Der Shutdown stellt nicht nur HR und Führungskräfte vor die Frage, wie man am besten mit einer Belegschaft im Kontakt bleibt, die dezentral und zeitversetzt von zu Hause arbeitet. Auch Gewerkschaften stehen vor dieser Herausforderung und fordern ein sogenanntes virtuelles Zutrittsrecht zum Betrieb.
Für einiges Aufsehen sorgte nun kürzlich eine Initiative der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die vom Sportartikelhersteller Adidas die Herausgabe der betrieblichen E-Mail-Adressen der Mitarbeiter verlangt. Alternativ käme auch ein virtueller Zentralverteiler oder ein fester Platz im Firmen-Intranet in Frage. Medienberichten zufolge fiel die Antwort aus Herzogenaurach – mit Verweis auf den Datenschutz – abschlägig aus, weshalb die Gewerkschaft ein Verfahren beim Arbeitsgericht Nürnberg eingeleitet hat.
Wer darin bloßes Marketing sieht, greift zu kurz: „Das Betriebsverfassungsgesetz bestimmt in § 2 Abs. 2 BetrVG recht eindeutig, dass Gewerkschaften und deren Beauftragte zur Wahrung ihrer gesetzlichen Aufgaben und Interessen Zugang zum Betrieb erhalten müssen“, sagt etwa Dirk Lenzing, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht aus Münster. Ausnahmen kämen nur dann zum Tragen, wenn Sicherheitsaspekte oder ein drohender Verrat von Betriebsgeheimnissen dagegen sprechen. Das aber sei nur äußerst selten der Fall.
Hinzukomme, dass das Zutrittsrecht zum Betrieb und die damit verbundene Einschränkung des Hausrechts des Arbeitgebers „nicht nur grundgesetzlich garantiert, sondern zumindest außerhalb von Arbeitskämpfen allgemein anerkannt“ ist. Dabei, so Lenzing, dürfe der „Anlass für einen Zutritt der Gewerkschaften auch nicht durch unverhältnismäßige Hürden eingeschränkt werden“.
In der Tat haben Gerichte in der Vergangenheit bereits verschiedentlich klargestellt, dass der Zugang zum Betrieb nicht bloß auf Kantine und Betriebsratsbüro beschränkt ist, sondern Mitarbeiter beispielsweise auch an ihren Arbeitsplätzen aufgesucht werden können – selbst wenn diese nicht auf dem Firmengelänge liegen, etwa bei Verkehrsbetrieben oder bei Beschäftigten auf Montage.
„Die gesetzliche Regelung garantiert den Gewerkschaften hier bisher aber nur ein ‚physisches‘ Zutrittsrecht im engeren Sinne des Wortes“, sagt Rechtsanwalt Lenzing. Nicht geregelt sei dagegen, wie der Kontakt zur Belegschaft in Zeiten der Digitalisierung erfolgen kann – insbesondere, wenn überwiegend im Homeoffice gearbeitet wird.
Da das jetzige Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahr 2001 stammt, gibt es quasi keine gesetzlichen Regelungen und kaum tarifliche Vorgaben oder (höchstrichterliche) Rechtsprechung zum Thema. Das monieren auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die IG Metall: „Gewerkschaften müssen auch Beschäftigte im Homeoffice erreichen können. Dazu brauchen sie digitale Rechte, um zum Beispiel das Intranet oder betriebliche Mailadressen für Kontaktaufnahme und Information zu nutzen“, heißt es in einem Positionspapier zur Diskussion um die künftige Ausgestaltung von mobiler Arbeit.
Dort, wo den Interessenvertretern bereits betriebliche Kontaktdaten von Mitarbeitern vorliegen, dürfen sie diese nach Einschätzung von Experten auch nutzen: Bereits 2009 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Gewerkschaften Arbeitnehmer auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers über betriebliche E-Mail-Adressen anschreiben dürfen. Einen Unterlassungsanspruch dagegen hätten Firmen nicht, so die Richter seinerzeit (BAG, Urteil vom 20.01.2009, Az.: 1 AZR 515/08).
Gretchenfrage: Müssen Arbeitgeber ihrem Gegenüber
aushelfen?
Bleibt die eingangs gestellte Frage, ob Arbeitgeber in Zeiten leerer Betriebsstätten und verwaister schwarzer Bretter verpflichtet sind, hier quasi auszuhelfen und einer Gewerkschaft betriebliche E-Mail-Adressen zur Verfügung zu stellen?
Dirk Lenzing ist hier zurückhaltend: „Soweit § 2 Abs. 2 BetrVG ausschließlich den körperlichen Zutritt einer Gewerkschaft auf das Betriebsgelände erlaubt, lassen sich daraus keine weiteren Arbeitgeberpflichten ableiten. Der Gesetzgeber hat den Arbeitgebern, vereinfacht gesagt, keine weiteren Pflichten auferlegt als das Betriebstor zu öffnen und den Zutritt der Gewerkschaft und ihrer Vertreter zu dulden.“ Zudem habe das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit betont, dass „die Nutzung von E-Mails und das Betreten des Betriebs so verschiedene Dinge seien, dass eine Analogie nicht in Betracht komme“.
Zwar garantierte das Grundgesetz in Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitions- und Betätigungsfreiheit, weshalb Gewerkschaften aktiv in den Betrieben informieren und werben dürfen. Dabei handele es sich aber nach Meinung der meisten Juristen um eine „Duldungspflicht“ des Arbeitgebers, der die Grundrechte der Gewerkschaften zwar keinesfalls einschränken dürfe, sie jedoch umgekehrt nicht aktiv fördern müsse und sein Gegenüber erst recht nicht stärken müsse, indem er dessen Organisationsaufgaben übernimmt.
Die Gretchenfrage für die Gerichte ist daher laut Rechtsanwalt Lenzing, „ob es zu einer Einschränkung der Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft führen würde, wenn der Arbeitgeber es ablehnt, sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen heraus zu geben“.
Schließlich sei zu klären, wie Datenschutzaspekte und Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter zu gewichten seien, wenn es um rein betriebliche E-Mail-Adressen geht.
Reaktionen aus der Politik
Aus der Politik gibt es unterdessen erste Reaktionen auf die Gewerkschaftsforderungen, die nach Einschätzung von Beobachtern auch in Zusammenhang mit dem anstehenden Bundestagswahlkampf zu sehen sind. So wollen das Bundesarbeits- und Finanzministerium (beide SPD-geführt) laut einem Eckpunktepapier „zur Weiterentwicklung des Mindestlohns und Stärkung der Tarifbindung“ eine „Regelung schaffen, die Arbeitnehmervereinigungen zur Nutzung elektronischer Kommunikationssysteme im Betrieb berechtigt“. Beschränkungen will man nur „ausnahmsweise“ zulassen.
Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem verantwortlich weitere Projekte von Medienmarken der F.A.Z. Business Media GmbH.

