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Ohne Erpressung, ohne Druck, sondern mit den besseren Argumenten

Sahra Wagenknecht spricht über Macht, gute und schlechte Führung und wie Politiker korrumpiert werden. 
Bild: Trialon Berlin
Sahra Wagenknecht spricht über Macht, gute und schlechte Führung und wie Politiker korrumpiert werden.
Bild: Trialon Berlin

Sahra Wagenknecht ist seit knapp einem Jahr Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. Ihre politischen Erfahrungen reichen weit zurück. Mit gerade mal 21 Jahren war sie bereits Vorstandsmitglied der damaligen PDS. Auf europäischer Ebene sammelte sie als Mitglied des Europaparlaments Erfahrungen, bevor sie 2009 in den Bundestag ging. Macht, Führung, Überzeugung sind stete Beobachtungspunkte bei ihr. Im Gespräch mit dem Sozialpsychologen Rolf van Dick erläutert sie ihr Verständnis von guter Führung. Teil II zu unserer Serie „Besser führen“.

Auf der Internetseite unseres Instituts wird das von mir geführte Video-Interview mit Sahra Wagenknecht, wie viele andere Gespräche im Netz, häufig angeklickt. Es wurde von Tausenden von Personen aber nicht nur angeklickt, sondern auch angesehen. Die Analyse des Videos zeigt, dass es durchschnittlich acht Minuten lang angesehen wird. Im Durchschnitt wird also ein Drittel des Gesprächs geschaut – dies ist nicht nur für diese Interviewreihe ein Spitzenwert, der belegt, dass sich die Menschen tatsächlich dafür interessieren, was Sahra Wagenknecht zu sagen hat!

Trotz Zeitdrucks – sie kam für eine Podiumsdiskussion zu uns nach Frankfurt und sollte zwischen unserem Gespräch und der Diskussion noch vom ZDF interviewt werden – war Sahra Wagenknecht sehr aufgeschlossen und nett. Sie signierte mir den ersten Band von Marx’ Kapital („Aber nur auf der letzten Seite, ich habe es ja nicht selbst geschrieben.“) und ließ sich mit meinen Studierenden fotografieren. Beim Hereinkommen fragte ich sie, ob sie einen Parkplatz brauche. Sie sagte, darum würde sich ihr Fahrer kümmern. Dieser entpuppte sich später als ihr Ehemann Oskar Lafontaine, der sie nach der Podiumsdiskussion abholte.

Zu Beginn des Gesprächs ging es darum, wie Führungskräfte eigentlich Einfluss nehmen können. Dazu vorab ein paar Informationen.
In der Forschung werden neun Taktiken unterschieden, mit denen man Einfluss auf andere Menschen nehmen kann. Diese sind:

•    Legitimität: Man verweist auf seine rechtmäßigen Befugnisse, die sich aus der Stellung als Führungskraft ergeben
•    Druck: Man droht mit negativen Konsequenzen, wenn sich die Mitarbeiter nicht so verhalten, wie man möchte
•    Rationale Überzeugung: Man erklärt den Mitarbeitern, warum ein bestimmtes Ziel wichtig ist und warum sie mit ihrem Verhalten zur Zielerreichung beitragen können
•    Koalitionen: Man versucht, andere Mitarbeiter einzubinden, sodass diese Druck auf die Mitarbeiter ausüben
•    Inspirierende Appelle: Man appelliert an die allgemeinen Werte und Bedürfnisse der Mitarbeiter
•    Persönliche Apelle: Man bittet die Mitarbeiter, etwas zu tun aufgrund von Loyalität und Freundschaft
•    Konsultation: Man sichert sich die Kooperation der Mitarbeiter, indem man sie zu Verbündeten macht
•    Austausch: Man verspricht Belohnungen und Vorteile, wenn sich die Mitarbeiter wie gewünscht verhalten
•    Schmeicheln: Man ist besonders freundlich, macht Komplimente und lobt die Mitarbeiter

Die Forschung hat gezeigt, dass es am besten ist, die Mitarbeiter rational davon zu überzeugen, dass das gewünschte Verhalten notwendig ist. Auch inspirierende Appelle und Konsultation können geeignete Methoden der Einflussnahme sein. Am wenigsten erfolgreich hat sich Druck erwiesen. Wer mit Drohungen und Druck versucht, Mitarbeiter zu etwas zu bewegen, kann sogar gegenteilige Effekte erleben.

Druck, Drohungen, Unterwürfigkeit

Sahra Wagenknecht setzt genau hier an. Auf meine Frage, was gute Führung für sie ausmacht, sagt sie: „Schlechte Führung – um es umgekehrt zu definieren – ist, wenn einer versucht ‚durchzustellen’ und die Fraktion ‚auf Linie zu bringen’. Das hat man vor kurzem erlebt bei dem Paket, das vermeintlich Griechenlandhilfen beinhaltete, wobei es eigentlich nicht um Griechenland, sondern um die Bankenrettung ging. Da hat es bei den anderen Fraktionen – auch bei der SPD – erhebliche Bauchschmerzen gegeben. Und am Ende lautete das Machtwort des Kanzlerkandidaten ungefähr so: ‚Wenn ihr mich nicht demontieren wollt, dann müsst ihr da mitmachen’.“ Die meisten Mitglieder hätten sich dem unterworfen. Leider sei es immer wieder so, dass sich Fraktionen unterwerfen und gegen ihr Gewissen abstimmten. Das hält Wagenknecht für schlechte Führung. Sie beschreibt also die Einflussnahme durch Druck und Drohungen als schlechte Führung, selbst dann, wenn die Führungskraft so ihre Ziele erreicht.

Für die Definition guter Führung wiederum braucht sie nicht so viele Worte. „Argumente zu haben, mit denen man überzeugt, und am Ende die Menschen dafür zu gewinnen, was man will – aber eben nicht mit einer Erpressung, nicht mit Druck –  sondern mit den besseren Argumenten. Wenn man es damit nicht schafft, dann sollte man die Abstimmung freigeben.“ Rationale Überzeugung ist für sie also – wie im Managementlehrbuch – der Schlüssel zur Einflussnahme im positiven Sinn.

Gute Führung – auf Distanz

Führungskräfte haben heutzutage immer mehr damit zu tun, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter räumlich verteilt arbeiten. Dies war zum Beispiel im Vertrieb immer schon so, ist aber angesichts neuer Arbeitsformen und -möglichkeiten heute und in Zukunft immer häufiger auch in anderen Bereichen der Fall.
Auch Politiker müssen Menschen an unterschiedlichen Orten und aus der Ferne führen. Auf meine Frage, wie Sahra Wagenknecht ihre Referenten, das Sekretariat und so weiter konkret führt, sagt sie lachend: „Sie dürfen mein Büro nicht überschätzen! Das ist sehr überschaubar. Das sind zwei Mitarbeiter in meinem Wahlkreisbüro in Düsseldorf und drei Mitarbeiter in Berlin. Große Führungsqualitäten brauche ich da nicht.“

Für sie sind regelmäßige Besprechungen und klare Aufgabenverteilungen wichtig. „Natürlich ist es so, dass wir regelmäßige Bürobesprechungen machen, es gibt eine klare Aufgabenverteilung. Wenn die Aufgaben nicht klar abgegrenzt sind, wird entweder doppelt gearbeitet oder nichts passiert, weil sich jeder darauf verlässt, dass es der andere macht. Eine klare Aufgabenteilung und damit auch Verantwortlichkeit sind Dinge, die selbst bei kleinen Mikroorganisationen von fünf Leuten wichtig sind.“

Ich habe sie dann gefragt, wie sie es hinbekommt, dass sich die Mitarbeiter in Berlin und Düsseldorf koordinieren, sich als ein Team fühlen und ob sie dazu zum Beispiel Videokonferenzen macht. „Das Video haben wir bis jetzt noch nicht erschlossen, weil man das bei fünf Leuten auch nicht muss. Aber Telefonkonferenzen machen wir relativ regelmäßig. Das hat sich bewährt, weil bilaterale Telefongespräche für mich natürlich viel anstrengender sind, denn ich muss die gleiche Geschichte jedem einzeln erzählen oder ich vergesse, jemandem etwas zu sagen, weil ich es ja dem anderen gesagt habe.“ Man könne vieles über Telefonkonferenzen abdecken, sodass nicht immer alle anreisen müssten. Es gibt aber zweimal im Jahr eine Bürobesprechung, zu der alle zusammenkommen. „Dabei wird grundsätzlich besprochen, was im nächsten halben Jahr ansteht und was die Schwerpunkte sind, sodass ein gemeinsames Level da ist.“

Hier beschreibt sie ganz gut, dass Führungskräfte dafür sorgen müssen, dass auch räumlich verteilte Mitarbeiter mit modernen Methoden koordiniert werden können. Andererseits müssen Führungskräfte aber auch Möglichkeiten schaffen, dass sich die gesamte Mannschaft persönlich trifft. Michael West nennt dies „Gelegenheit zur Reflektion“ geben. Teams, die sich ein bis zweimal pro Jahr zurückziehen, sich austauschen und klar benennen, welches die (neuen oder alten) Ziele sind, sind in der Regel leistungsfähiger.

Was Macht macht

Es gibt das Sprichwort: „Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely. Great men are almost always bad men“ von Lord Acton (1887). Übersetzt etwa: „Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut. Bedeutende Männer sind fast immer böse Männer“. Heute würde man sicher auch Frauen mit einschließen. Aber ist die Aussage überhaupt berechtigt? Hören wir, was Sahra Wagenknecht auf meine Frage geantwortet hat, wer sie in positivem oder negativem Sinne beeindruckt hat.

Ich finde, dass kein Mensch so viel mehr leistet als ein anderer, als
dass er das Fünfzig- oder Hundertfache eines normalen
Durchschnittsarbeiters verdient hätte

Sie sagt, dass sie Menschen besonders im negativen Sinne beeindruckt haben. „Es ist für mich schon immer ein abschreckendes Beispiel gewesen, was Politik mit Menschen machen kann. Wie Leute, die aus persönlichem und sozialem Engagement heraus in die Politik gegangen sind, einen Weg genommen haben, wo sie alles über Bord geworfen haben, wofür sie sich einst engagiert haben.“ Insbesondere ginge es in der Politik häufig nur noch darum, wieder gewählt zu werden. „Wie sind meine Chancen wieder aufgestellt zu werden, wenn ich das mache oder jenes? Das ist die Richtschnur des politischen Handelns. Von einem Mandat zum nächsten wieder aufgestellt zu werden, ist sozusagen das heilige Ziel und alles andere ist nur noch Mittel zum Zweck.“ Dieses Phänomen ziehe sich durch alle Parteien und einige hätten sich völlig von ihren ursprünglichen Zielen verabschiedet. „Die meisten schwimmen mit. Ich finde wirklich erschreckend, dass Politik Rückgrat bricht und Menschen das mit sich machen lassen. Und zwar Menschen, die einst sicherlich mal respektable Ziele hatten.“

Was Führungsprinzipien zerstört

Es ist interessant, wie Frau Wagenknecht hier beobachtet, dass die Politik in allen Parteien Menschen verbiegen kann und nur noch dem nächsten Wahltermin hinterher rennen lässt. Im Gespräch haben wir uns dann ausführlich darüber unterhalten, auf welche Weise Politiker korrumpiert werden können. Ihrer Meinung nach geschieht dies auf verschiedene Art. Manchmal recht direkt, wenn Politiker unmittelbar nach der aktiven Zeit in Unternehmen wechseln, für die sie vorher günstige Gesetze gemacht haben. Manchmal eher indirekt, zum Beispiel durch den Einfluss der Medienkonzerne, die die öffentliche Meinung beeinflussen, der sich wiederum die Politiker beugen.

In der neueren Wissenschaft gibt es die Unterscheidung in zwei verschiedene Funktionen von Macht. Man kann Macht einmal ausüben, um seine eigenen Ziele durchzusetzen – auch wenn dies auf Kosten der Gesellschaft oder anderer Menschen geht. Das ist die „schlechte“ (wissenschaftlich: präventive oder repressive) Macht im Sinne Lord Actons. Auf der anderen Seite gibt es aber auch den Willen zur Macht, um dadurch etwas Gutes für andere Menschen und die Gruppe zu erreichen, also die „gute“ (oder: offensive, förderliche) Macht. Wenn Menschen letztgenannte Macht zeigen, lehnen sie Korruption stark ab. Hierzu passt ein schönes Zitat von Mahatma Ghandi: „Power is of two kinds. One is obtained by the fear of punishment and the other by acts of love. Power based on love is a thousand times more effective and permanent….“

Kurz gesagt: Macht muss nichts Schlechtes sein – es kommt immer darauf an, wie und wofür sie genutzt wird. Es ist aber schon auffällig, dass eine Politikerin vor allem die „dunkle Seite“ beschreibt.

Qualitative Führung jenseits der Geldfrage

Ich habe Sahra Wagenknecht gefragt, ob man Abhängigkeiten in der Politik nicht auch dadurch reduzieren könnte, indem Politiker besser bezahlt würden. „Natürlich ist es fragwürdig, wenn die Bundeskanzlerin im Jahr mit 200.000 Euro im Jahr nach Hause geht. Ich glaube aber nicht, dass es sinnvoll und auch nicht zu verantworten wäre, einen Wettstreit mit der privaten Wirtschaft zu installieren, sodass auch Politiker Millionengehälter bekommen. Die Distanz zum Wähler würde ja dadurch immer größer. Man sollte gucken, wie diese völlig aberwitzigen, exorbitanten Gehälter, die teilweise in der Wirtschaft gezahlt werden, verhindert werden können. Ich finde, dass kein Mensch so viel mehr leistet als ein anderer, als dass er das Fünfzig- oder Hundertfache eines normalen Durchschnittsarbeiters verdient hätte.“

Auf meine Nachfrage, was ein angemessenes Verhältnis zwischen Durchschnitts- und Spitzeneinkommen sein könnte, sagt sie: „Ich denke, dass die Politikergehälter in Ordnung sind, wie sie jetzt sind. Eine Debatte darüber, wie man diese wesentlich reduzieren müsste, wäre auch verfehlt. Denn eine Bundeskanzlerin oder ein Bundesminister haben keine „Nine-to-five Jobs“, wo man abends pünktlich nach Hause geht. Das sind Arbeitsverhältnisse, die weit überdurchschnittlich fordern. Aber in der Wirtschaft reden wir über völlig andere Gehälter und ich würde nicht sagen, dass der Vorstandschef der Deutschen Bank mehr Verantwortung hat, als ein Staatsoberhaupt, eine Kanzlerin oder ein Kanzler. Selbst bei Ministern würde ich sagen, dass sie für das Gemeinwohl mehr Verantwortung tragen, als ein Unternehmenschef. Es gibt
empirische Studien, die belegen: Wenn die Einkommensunterschiede zu groß werden –  das gilt für die Gesellschaft insgesamt, aber auch für das einzelne Unternehmen – dann wird die Gesamtleistung schlechter! Also: Wer sagt, dass wir als Leistungsanreiz solche irren Gehälter zahlen müssen, dann ist das ist völlig absurd.“

Millionenschieberei bei Sportlern

Schließlich fragte ich noch, warum die Allgemeinheit Politikern oder Managern hohe Gehälter nicht gönnt, das aber bei erfolgreichen Sportlern ganz anders ist. „Der Sportler ist in seinem Leben nur relativ kurze Zeit aktiver Sportler und muss alles geben. Das ist sicherlich nochmal etwas anderes, als bei jemandem, der lebenslang eine bestimmte Karriere macht und lebenslang bestimmte Führungsaufgaben wahrnimmt. Die Leute regt wohl am meisten die Diskrepanz zwischen teilweise schlechter Führung und Millionengehältern auf.“ Oft würden Chefs, die ein Unternehmen an die Wand gewirtschaftet haben, immer noch mit einem goldenen Handschlag entlassen. Es gebe  überhaupt keine Koppelung. „Ein normaler Mitarbeiter ist bei einem kleinen Fehler gleich ohne Abfindung draußen. Bei den Großen ist es ganz anders, es gibt gar keine Kopplung an die eigene Leistung. Das ist beim Sportler anders: Wenn der keine Leistung mehr bringt, dann verdient er auch nicht mehr.“

Das vollständige Gespräch zwischen Sahra Wagenknecht und Rolf van Dick finden Sie › hier als Video.

Zur Person
Sahra Wagenknecht wurde 1969 in Jena geboren. Sie studierte in Jena,
Berlin und Groningen Philosophie und Neuere Deutsche Literatur und
schloss ihr Studium 1996 mit einer Arbeit über Marx und Hegel ab. 2012
promovierte sie an der Universität Chemnitz mit einer
volkswirtschaftlichen Dissertation.
Von 1991 bis 1995 und von 2000
bis 2007 war sie Mitglied des Parteivorstandes der PDS bzw. der
Linkspartei.PDS und ist seit 2007 Mitglied im Vorstand der Partei DIE
LINKE. Von 2004 bis 2009 war sie Mitglied des Europaparlaments, seit
2009 ist sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Von 2010 bis 2014 war
sie stellvertretende Vorsitzende der Partei, seit 2015 ist sie
Fraktionsvorsitzende im Bundestag.

Dieser Beitrag ist Teil II unserer Serie „Besser führen“. Teil I – im Gespräch mit Jürgen Fitschen – finden
Sie › hier.

Zum Autor:

Rolf van Dick lehrt Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, unter anderem am Center for Leadership and Behavior in Organizations (CLBO). In unserer aktuellen Serie „Besser führen“ präsentieren wir seine Gespräche mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und anderen Bereichen.

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