Die letzten eineinhalb Jahre stellten Vorgesetzte vor bisher unbekannte Herausforderungen. Die Anforderung, aufgrund von Remote Work auf Distanz zu führen, war für die meisten Führungskräfte ein Anlass, die eigene Rolle zu überdenken. Dabei zeigt sich bei vielen ein Konflikt zwischen Vertrauen und Kontrolle. Für die Studie befragte der Personaldienstleister Hays in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Rheingold in diesem Sommer 750 Führungskräfte aus Unternehmen in Deutschland mit mehr als 100 Mitarbeitern.
Hybrides Arbeiten am gängigsten, mehr Digitalisierung geplant
Für fast jedes zweite befragte Unternehmen (45 Prozent) war Corona der Anlass, Prozesse, Systeme oder Strukturen in umzustellen. Gut die Hälfte (53 Prozent) hat Teile der Belegschaft ins Homeoffice verlegt, wobei 20 Prozent einen Produktivitätsverlust ihrer Mitarbeiter beklagen. Mehr als jeder zweite Arbeitgeber hat Homeoffice-Regelungen eingeführt, dabei sind hybride Modelle mit einer Mischung aus Präsenz- und Homeoffice-Tagen am gängigsten. Fast alle Unternehmen (94 Prozent), die bereits Regelungen für Telearbeit getroffen haben, wollen das Homeoffice beibehalten. Etwa jede vierte Führungskraft (23 Prozent) geht hingegen davon aus, dass ihr Unternehmen zur hundertprozentigen Präsenzpflicht zurückkehrt. 44 Prozent der Studienteilnehmer planen, bereits geänderte Arbeitszeitmodelle dauerhaft beizubehalten. Außerdem geben knapp zwei Drittel der Führungskräfte (64 Prozent) an, dass sie ihre Arbeitsprozesse langfristig digitalisieren wollen. Videokonferenzen sollen Präsenztreffen weiterhin ersetzen, auf Geschäftsreisen soll vermehrt verzichtet werden. 54 Prozent wollen Weiterbildung langfristig digital anbieten und fast ebenso viele Unternehmen (50 Prozent) planen, Bewerbungen und Vorstellungstermine auf lange Sicht digital zu organisieren.
Ambivalentes Verständnis von Führung
Dass viele Unternehmen die neue Arbeitswelt beibehalten wollen, lässt darauf schließen, dass sie mit den geänderten Regelungen trotz der damit verbundenen, zumindest anfänglichen Schwierigkeiten gut zurechtkommen. Tatsächlich gaben drei Viertel der Führungskräfte an, dass sie von der reibungslosen Anpassung und der selbstständigen Arbeitsweise der Belegschaft positiv überrascht waren. Drei Viertel (76 Prozent) der Befragten stellen fest, dass ihre Mitarbeiter eigenständiger arbeiten als gedacht. Dabei seien die Ergebnisse der Arbeit gleich gut oder sogar besser. Auch erlebten die Führungskräfte digitale Treffen häufig als kürzer, sachlicher und effizienter als Vor-Ort-Meetings. Allerdings gibt es auch Schattenseiten. So empfanden die Führungskräfte die fehlende räumliche und persönliche Nähe zu den Mitarbeitern als besondere Herausforderung. Hinzu kommt, dass das Führen auf Distanz für 70 Prozent der Befragten mit mehr Zeitaufwand und Organisation verbunden ist.
Mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter bei mehr Überwachung
Obwohl die Führungskräfte die Anpassung ihrer Mitarbeiter an die neue Situation und deren selbstständige Arbeitsweise und Produktivität als positiv erlebten, sind sie sich offenbar nicht sicher, ob sie ihnen langfristig vertrauen können. Auch befürchten ebenso viele, dass die Arbeitsweise unproduktiver wird, die Aufgabenbearbeitung länger dauert und dass Remote Work die Führung erschwert. So haben fast zwei Drittel der Befragten vor, die Ergebnisse ihrer Mitarbeiter engmaschiger zu überwachen, was KPIs, Zielerreichung und Projektmanagement angeht. 61 Prozent verfolgen bereits enger, wann, wie und wie viele Beschäftigte arbeiten. Weitere 58 Prozent machen mehr Vorgaben und geben kleinteiligere Arbeitsschritte vor. Andererseits gibt immerhin fast jeder Zweite an, dass er die Mitarbeiter künftig stärker motivieren und offen mit Vorschlägen umgehen will. Die so charakterisierten Führungskräfte bezeichnet die Studie als „Performance Manager“. Lediglich ein Drittel der Vorgesetzten möchte mehr Verantwortung abgeben und der Belegschaft größere Freiräume für Eigenverantwortung und ergebnisorientiertes Arbeiten einräumen. Sie setzen also auf „Employee Empowerment“, so die Studie. Der Rest der Befragten bleibt bei „Business as usual“ und sieht keinen Anlass, seinen Führungsstil wegen der neuen Rahmenbedingungen zu ändern.
Der Balance-Akt zwischen Vertrauen und Kontrolle hat teilweise Raum für flexibles und eigenverantwortliches Arbeiten geschaffen, aber auch zu mehr Kontrolle und kleinteiligen Vorgaben geführt,
kommentiert Dirk Hahn, CEO von Hays, die Befragungsergebnisse. So ganz erklärt sich der Widerspruch zwischen mehr Überwachung und dem gleichzeitigen Bestreben in Richtung eines partizipativ-kollaborativen Führungsstils aber nicht. Vielleicht haben die Führungskräfte ihren Mitarbeitern durch die Umstellung auf Homeoffice gezwungenermaßen mehr Freiheiten eingeräumt, sind aber noch in traditionellen Mustern von Leeadership gefangen.
Die Studie „Zwischen Vertrauen und Kontrolle“ kann > hier zum Download angefordert werden.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.