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„Der Mittelstand braucht einen pragmatischen Ansatz für Gradingsysteme“

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Frau Fuchs, die M+W Group entwickelt derzeit erstmals ein gruppenweit einheitliches, professionelles Gradingsystem. Wie ist der aktuelle Projektstand?

 

Christina Fuchs: M+W Group ist mit knapp 6.000 Mitarbeitern in weltweit über 30 Ländern präsent und war lange Zeit recht dezentral organisiert. Als Hightechanlagenbauer mit Schwerpunkt in der Reinraumtechnologie sind wir global in der Planung und Umsetzung komplexer Fabriken für führende Unternehmen vorwiegend aus der Elektronik- und der Halbleiterbranche sowie auch anderen Industrien wie Energie, Pharma und Life Sciences tätig. Deshalb müssen wir vor Ort sehr gut vernetzt sein. Zugleich werden unsere Kunden immer internationaler und erwarten von uns ein ähnliches Auftreten. Das ist einer der Gründe dafür, dass wir seit einigen Jahren einen zentraleren Organisationsrahmen entwickeln und jetzt auch ein Job-Grading einführen.

 

Welche Ausgangssituation hatten Sie dabei?

 

Christina Fuchs: In den zurückliegenden Jahren hat sich die grundlegende globale Organisationsstruktur der M+W Group wenig verändert. So gab es zum Beispiel keine großen M&A-Aktivitäten. Trotzdem ist für uns von HR aufgrund der heterogen Stellen- und Funktionslandschaft der Aufbau des Gradingsystems eine große Herausforderung. Wir beschäftigen an allen Standorten feste Mitarbeiter, wir haben aber auch große Expertenteams, die als Expatriates ständig in einer Vielzahl von Ländern unterwegs sind. Deshalb müssen wir zunächst Transparenz innerhalb aller Stellen und Funktionen schaffen, müssen Vergleichbarkeit herstellen und anschließend schauen, ob wir unsere Mitarbeiter in den Ländern angemessen vergüten. Innerhalb dezentraler Strukturen ohne eine einheitliche Job-Title-Systematik war es bislang schwierig, beispielsweise Ingenieure in Deutschland und in Indien sowie die jeweiligen Personalkosten miteinander zu vergleichen. Zur internen Heterogenität kommen externe Markttrends, etwa die Zentralisierung von Ingenieurleistungen in sogenannten Engineering Centers.

 

Carsten Schlichting: Das Thema ist steuerrechtlich bei der internen Leistungsverrechnung relevant. Unternehmen müssen einen intern verliehenen Mitarbeiter ähnlich bepreisen wie eine extern verkaufte Dienstleistung durch diesen Mitarbeiter, um keinen internen Steuervorteil im eigenen Konzern zu erzeugen. Die Basis für eine Preiskalkulation ist nicht das persönliche Gehalt eines Beschäftigten, sondern das Vergütungsniveau seiner Stelle entsprechend dem Gradingsystem.

 

Wie gehen Sie bei der Entwicklung des Gradingsystems vor?

 

Christina Fuchs: Wir sind im Frühjahr 2016 mit der Einführung des ersten globalen Gradingsystems der M+W Group gestartet und wollen es Ende 2017 abschließen. Dabei rollen wir das neue Modell in mehreren Phasen aus. Zuerst haben wir Stellen und Standards für das Topmanagement definiert. Im nächsten Schritt gehen wir an die Ingenieure heran, sie machen rund ein Drittel aller Mitarbeiter aus. Dann folgen die übrigen Funktionen wie etwa das Projektmanagement oder Construction.

 

Carsten Schlichting: Ein Gradingsystem bildet einen internen Ordnungsrahmen, weshalb sich ein Top-down-Vorgehen bei der Implementierung empfiehlt. Mit einer solchen Systematik ist intern klar, wer zu welcher Ebene gehört und welche Elemente ein Unternehmen mit einer bestimmten Ebene verknüpft. Zudem kann sich ein Unternehmen auch extern mit dem Wettbewerb vergleichen und weiß, welche Vergütung und welche Benefits für eine bestimmte Funktion im Markt üblich sind. Über 90 Prozent der DAX-Unternehmen verwenden Gradingsysteme. Im Mittelstand sehen wir Zuwächse, doch der Anteil beträgt erst rund 50 Prozent. Die Arbeitswelt fährt ein immer höheres Tempo, deshalb erwarten auch unsere Kunden, dass Gradingsysteme schneller werden und sie sich schneller vom Kunden übernehmen lassen. Auch wollen viele Kunden keine aufwendige und wissenschaftlich anmutende Analytik mehr als Methodik, sondern gröbere Systeme auf der Basis der Summalytik. Die überlassen den Kunden einen größeren diskretionären Entscheidungsspielraum in Zeiten, in denen sich Organisationen schnell ändern.

 

Christina Fuchs: Wie in Unternehmen unserer Größe und Internationalität üblich, fahren wir eine hohe Taktzahl. Der Mittelstand braucht daher für ein Gradingsystem einen pragmatischen Ansatz. Es darf nicht zu aufwendig sein, sondern muss sich flexibel an Veränderungen anpassen können. Die Kriterien dürfen daher nicht allzu dogmatisch angewendet werden. Wir kannten die Kriterien für Grading zum Teil schon aus unseren Tarifverträgen in Deutschland, die haben uns als Orientierung geholfen. Für unser Gradingsystem sind die Kriterien Ausbildung und Erfahrung natürlich wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend. Relevant sind bei der Einstufung einer Stelle innerhalb des Gradings auch die Komplexität einer Aufgabe, der Grad an Verantwortung und die Anforderungen an die Kommunikation.

 

Knüpft die M+W Group das Vergütungssystem direkt an das neue Gradingsystem?

 

Christina Fuchs: Das Grading stellt für uns zunächst die Basis nicht nur für Vergütung, sondern zum Beispiel auch für unsere Karrierepfade dar. Dank der Grundordnung bekommen wir einen Überblick über alle Funktionen und Positionen und damit erstmals eine Grundlage für eine globale Pay-Policy. Doch die Vergütung ist natürlich ein zweiter, sehr wichtiger Schritt. Wir werden dann schauen, wie M+W Group in den einzelnen Ländern bezahlt, wie die Grundgehälter und die variable Vergütung im jeweiligen Marktvergleich ausfallen. Parallel dazu werden wir eine Vergütungsrichtlinie erstellen, in der wir grundsätzlich festlegen, wie wir unsere Mitarbeiter bezahlen möchten. Zudem erhoffen wir uns, durch das Grading und die damit verbundenen Vergütungsdaten aussagekräftigere Einblicke im Rahmen von HR-Analytics zu bekommen. Bislang können wir etwa noch keine wirkliche Aussage dazu machen, ob eine Korrelation zwischen der Vergütung und der Fluktuation oder der Mitarbeiterzufriedenheit bzw. dem Engagement in einem Land bestehen. Allerdings erwarten wir nicht, dass das Grading uns vollkommen überraschende Ergebnisse zu unserer Vergütungspraxis liefern wird. Wir sehen es eher als Hilfestellung für eine objektive Begründung unserer Einstufungen anhand des neuen Regelwerks.

 

Carsten Schlichting: Um verlässliche Aussagen zum Zusammenhang von Vergütung und Fluktuation zu bekommen, sollte man sich zum Beispiel in Mitarbeiterbefragungen weitere Faktoren anschauen, etwa Karrierechancen, das Arbeitsklima oder die Arbeitgeberattraktivität. Aufschlussreich sind natürlich auch Vergleiche der eigenen Vergütungsdaten mit denen anderen Unternehmen, die durch Übersetzungen der Ergebnisse in die Sprache anderer Gradingsysteme erleichtert werden.

 

Wie kommt das neue Grading bislang bei Ihren Mitarbeitern an?

 

Christina Fuchs: Im Engineering stellen wir bisher eine hohe Akzeptanz fest. Allerdings haben wir die ersten Daten bisher nur mit der Managementebene geteilt. Insbesondere das Thema Karrierepfade, das direkt vom Grading abgeleitet werden kann, ist hier von großem Interesse. Das Thema Vergütung steht dabei im ersten Schritt noch gar nicht so sehr im Vordergrund. In einem Workshop mit den COOs unserer Regionen haben wir die Systematik und die Ergebnisse des Gradings vor kurzem vorgestellt. Wir haben bei diesen Managern offene Türen eingerannt, weil es uns gelungen ist, für das Grading einen Bedarf im Business aufzuzeigen, denn die Daten helfen beispielsweise bei der Planung von Engineering-Centers. Das hat überzeugt, und die Diskussion, die sich daraus ergeben hat, war ein wichtiger Schritt in Richtung einer globaleren Unternehmenskultur, da sich unser Management auf höchster Ebene über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede diverser Funktionen ausgetauscht hat. Zugleich hilft uns das, als unterstützende Businesspartner auf der Managementebene noch mehr akzeptiert zu werden und auf dem berühmten „Seat at the Table“ zu sitzen. Die Daseinsberechtigung von HR basiert ja darauf, dass wir einen Mehrwert für das Business liefern. Dazu brauchen wir unter anderem verlässliche Daten, und durch das Grading und dessen Verknüpfung mit anderen HR-Bereichen sind wir jetzt in der Lage, mehr und bessere Daten zu gewinnen. Allerdings benötigen wir noch ein globales HR-IT-System. Das wird unsere nächste große Baustelle werden. Die Digitalisierung von HR und die Verknüpfung von Daten auf der Metaebene werden uns in Zukunft nur dann gelingen, wenn wir ein passendes IT-System und die benötigten Prozesse einführen. Erst dann sind wir imstande, Trends, die wir spüren, auch mit Fakten zu belegen.

 

Es lässt sich bei der Einführung eines Gradingsystems kaum vermeiden, manchem Mitarbeiter wehzutun.

 

Carsten Schlichting: Grundsätzlich sind die Verantwortlichen frei bei der Umsetzung der Bewertungsergebnisse. Häufig braucht es zunächst eine klare Untergliederung und Definition von Bereichsleiter-, Abteilungsleiter- und Gruppenleiterstellen. Diese Schnitte lassen sich pragmatisch setzen. Darüber hinaus sollten Gradingsysteme flexibel gehandhabt werden können. Gehaltsbänder zwischen den einzelnen Ebenen überlappen sich üblicherweise. Je höher man in der Hierarchie schaut, desto größer sind die Überschneidungen. Dadurch lässt sich bei Bedarf problemlos umsetzen, dass ein kleinerer Bereichsleiter schlussendlich eine vergleichbare Vergütung hat wie ein großer Abteilungsleiter. Ein gröberes Broadbanding ermöglicht so mehr Flexibilität als eine feinere Gliederung in mehr Einzellevels. Ein anderes Beispiel aus dem Projektmanagement: In agilen Organisationen wird es normal, dass ein Projektmanager aus dem Level B auch mal Projekte aus dem Level C durchführt. Dann vergütet der Arbeitgeber den Projektmanager weiterhin nach Level B, also in diesem Fall eher nach dessen Qualifikation und nicht nach den Anforderungen des aktuellen, temporären Projekts.

 

Das Interview führte Guido Birkner.