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„Es handelt sich bei der Gendersprache um einen symbolischen Akt“

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Professor Dr. Daniel Graewe, LL.M.
Professor Dr. Daniel Graewe, LL.M. ist Jurist und Professor für Wirtschaftsrecht und Direktor des Instituts für angewandtes Wirtschaftsrecht an der Nordakademie in Hamburg (Foto: © HP Studios)

Laut einer Umfrage der F.A.Z. in Zusammenarbeit mit der Hochschule Darmstadt verwenden bereits zehn Dax-Konzerne eine „geschlechtergerechte Sprache“, sechs weitere planen deren Einführung. Wie durchdacht setzen die Unternehmen dies Ihrer Einschätzung nach um?
Die Großkonzerne sind recht schnell auf den Genderzug aufgesprungen. Die haben jetzt – wie im Fall von Audi – mit der Gegenreaktion ihrer Beschäftigten zu kämpfen, die das überwiegend ablehnt. Bei Audi haben bereits Mitarbeiter gegen die Einführung der Gendersprache geklagt. Meines Erachtens wird die Thematik im Mittelstand sehr viel besser gemanagt, wo das Thema vorsichtiger angegangen wird. Ich habe mit vielen Geschäftsführern und Personalverantwortlichen von mittelständischen Unternehmen gesprochen. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich in den Führungsetagen der Unternehmen die repräsentativen Umfragen in der Gesamtbevölkerung widerspiegeln. Danach wird die Gendersprache von zwischen 60 und 85 Prozent der Befragten abgelehnt. Diese Ablehnung hat übrigens nichts mit der Ablehnung von Vielfalt oder der Einbeziehung von Minderheiten zu tun.

Welche Intentionen stecken hinter der Einführung von Gendersprache?
Die Einführung von Gendersprache hat nichts mit der Verbesserung der Effektivität zu tun. Die Vorteile liegen, so hoffen die Unternehmen, in einem anderen Bereich: der Personalgewinnung. Insbesondere wenn es um die Generationen Y, Z und folgende geht. Nach Ansicht der Unternehmen ist dort das Thema Diversity besonders wichtig und mit der Gendersprache kann auf einfache Weise ein bestimmtes Wertesystem des Unternehmens nach Außen vermittelt werden. Es ist also eine Frage des Employer Branding. Das ist eine unternehmerische Entscheidung, die man treffen kann. Klar ist allerdings auch, dass sich alleine durch sensitive Sprachregelungen die Einbeziehung von Minderheiten in der Realität kein Stück verbessert. Es handelt bei der Gendersprache und deren Einführung insoweit lediglich um einen symbolischen Akt. Den damit einhergehenden Nachteilen wird aber oft zu wenig Beachtung geschenkt.

Welche rechtlichen Vorgaben müssen Unternehmen bei der Einführung einer gendergerechten Sprache beachten?
Ist die unternehmerische Entscheidung zur Einführung gefallen, spielt das Arbeitsrecht die Hauptrolle, wenn es um die Frage der Umsetzung geht. Hierbei ist die wichtigste Weichenstellung, ob die Einführung freiwillig oder verpflichtend sein soll. Bei der freiwilligen Einführung ist der Arbeitgeber weitgehend ungebunden, weil die Arbeitnehmer – rechtlich – nicht verpflichtet werden. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine verpflichtende Einführung von Gendersprache, wird das Thema sehr schnell sehr komplex, weil das Arbeitsrecht hier eine ganze Menge Fallstricke bereithält. Das beginnt mit Fragen des AGB-Rechts bei standardisierten Arbeitsverträgen, über die Möglichkeit, Verstöße bei Nicht-Nutzung auch abmahnen zu können bis hin zu Fragen der betrieblichen Mitbestimmung.


Eine längere Fassung des Interviews finden Sie in unserem Sonderheft Arbeitsrecht, das Sie hier als pdf downloaden können. Unsere Sonderhefte liegen auch immer unserem Magazin bei, das Sie hier abonnieren können.


Was sind die größten Fallstricke?
Die einfachere Frage wäre, wo keine rechtlichen Probleme lauern. Der Einfachheit halber kann man zwei Bereiche unterscheiden: die Einführung einer verpflichtenden Gendersprache und ihre Durchsetzung. Bei der Einführung stellt die größte Problematik die Interessenabwägung der Weisung dar. Andere Einführungsmöglichkeiten, etwa durch Nachträge von Arbeitsverträgen, sind hingegen zu umständlich oder von der Zustimmung des jeweiligen Arbeitnehmers abhängig. Bei der weiteren Durchsetzung der Gendersprache stellt sich dann die Frage, ob eine möglicherweise wirksame Weisung detailliert genug die zu befolgende Sprache beschreibt und wie mit Arbeitnehmern umzugehen ist, die die Weisung nicht umsetzen können, weil es sich etwa um Fremdsprachler handelt oder einfache Arbeitskräfte, die die komplexen Sprachregeln gar nicht begreifen.

Hand aufs Herz: Wie gesellschaftlich relevant ist die Einführung einer Gendersprache Ihrer Einschätzung nach überhaupt?
Die Diskussion um eine genderneutrale Sprache ist inzwischen leider primär zu einer Frage der „political correctness“ geworden. Auf Basis des eigentlichen Anliegens, Diskriminierungen innerhalb der Sprache zu vermeiden, werden heute zumeist moralisch motivierte Debatten geführt. Es wird damit aus ideologischen Gründen ein Sprachwandel von außen gefordert, der im alltäglichen Sprachgebrauch nur schwerlich umsetzbar ist und keinen Millimeter mehr an Gleichbehandlung bringt.

Dr. Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, rät Unternehmen hingegen: „Probieren Sie sich mit dem Gendern aus!“

 

Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.