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Interview: Die Team-Lüge

Im Interview: Volker Kitz / Foto: Andreas Labes
Im Interview: Volker Kitz / Foto: Andreas Labes


Personalwirtschaft: Eine These in Ihrem neuen Buch lautet: „Nicht die Arbeit macht Menschen unglücklich, sondern die Lügen, die darüber erzählt werden.“ Gehört die Beschwörung der Zusammenarbeit am Arbeitsplatz auch dazu?
Volker Kitz:
Ich denke schon, weil das kooperative Miteinander immer als ein ganz tolles Erlebnis dargestellt wird. Das fängt bei den Stellenanzeigen an und geht im Vorstellungsgespräch weiter: Herausgestellt wird das engagierte, aufgeschlossene Team. Da fragt man sich doch, wovon eigentlich die weniger netten Zeitgenossen leben. Denn die arbeiten ja offenbar nirgendwo.

Teamarbeit wird glorifiziert?
Ja. Statt die Zusammenarbeit von Menschen als Notwendigkeit zu beschreiben – was sie ist –, wird sie verherrlicht. Im Job kommen dann die Frusterlebnisse, wenn man nämlich erkennt, dass das tolle Team eine Schimäre ist. Denn nicht alle Kollegen können nur fantastisch sein, es gibt auch langweilige, intrigante und unfähige. Das Arbeitsleben bildet die gesamte Palette der Gesellschaft ab. Und dann wird gejammert: Meine Arbeit wäre ja in Ordnung, wenn ich nicht mit der oder dem zusammenarbeiten müsste. Wir projizieren unsere Unzufriedenheit auf bestimmte Leute. Dabei gehört der Umgang mit Menschen, mit den netten und mit weniger netten, zu jedem Job dazu. Mit ihnen zurechtzukommen, ist eine echte Herausforderung.

Der Einzelne muss sich der Gruppe unterordnen und den Teamerfolg über den eigenen Triumph stellen. Verlangt das nicht übermenschliche Größe?
Jedenfalls steht es im Widerspruch zu dem, was uns die Arbeitswelt einredet: Auf dich kommt es an. Du bist wichtig. Du kannst etwas bewegen. Das hören wir gerne. Deshalb schlagen wir uns nach Feierabend mit geschäftlichen Telefonaten und E-Mails Zeit um die Ohren, weil wir so wichtig sind. Die Teamkultur steht dazu im krassen Gegensatz. Hier geht es gerade nicht um den Einzelnen. Bei der Weihnachtsfeier wird dem „großartigen Team“ gedankt, das „an einem Strang zieht“ und in dem der Pförtner wie der Vorstandsvorsitzende unterschiedslos aufgehen. Das tritt das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung mit Füßen.

Viele Mitarbeiter klagen über zu wenig Anerkennung und Wertschätzung. Müssen die Chefs hier stärker ran?
Das menschliche Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ist riesengroß. Es gibt nichts Schlimmeres, als in der Masse unterzugehen. Empirische Untersuchungen haben bewiesen, dass die Motivation in der Teamarbeit zurückgeht, wenn wir die Erfahrung machen, dass unser Anteil am Gesamterfolg nicht oder in unseren Augen nicht genügend wahrgenommen und gewürdigt wird. Ich finde das erschreckend. Denn Teamarbeit ist nicht wegzudenken. Die Forschung deutet allerdings auch darauf hin, dass sie funktioniert, wenn die Beiträge der Teammitglieder klar abgegrenzt und bewertet werden.

Der Glaube, dass wirklich nur der Teamerfolg zählt, ist naiv.

Warum tun sich Führungskräfte so schwer damit?
Weil es die Quadratur des Kreises ist. Sie müssen gleichzeitig und gleichwertig den Erfolgsbeitrag des Einzelnen wie den Erfolgsbeitrag des Teams erkennen und anerkennen. Das bedeutet, zu sagen: Ich mache Dir nichts vor, Du bist ein Rad im Getriebe, aber ich beobachte, wie du dich drehst. Genau hinzuschauen, wer was wie macht, kostet aber Zeit. Und es ist lästig, sich mit den Details zu beschäftigen. Verlockender ist es, den Auftrag ans Team zu geben und nur die Gesamtleistung zu würdigen. Was wiederum zur Glorifizierung der Teamkultur beiträgt. So beißt sich die Katze in den Schwanz.

Mitarbeiter sollen für ihre Arbeit brennen, wünschen sich die Arbeitgeber. Aber sie sollen auch mit anderen erfolgreich kooperieren, was voraussetzt, sich in deren Perspektive zu versetzen. Ist Leidenschaft effizient?
Leidenschaft führt nicht per se dazu, dass man seine Arbeit besser macht oder besser mit anderen umgeht. Denn die Leidenschaft kennt nur sich selbst. Es geht dabei nur um mein Verhältnis zur Arbeit. Empathie hingegen setzt nüchterne Distanz zu mir selbst voraus. Damit wird die Leidenschaft zur Gegenspielerin der Empathie. Je mehr ich für meine Arbeit brenne, desto weniger achte ich auf die Funken rings um mich herum. Und dann wundere ich mich, warum die still verglühen.

Warum negieren Organisationen den Widerspruch von Leidenschaft und Empathie und verlangen stur beides?
Weil wir uns vor geraumer Zeit darauf geeinigt haben, dass Arbeit ein attraktives Lifestyleprodukt ist und niemals lästig, unangenehm oder anstrengend. Da muss man fragen: Wenn Arbeit Erüllung und Spaß gibt – warum werde ich dafür bezahlt? Viele Firmen suchen Mitarbeiter mit Leidenschaft. Ich würde Leute suchen, die gut arbeiten. Ich finde, es sollte weniger darum gehen, seine Arbeit toll zu finden, als sie toll zu machen. Auch das kann eine erfüllende Lebensaufgabe sein.

Überall wird das Hohelied der Teamarbeit und Vernetzung gesungen. Karriere macht aber nur, wer positiv aus der Gruppe heraussticht. Wie geht das zusammen? Ist Kollaboration in Wahrheit karriereschädlich?
Belohnt und befördert wird nie das Team, sondern immer nur einzelne Mitarbeiter, die positiv aufgefallen sind. Die anderen werden dann neidisch, weil ja jeder belohnt und befördert werden möchte. Das liegt in der menschlichen Natur. Gegen die können wir noch so viele organisatorische Krücken bauen – das wird nie anders sein.

Kollaboration nutzt dem Unternehmen, aber schadet dem einzelnen Mitarbeiter?
Der Glaube, dass wirklich nur der Teamerfolg zählt, ist naiv. Wer vorankommen will, muss dafür sorgen, dass sein individueller Beitrag wahrgenommen wird. Sonst ist er der Angeschmierte. Niemand darf sich darauf verlassen, dass die Führungskraft die Leistung einzelner Teammitglieder so genau mitbekommt. Dafür muss er schon selbst sorgen.

Und dieser Schaulauf ist gut fürs Geschäft?
Den Unternehmen ist das recht. So strengen sich die Leute mehr an.

Das Interview führte Christine Demmer.


Zur Person:
Dr. Volker Kitz ist Sachbuchautor und Vortragsredner. Der studierte Jurist und Psychologe bereitet in seinen Werken und Vorträgen juristische und Wirtschaftsthemen für ein breites Publikum auf. Anregungen liefern ihm unter anderem Gespräche mit Topmanagern. Seine Bücher sind Bestseller, erscheinen in 30 Ländern und zehn Sprachen. Auch in Fernsehsendungen ist Volker Kitz oft zu Gast.

Erschienen in der Personalwirtschaft 03/2017