Eine konsequente Digitalisierung des Personalwesens bietet viele Chancen. Sie kann Personalarbeit effizienter und zielgerichteter machen und der HR-Funktion dazu verhelfen, mehr als bisher zum Unternehmenserfolg beizutragen. Die Aussichten sind vielgestaltig: HR-Strategen freuen sich über die Perspektive auf neue Geschäftsmodelle und Arbeitsweisen, Controller erhalten Zugang zu vielen neuen Daten, Kostensenker sehen den nächsten Schritt auf dem Weg zum mitarbeiterlosen Büro – und dass die HR-ITler begeistert sind, das versteht sich von selbst. Bei aller Euphorie bleibt aber, nüchtern betrachtet, bei der Frage nach dem Kern des Konstrukts der HR-Digitalisierung vieles offen.
Wo wir stehen
Es gibt in der Diskussion um die HR-Digitalisierung viel Begeisterung
und Aufbruch, aber auch viel Sprach- und Verständnislosigkeit.
Wenn die Visionen von Personalverantwortlichen und Vordenkern
allzu kühn und himmelstürmend daherkommen, lösen sie
bei einem Teil der Adressaten Zukunftsängste, bei anderen kritiklose
Begeisterung aus. Werden die Möglichkeiten der Digitalisierung
dagegen praxistauglich an Alltagsbeispielen erläutert, winken viele
Zuhörer ab. „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, argumentieren
sie und richten sich in der Komfortzone der Etablierten
auf die Zeit nach dem Abebben der Digitalisierungswelle ein.
So fehlt vielen Mitarbeitern auf der operativen Ebene das Verständnis
für die digitalen Visionen der Unternehmensleitung, während
auf der anderen Seite vielen Arbeitsdirektoren und Personalleitern
die Fähigkeit zur Vermittlung digitaler Visionen abgeht
– wenn sie diese Visionen denn überhaupt haben. Natürlich gibt
es Ausnahmen, etwa den Personalleiter eines internationalen Speditionsunternehmens,
der berichtet, dass er die Einführung eines
neuen Kollaborationswerkzeugs nicht der IT-Abteilung überlassen
will: Er will dieses Projekt als Thema der Kommunikations- und
Arbeitskultur aus der HR-Funktion heraus besetzen.
Das ist der richtige Weg. Aber immer noch ein Einzelfall. Selbst
die großen Unternehmen, die im Prozess der HR-Digitalisierung
gedanklich bereits am weitesten sind, haben bislang zumeist
keine fertigen Antworten und kein detailliertes HR-Zielbild
entwickelt. Sie stellen aber zumindest die richtigen Fragen:
- Was bedeutet ein umfassendes Verständnis der HR-Digitalisierung
für uns? - Wie müsste die Personalfunktion der Zukunft aufgestellt sein?
- Welche Kompetenzen benötigen wir dafür in HR?
Mit ganzheitlichem Blick
Umfassende HR-Digitalisierung ist ein dickes Brett, das man am
besten mit ganzheitlichem Ansatz bohrt. Wir empfehlen, beim digitalen Personalmanagement auf Werkzeuge, Prozesse, Strukturen
und Kompetenzen der Personalarbeit, auf Daten und die
notwendige Führungsphilosophie zu schauen. Die Abbildung zeigt unser umfassendes Verständnis von digitalem
Personalmanagement.
Ganzheitliches Verständnis von digitalem Personalmanagement
Leider sieht es aber momentan noch so aus, als werde die Personalfunktion
ihrem eigenen Auftrag nicht gerecht: „Arbeit von
Menschen mit und für Menschen.“ Es scheint wieder das Gleiche
zu geschehen wie bei vorangegangenen Entwicklungswellen.
Man denke etwa an die Einführung der Business-PartnerRolle
oder von Shared Services: Die Umsetzungsprobleme
wurden bei den Kunden der Personalfunktion vermutet, doch
waren es die Personaler selbst, die sich mit den neuen Rollen
und Arbeitsweisen schwertaten.
Auch im Zuge der HR-Digitalisierung macht es den Eindruck,
als hätte man die eigenen Mitarbeiter der HR-Funktion vergessen,
denn die möglichen Auswirkungen bleiben diffus und
erzeugen darum zunächst einmal Angst vor Kompetenz- und
Jobverlust. Viele Experten vermuten innerhalb der Personalfunktion
die stärksten Veränderungen durch die Digitalisierung
bei den HR-Administratoren. Die Prognosen reichen von
einer fast völligen Substitution von Entgeltabrechnern bis hin
zu einer großen Rückkehrwelle ins Near- und Offshoring abgewanderter
Personalerjobs nach Deutschland. Wenn zukünftig
die vielen HR Service Center in Osteuropa durch Prozess- und
Sprachautomatisierung auf wenige hoch spezialisierte und hoch
produktive Tätigkeiten in der Steuerung reduziert worden sind,
dann könnte man sie doch auch wieder in die Konzernzentralen
zurückverlagern, so die Überlegung.
Sicherlich ist niemand in der Lage, aus den vielen optimistischen
wie pessimistischen Szenarien die zutreffende Entwicklung vorherzusagen.
Aber alleine die Auseinandersetzung innerhalb der
HR-Funktion mit diesen Zukunftsszenarien, die offene Diskussion
und eine gute Vorbereitung der HR-Mitarbeiter im Sinne der
Employability würde der HR-Funktion gut zu Gesicht stehen.
Personaler als Prozessbeschleuniger
In den Nullerjahren wurde die Entwicklung der Personalorganisation
mit dem Bild vom Dreieck zur Raute dargestellt. Die
Digitalisierung könnte aus der Raute wieder ein Dreieck machen, wenn administrative Aufgaben endgültig
automatisiert werden. Prozessunterstützungssysteme stehen
nicht mehr isoliert, sondern werden von Recruiting über Personalentwicklung
bis hin zu Performance integriert.
Der Personalarbeit stehen heute im Bereich der Spracherkennung,
der Prozessautomatisierung und Entscheidungsunterstützung
Möglichkeiten zur Verfügung, die noch vor zehn Jahren
als visionär galten. Mittels künstlicher Intelligenz entstehen
Expertensysteme, die die Sachbearbeitung verändern und
menschliche Prozesskompetenz teilweise ersetzen können. Die
verbleibenden Personaler wären nicht mehr in erster Linie Wissensträger,
sondern Content-Produzenten. Statt Datenpflege
wird Prozessfreigabe ihre Kernaufgabe sein. Personaler sollten
grundsätzliche Fragen nach dem wirklichen Nutzen des Einsatzes
immer neuer Technologien und Softwareprodukte stellen und
die Antworten hinreichend bewerten können.
Wenn in der politischen Diskussion Digitalisierung zum einen
als Versäumnis betrachtet wird – siehe die Klagen über den
mangelhaften Netzausbau in einigen Teilen Deutschlands – und
zum anderen das Schreckgespenst des Arbeitsplatzabbaus als
Begründung für Marktregulierungen herhalten muss, dann
schafft das bei der Bevölkerung und vor allem den Arbeitnehmern
keine optimistische Sichtweise auf die Zukunft. Immer neue
Studien prognostizieren das Verschwinden von Millionen
Arbeitsplätzen. Wundert es dann, dass viele Erwerbstätige, selbst
wenn sie heute über einen guten Lebensstandard verfügen, mehr
mit Sorge als mit Hoffnung in die Zukunft schauen? Das ist
aber nicht die Einstellung, mit der die weitere Entwicklung aktiv
gestaltet wird.
Was wir brauchen
Zunächst einmal brauchen wir etwas Gelassenheit! Die Forschungslandschaft
zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf
die Arbeitsplätze ist sehr heterogen. Bei aller berechtigten Sorge:
In vergangenen Automatisierungswellen sind stets auch neue
Berufsbilder – und damit auch neue Arbeitsplätze – entstanden.
In diesem Zuge könnten HR-Mitarbeiter Kompetenzen insbesondere
im Datenmanagement aufbauen: etwa im Active Sourcing
von geeigneten Kandidaten in sozialen Netzwerken, in der Entwicklung
neuer Blended-Learning-Konzepte oder im Erkennen
optimierbarer Verhaltensmuster in den Bewegungsdaten aktiver
Mitarbeiter.
Personaler leiden häufig unter der Unterstellung, ihre Fähigkeiten
und Kompetenzen seien leicht zu imitieren, was in der Behauptung
gipfelt: „Personalarbeit kann jeder.“ Durch den zusätzlichen
Erwerb digitaler Kompetenzen würde die Professionalität von Personalern
durch Kollegen anderer Unternehmensfunktionen sicherlich
anders wahrgenommen und mehr wertgeschätzt werden.
Außerdem könnte sich der viel beschworene
demografische Wandel als Segen
entpuppen: Selbst wenn die Zahl der
Beschäftigten infolge der Digitalisierung
in den nächsten zwanzig Jahren in
Deutschland um zwölf Prozent schrumpfen
würde, so entspräche das ungefähr
dem Rückgang der verfügbaren Arbeitskräfte.
Die Realität sieht heute in vielen
HR-Funktionen doch jetzt schon so aus,
dass eine Personalknappheit besteht. In
Ballungsräumen ebenso wie in der ostdeutschen
Provinz sind etwa erfahrene
Entgeltabrechner nur schwer zu finden.
Prozessautomatisierung wird helfen, sich
verschärfende Engpässe zu überbrücken.
Deutsche Unternehmen sollten sich nicht
von den Googles, Apples, Facebooks und
Amazons der Welt und ihrer schönen
neuen Datenwelt antreiben lassen. Man
nehme nur das Thema „Sensorisierung“,
also die Überwachung von Mitarbeitern
mit einer Vielzahl von Messgeräten zur
Erfassung des Verhaltens.
+++Exklusiv als PDF zum › Download: Zehn Schritte: Auf dem Weg zur digitalen HR-Organisation+++
Nutzenbringende
Machbarkeitsabwägung
Natürlich kann Big Data eine kleinstteilige
Steuerung von Mitarbeiterbewegungen
ermöglichen, und deren Nutzung
wird auch von verschiedenen
Akteuren der neuen Datenwelt forciert
werden. Aber es bleibt mehr als fraglich,
ob dieser Weg aufgrund der arbeits und
datenschutzrechtlichen Situation
überhaupt in Deutschland beschritten
werden kann; ganz abgesehen davon,
ob er überhaupt beschritten werden
sollte, weil der Nutzen überhaupt nicht
eindeutig ist. Zwischen Euphorie und
Verweigerung brauchen wir den Weg
der nutzenbringenden Machbarkeitsabwägung.
In einem zweiten Schritt brauchen wir
eine ernst zu nehmende, bodenständige
und chancenorientierte Diskussionskultur.
Die gesellschaftlichen und betrieblichen
Akteure müssen dazu raus
aus ihrer Komfortzone: Gewerkschaften
und Betriebsräte sollten sich nicht nur
als Mahner und Warner positionieren,
sondern als aktive Gestalter erfolgreicher
digitaler Unternehmenswelten.
Unternehmens- und Personalleitungen sollten umgekehrt diese
Akteure als hilfreiche Kritiker wertschätzen, die allzu eifrige
Modernisierer vor Schaden durch fehlende Akzeptanz schützen.
Die Personalfunktion wird Fragen nach dem Nutzen neuer HRIT
beantworten müssen
- Wird das Arbeiten mit der neuen Lösung vereinfacht?
- Werden dadurch Prozesse optimiert?
- Können damit mobile Mitarbeiter integriert werden?
Fragen nach den Rahmenbedingungen eines erfolgreichen
Betriebs neuer HR-IT richten sich auf zukünftige Kosten: - Sind Datensicherheit und Datenschutzanforderungen erfüllt?
- Erlaubt die Personalplanung den langfristig problemlosen
Betrieb der ausgewählten Software? - Welche (IT-)Fähigkeiten sollten die Personaler der Zukunft
besitzen?
Die Digitalisierung erfordert eine aktive Gestaltung des Veränderungsprozesses.
Und die digitale Runderneuerung von HR
nutzt nicht nur innovative IT-Werkzeuge, sondern auch agile
Methoden. Sie hat das Potenzial, ein neues HR-Portfolio zu entfalten,
das Werkzeuge der Arbeit 4.0 wie Demokratisierung,
digitale Wertschöpfung oder „New Leadership“ in die Unternehmen
trägt. Umfassend gedachte und umgesetzte HR-Digitalisierung
steht nicht für sich, sondern gibt der Transformation der
Gesamtorganisation entscheidenden Schub.
Nun müssen wir uns an die Arbeit machen! Personaler haben
dabei Aufgaben von verschiedener Tragweite und Qualität. Diese
lassen sich in einem Zehnpunkteplan der HR-Digitalisierung
(hier als › Download) zusammenfassen. Ganz wichtig dabei und
über allem stehend: Als Personaler sollten wir unser Handeln
immer kritisch reflektieren. Gerade bei der Einführung von IT-Tools
sollten wir Experten für Menschen bleiben und uns nicht
von der Technikbegeisterung treiben lassen.
Buchtipp |
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Die digitale HR-Organisation
Die Texte dieser Titelstrecke sind exklusiv für die Personalwirtschaft bearbeitete Auszüge des Ende März erscheinenden Buchtitels „Die digitale HR-Organisation – Wo wir stehen, was wir brauchen“. Darin erfahren Sie, wie die Digitalisierung HR-Zielbilder und -Geschäftsmodelle verändert, wie HR-Abteilungen ihre Strukturen, Prozesse und Systeme umkrempeln und wie Personalmanager frische Impulse in der Organi- sationsentwicklung setzen. Neuerscheinung – 1. Auflage erhältlich ab Ende März 2018. 340 Seiten. 39,90 Euro. |
Die Autoren:
Wolfgang Appel,
Professor für
Personalmanagement,
Hochschule des
Saarlandes, Saarbrücken, wolfgang.appel@htwsaar.de
Michael Wahler,
Inhaber, WAHLER
Human Resources,
München,
info@wahler-hr.com
+++ Weiterlesen zum Thema HR-Digitalisierung:
› Standpunkt: Die menschlichen Makel der Recruiting-Bots
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