legen Sie Vorschläge vor, brin­gen Sie innovative Ideen ein – überlassen Sie die Entscheidung dann jedoch Ihrem Vorgesetzten.

Den Vorgesetzten zum Feedback bewegen

Sie wissen wahrscheinlich nur zu gut: Neben konkreten Entscheidungen von oben brauchen Sie als Personalmanager manchmal auch einfach Feedback und Anerkennung für Ihre Arbeit. Schließlich wollen Sie wissen, wie Ihr Wirken von Ihrem Chef oder Ihrer Chefin wahrgenommen wird und ob die Richtung noch stimmt. Doch wie gehen Sie am besten vor, um ein Feedback von Ihrem Vorgesetzten einzufordern?

  • Schritt 1: Machen Sie sich klar, welche Kompetenzen Sie und Ihr Team haben. Ein Erfolgstagebuch kann dabei ein hilfreiches Tool sein – ebenso wie Interviews, die Sie in Ihrem Umfeld führen.
  • Schritt 2: Überlegen Sie, welche Interessen der oder die Vorgesetzte verfolgt. Wie können Sie diese Interessen unterstützen?
  • Schritt 3: Kommunizieren Sie die Stärken und Kompetenzen Ihres Teams zugeschnitten auf den Leidensdruck Ihres beziehungsweise Ihrer Vorgesetzten.

Das Gespräch sollten Sie gut vorbereiten. Sonst besteht die Gefahr, sich anstelle eines aussagefähigen Feedbacks ein pauschales, wenig hilfreiches Lob einzuhandeln, etwa in dem Tenor: „Es ist alles in Ordnung.“

Tipps für das Gespräch:

  • Machen Sie deutlich, dass Ihnen ein ehrliches Feedback wichtig ist.
  • Erklären Sie ganz nüchtern, dass Sie das Feedback für eine Standortanalyse und die Orientierung Ihrer Arbeit und der Ihres Teams benötigen.
  • Machen Sie klar, dass es Ihnen um den Abgleich zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung geht und sein Urteil Ihnen deshalb sehr wichtig ist.
  • Fragen Sie ganz konkret, was an Ihrer Arbeit gefällt. Bringen Sie Ihren Chef dazu, Beispiele zu nennen, aus denen Sie seine Sichtweise erkennen können. Nur so bekommen Sie einen Eindruck davon, wie Sie und Ihr Team tatsächlich wahrgenommen werden.
  • Stellen Sie immer wieder die Rückfrage: „Was halten Sie davon?“
  • Bringen Sie Reaktionen aus dem Unternehmen – etwa Pulsbefragungen der Mitarbeitenden als interne Kunden – ein. Kommunizieren Sie diese Ergebnisse, um auf der Sachebene argumentieren zu können.

Sachlich UND emotional überzeugen

Mit einer ausschließlich sachlich-fachlichen Argumentation ist es wiederum kaum möglich, sich selbst ausreichend Gehör zu verschaffen. Auch wenn es Ihnen schwerfallen sollte, aber wenn Sie nicht nur Feedback brauchen, sondern bei Ihrem Chef auch Ihre Interessen durchsetzen wollen, müssen Sie auch emotional überzeugen. Das „Influen­cing“, die emotionale Beeinflussung zählt zum Handwerkszeug einer Führungskraft, wenn sie nachhaltig Durchsetzungskraft nach oben entwickeln möchte. Und je höher sie in der Hier­archie aufsteigt, desto bedeutsamer wird neben der sachlichen Argumentation auch die emotionale Beziehungsebene. Überlegen Sie daher, worauf es Ihrem Vorgesetzten ankommt. Gehen Sie dann mit Ihrer Argumentation auf seine Wünsche und Bedürfnisse ein. Eine letzte Voraussetzung: Sie sollten aus innerer Überzeugung heraus kommunizieren. Sonst nutzt die beste Argumentation nichts.

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