Eine duale Ausbildung ist das Ziel von neun jungen Ukrainerinnen und Ukrainern. Sie sind die ersten Kandidaten des Qualifizierungsprogramms „Chemie Integriert“, das vor wenigen Tagen öffentlich vorgestellt wurde. Das Programm wird vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft zusammen mit den im Industriepark Höchst tätigen Unternehmen Sanofi, Infraserv, Heubach Colorants Germany und Kuraray Europe durchgeführt. Ziel ist es, Menschen aus der Ukraine auf eine duale Ausbildung im kaufmännischen Bereich, der Produktionstechnik, Informatik, Logistik sowie Elektro- und Metalltechnik vorzubereiten.
Vorangegangen ist eine fünfmonatige Berufsorientierungsphase mit begleitender Deutschförderung. Währenddessen „haben wir für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren Wünschen und Stärken entsprechende Berufe ausgewählt“, sagt Projektleiterin Anke Marrwitz. Ab März werden sich die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer in einer Einstiegsqualifizierung durch ein Langzeitpraktikum in den Unternehmen mit den betrieblichen Tätigkeiten vertraut machen.
Fünf Monate Orientierungsphase, dann ein Langzeitpraktikum und im Idealfall danach eine Ausbildung: Das Beispiel zeigt, wie zeitaufwändig und schwierig es für Geflüchtete ist, auf dem deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß zu fassen – selbst wenn wie in dem hessischen Modellprojekt große Unternehmen und öffentliche Förderer beteiligt sind. Menschen, die aus der Ukraine fliehen mussten, wie die neun Azubis in spé, sind eine Herausforderung – und gleichzeitig eine Chance für den deutschen Arbeitsmarkt.
Aktuell arbeiten 21 Prozent der erwerbsfähigen Ukrainerinnen und Ukrainer
Vor zwei Jahren, am 24. Februar 2022, begann der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine. Das UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) hat seither insgesamt rund 5,98 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Europa registriert. Unter den EU-Staaten haben Polen und Deutschland die meisten Flüchtlinge aufgenommen. In Deutschland lebten im Dezember 2023 laut Ausländerzentralregister rund 1,2 Millionen Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Unter den etwa 1,1 Millionen Geflüchteten sind viele Frauen mit Kindern, aber auch ältere Menschen.
Zwischen 15 und 65 Jahre alt – also im erwerbsfähigen Alter – sind etwa 716.000 von ihnen, rechnet die Bundesagentur für Arbeit. Von dieser Gruppe waren im November 2023 rund 21 Prozent berufstätig: 113.000 haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland gefunden und 36.000 einen Minijob.
Diese Zahlen mögen auf den ersten Blick enttäuschend wirken, gerade vor dem Hintergrund, dass das allgemeine Bildungsniveau in der Ukraine viel höher ist als in anderen Herkunftsländern von großen Flüchtlingsgruppen wie etwa Afghanistan oder Syrien. Dass aktuell trotzdem nicht mehr Personen aus der Ukraine arbeiten, liegt unter anderem daran, dass derzeit noch viele von ihnen einen Integrationskurs machen. 124.000 Ukrainerinnen und Ukrainer besuchten im Januar 2024 nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit einen entsprechenden Kurs. Drei Viertel von ihnen werden ihn bis Mitte 2024 beenden, alle anderen voraussichtlich bis Januar 2025. Zu denjenigen, die in näherer Zukunft die Integrationskurse beenden und damit dem Arbeitsmarkt potenziell zur Verfügung stehen, kommen langfristig rund 55.000 ukrainische Staatsangehörige, die derzeit einer schulischen, beruflichen oder universitären Ausbildung nachgehen.
Job-Turbo für schnellere Arbeitsaufnahme
Angesichts des Fach- und Arbeitskräftemangels, der ein Großteil der Unternehmen in Deutschland plagt, hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schon vor einigen Wochen den sogenannten „Job-Turbo“ angekündigt. Die Jobcenter sollen seit Beginn des Jahres anerkannte Geflüchtete, die im Bürgergeld und arbeitsfähig sind, dadurch schneller in Arbeit bringen. Damit erste Arbeitserfahrungen in Deutschland gesammelt werden können, werden die Jobcenter schon ab einem geringeren Sprachniveau vermitteln, sagte Hubertus Heil. Der Bundesarbeitsminister rief Unternehmen auf, Geflüchtete verstärkt auch ohne gute Deutschkenntnisse zu beschäftigen und berufsbegleitend weiter zu qualifizieren.
Das Qualifizierungsprogramm der hessischen Chemieunternehmen passt genau in diese Kategorie. Zu den Firmen, die sich in dem Modellprojekt engagieren, gehört auch Sanofi Deutschland. Das Pharmaunternehmen stellt fünf der Qualifizierungsplätze für die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer zu Verfügung. Oliver Coenenberg, Sanofi-Geschäftsführer Personal und Organisation, nannte das Projekt eine „Win-win-win-Situation“ für die Partnerunternehmen, für die Teilnehmenden und „für die Stärkung der Demokratie und eine bunte Gesellschaft, in der die Fachkräftezuwanderung erwünscht ist“.
Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.

