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Die Stunden der Wahrheit

Lügender Geschäftsmann
Foto: © Nattapong/ stock.adobe.com

Ein Mittelweg muss her, der erfolgversprechend erscheint: Einer, der den Fokus nicht nur auf Methoden legt, sondern auch auf den gleichfalls nötigen Kulturwandel. Und einer, der die Herausforderungen zwar im Auge behält. Der aber auch positive Grundeinstellungen und Entdeckergeist statt allein Mühsal und Anstrengung propagiert. Agilität etwa kann nicht von oben herab vorgegeben werden – sie muss überzeugt gelebt werden. Komplexität allein mit fertigen Rahmenwerken meistern zu wollen, ist meist zum Scheitern verurteilt.

Solange die Wirtschaft brummte, Pilotprojekte aufgesetzt oder neue Arbeitsformen allein in Experimentierräumen umgesetzt wurden, hefteten sich viele Unternehmen ihre neue Flexibilität ans Revers. Nun aber, wo sich erste Anzeichen einer konjunkturellen Eintrübung häufen, greift vielerorts ein alter Reflex, beobachteten einige der Experten am Tisch. Das Steuerruder wird wieder fester in die Hand genommen, zu viel Agilität wird unheimlich. Der Hype um den Begriff weicht einer zunehmend realistischen Einschätzung, die jedoch nicht selten ins Gegenextrem umschlägt. Eine Lösung könnte sein, den Bedarf nach Steuerung und agile Arbeitsmethoden behutsam in Einklang zu bringen und individuelle Lösungen zu finden.

Teamfähigkeit ist mehr als eine Worthülse

Hier sind die Führungskräfte gefragt. Sie stecken in einer Doppelrolle: Zum einen sollen sie den Wandel gestalten, zum anderen wandeln sich ihre Stellung im Team und ihre Tätigkeiten selbst. Coachings sind ein Weg, der sie dabei unterstützen kann, ihre neue Rolle zu finden und anzunehmen. Niemand hat gesagt, dass das einfach ist – zumal, wenn der bisherige Weg der Führung erfolgreich war und man sich an seine herausgehobene Stellung gewöhnt hat. Nötig ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion, der Wille, die neuen Prozesse anzunehmen und zu orchestrieren sowie die Unterstützung der Geschäftsführung, zählen die Change-Management-Berater auf.

Natürlich ist Change keine Aufgabe der Führung allein. Einen vielleicht sogar noch größeren Einfluss haben die Mitarbeiter. Das wechselseitige Verhältnis ist aber oftmals kompliziert. So werde von der Belegschaft mitunter Selbstverantwortung gefordert, diese jedoch tatsächlich nicht oder nur in sehr begrenztem Maße gewährt. Wer es hingegen ernst damit meint, müsse auch die nötigen Voraussetzungen dafür schaffen, dass entsprechende Ergebnisse umgesetzt werden können. Auch hier gilt: Von einem Tag auf den anderen ist das nicht zu leisten. Change braucht Zeit.

HR ist kein Leader, aber trotzdem wichtig

Stellte sich in den vergangenen Jahren am Round Table Change Management noch häufiger die Frage, ob HR ein Treiber des Wandels sein sollte, zeigt sich aus heutiger Sicht: Die Personaler sind es nicht. Sie müssen es nach Auffassung der Experten aber auch nicht sein. Change-Projekte werden ohnehin meist von den Fachabteilungen oder der Geschäftsführung initiiert. Für HR sei indes wichtiger, sich über seine Funktion in dem Prozess klar zu sein. Dazu könnten etwa die Schaffung von Netzwerken oder das Identifizieren von Talenten zählen. Die Rolle des Begleiters und Unterstützers steht HR besser als die des Leaders, zumal es dafür selten mit ausreichend Macht und Kompetenzen ausgestattet ist. Die Aufgabenverteilung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Change die Sache ausnahmslos aller Beteiligten ist.

Veränderungsprozesse werden noch komplexer, wenn sie ein internationales Organisationsumfeld betreffen. Auch hier konnten die Branchenexperten von zahlreichen Praxiserfahrungen berichten. So rieten sie davon ab, zentrale Vorgaben auf die einzelnen Standorte zu übertragen, ohne ihre jeweiligen besonderen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Eine gemeinsame Linie sollte klar sein, die jeweilige Umsetzung aber den Fachkräften vor Ort überlassen werden. Sie kennen nicht nur die Befindlichkeiten, sondern können in ihrer Muttersprache auch punktgenauer kommunizieren als eine ferne Zentrale.

Nach dem Change ist vor dem Change

Die Aufgaben sind nicht einfach. Anders lässt sich kaum erklären, warum viele Change-Projekte scheitern oder zumindest nicht zum gewünschten Erfolg führen. Dazu trägt auch bei, dass sich die Veränderungen in den meisten Fällen nicht mit griffigen KPIs messen lassen. Vielmehr sollten ihre Wirkung nachverfolgt und gute Ergebnisse verstetigt werden. Hier liegt ein Fehler, der in der Praxis häufiger begangen wird: Die Projekte werden mit der Umsetzung beendet, anstatt ihre mittel- und langfristige Wirkung mit der gleichen Konzentration zu verfolgen.

Ohnehin ist dem Wandel immanent, dass er nie aufhört. Die Berater sehen ihre Aufgabe denn auch nicht nur darin, Hilfestellung bei konkreten Prozesse zu geben. Fast noch wichtiger ist, den Organisationen das Wissen und die Fähigkeiten an die Hand zu geben, auf eigene Faust mit aktuellen und zukünftigen Veränderungen umgehen zu können. Denn niemand weiß, was die Zukunft bringt.

Kompakt:  Die fünf wichtigsten Erkenntnisse
  1. Der Hype um Scrum und Co. ist einer realistischeren Einschätzung von
    Chancen und Risiken agiler Arbeitsmethoden und einer gewissen
    Ernüchterung vor allem im Topmanagement gewichen. Viele dieser Projekte
    stehen nun auf dem Prüfstand in puncto Nutzen und Nachhaltigkeit.
  2. Führung verlangt heute andere Qualitäten als früher. Dazu zählen die
    Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum viel zitierten Segeln auf Sicht.
    Ohne Rückendeckung des Managements kann das aber kaum gelingen.
  3. Das Thema Purpose kann eine nötige gesellschaftliche und soziale Debatte
    anstoßen. Oftmals wird es jedoch für schnödere Zwecke wie Marketing
    missbraucht und damit entwertet.
  4. HR spielt eine wichtige Rolle in
    Change-Prozessen, kann und sollte aber nicht ihr Treiber sein. Mit ihren
    Kernaufgaben leisten Personaler ihren wertvollen Beitrag zum großen
    Ganzen. Dazu zählen etwa Unterstützung anbieten, Netzwerke schaffen,
    Rahmen für den Change setzen und Sparringspartner von Führungskräften
    sein.
  5. Change-Projekte haben einen Endzeitpunkt, die Veränderung
    als solche nicht. Dieses Bewusstsein muss noch stärker in den
    Unternehmen verankert, die erzielten Ergebnisse müssen noch nachhaltiger
    verstetigt werden.

Dieser Round Table ist in der Ausgabe 3/2020 der Personalwirtschaft erschienen. Sie können das Heft › hier im Shop bestellen.

Round Table: Die Stunden der Wahrheit

In Übergangssituationen ist bei den Unternehmen gutes Change Management gefragt. Die Praxis zeigt aber, dass sowohl die Wahl der Methoden als auch die Verstetigung der Maßnahmen Probleme bereiten. Hier finden Sie die wichtigsten Statements unserer Experten als Bilderstrecke.

David Schahinian arbeitet als freier Journalist und schreibt regelmäßig arbeitsrechtliche Urteilsbesprechungen, Interviews und Fachbeiträge für die Personalwirtschaft.