Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Lernen auf Sterneniveau

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Zutaten
Erfolgsrezepte funktionieren nur, wenn sich der „Koch“ über die Eigenschaften der Zutaten bewusst ist. Foto © beats_/AdobeStock

Was ist das Geheimnis eines guten Kochs? Nun, kochen kann, wer sowohl die Zutaten als auch ihre Eigenschaften kennt, auf verschiedene Rezepte zugreift und dann in der Lage ist, sein eigenes Gericht zu kreieren – abgestimmt auf die jeweilige Situation und die Gäste. Weniger attraktiv hingegen: Fertiggerichte, Fastfood und Einheitsbrei. Verfolgt man aktuell die Corporate- Learning-Szene in Deutschland, drängt sich mancherorts der Verdacht auf, dass zwar die neuesten Zutaten und Rezepte genutzt werden; die Gerichte werden aber oft nicht in Gänze erkennbar. Durch die Großküchen geistern die Wendungen „4.0“, „agil“ und „new“. Doch häufig gewinnt man den Eindruck, dass diese Ansätze wild durcheinandergeworfen werden und primär verdeutlichen, dass auch die Personalentwicklung vor allem eins will: kein aktuell vermeintlich hippes Buzzword verpassen. Um das Ganze in Zukunft schmackhafter und verdaulich zu gestalten, braucht es zuerst eine Definition und Abgrenzung der unterschiedlichen Ansätze. Worüber reden wir also wirklich, wenn die derzeit gehypten Begriffe Verwendung finden?

Lernen aus dreifacher Perspektive

Lernen 4.0 basiert analog zur Industrie 4.0 auf der digitalen und technologischen Vernetzung und dem Grundgedanken der Effizienzsteigerung. Im Fokus steht die zeitnahe Befähigung zur anforderungsgerechten individuellen Performance. Der Lernende wird dabei durch ein smartes Lernumfeld (Sensoren, Bots, Avatare et cetera) unterstützt. Kollaboration zwischen Mensch und Maschine, augmented reality und KI-gestützte Assistenzsysteme sowie Individualisierung (Losgröße 1) prägen das Lernen 4.0.

Agiles Lernen leitet sich vom agilen Arbeiten ab und zielt auf die lebenslange Anpassungs- und Innovationsfähigkeit von Mensch und Organisation. Agile Lernprozesse zeichnen sich durch kurze, klar strukturierte Abläufe bei gleichzeitiger Flexibilisierung und Individualisierung der Inhalte (zum Beispiel WOL oder Barcamp) aus. Zielorientierung, Kollaboration, Selbststeuerung und Dynamik prägen diesen Ansatz. Im weiteren Sinne bedarf agiles Lernen eines passenden Mindsets (Selbstwirksamkeit und Entwicklungsfähigkeit), Skills (zum Beispiel Lernkompetenzen) und einer passenden Fehler- und Lernkultur.

New Learning basiert auf Frithjof Bergmanns New-Work-Konzept und hat die Selbst- und Potenzialentfaltung des Individuums zum Ziel. New Learning bezeichnet Lernen, das vom Lernenden als sinnhaft erlebt wird und Teilhabe an der Gemeinschaft ermöglicht. Die Lernprozesse sind geprägt von Selbstbestimmung, Autonomie und dem Streben nach Wirksamkeit. Dabei gilt, dass die Lerner ein hohes Maß an Selbstverantwortung und die Zugehörigkeit zur (Lern-)Gemeinschaft erleben.

Schon diese kurze Gegenüberstellung der Begriffe verdeutlicht, dass sie auf mehreren Dimensionen sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Bereits ihre Ausgangspunkte sind grundverschieden. So basiert das Lernen 4.0 auf der Vernetzung cyberphysischer Systeme. Im Mittelpunkt steht folglich ein digitales Lernumfeld. Es unterstützt den Lerner bedarfsgerecht, effizient und personalisiert, sodass dieser immer optimale Leistung erbringen kann. Lernen 4.0. hat also die Effizienz des Individuums und der Organisation im Fokus und nutzt dafür die Möglichkeiten der Digitalisierung. Im agilen Lernen hingegen ist der Ausgangspunkt die permanente Veränderung der Umwelt, in der nur eine schnelle Anpassungsfähigkeit auf organisationaler und individueller Ebene den Erfolg sichern kann. In diesem Ansatz geht es darum, den Lernenden mehr Verantwortung zu geben, um ihre Motivation, Reaktionsfähigkeit und Produktivität zu steigern. Agiles Lernen hat also die Anpassungsfähigkeit von Individuen und Organisationen im Fokus und nutzt Kommunikation sowie die individuelle Verantwortungsübernahme als Basis.

Ausgangspunkt des New Learnings ist die individuelle Selbst- und Potenzialentfaltung sowie die erlebte Sinnhaftigkeit des Lernens. Auch geht es um soziale Zugehörigkeit. In den Vordergrund rücken hier die eigenen Bedürfnisse und die Selbstbestimmung des Lerners. Dies erhält besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Entwicklung von neuen Organisationsformen, in denen Selbstführung, die Ganzheit des Menschen und die Teilhabe am Sinn (Purpose) der Organisation in den Vordergrund rücken. New Learning hat also die Potenzialentfaltung des Individuums und die Sinnhaftigkeit von Lernprozessen im Fokus und nutzt die soziale Teilhabe als Treiber.

Unterschiedliche Rollen für die PE

Basierend auf diesen unterschiedlichen Ausgangspunkten ergibt sich auch eine jeweils andere Ausgestaltung der Rolle der Personalentwicklung und des Lernenden. Im Lernen 4.0 wird die Technik zum ersten Personalentwickler. Demgegenüber erfordert agiles Lernen hohe Lernkompetenzen beim Einzelnen, der in diesem Ansatz zu seinem obersten Personalentwickler wird. Im New- Learning-Ansatz wird der Lernende wiederum zum Gestalter seiner lebensphasenorientierten Potenzialentfaltung, unterstützt durch unterschiedliche Lernbegleiter.

Alle drei Ursprünge haben ihre Berechtigung und ihre Vor- und Nachteile, aber sie unterscheiden sich deutlich in den Philosophien und Herangehensweisen. Personalentwickler im Rahmen von Lernen 4.0. sollten selbst hohe Digitalkompetenz besitzen, eine sinnvolle Lerninfrastruktur bauen und praxisnahe, individualisierte E-Learning-Angebote schaffen. Die Personalentwicklung im Rahmen von agilem Lernen sollte Rahmenbedingungen wie Lernkultur und den Ausbau der Lernkompetenzen fokussieren, die eigene Rolle mehr als Berater von Individuen, Teams und der Organisation verstehen und schnelle, arbeitsbezogene Lernformate implementieren. Und Personalentwicklung im Rahmen von New Learning ist aufgefordert, Mitarbeiter zu unterstützen, ihren Horizont zu erweitern, individuelle Bedürfnisse zu erkennen, Potenziale zu fördern und Mitarbeiter in lebensphasen- und organisationsübergreifende persönliche Entwicklungsprozesse einzubeziehen.

Sterneniveau braucht Richtung und Differenzierung

Keine Frage: Mit den genannten Rezepten und Zutaten lässt sich zeitgemäße Weiterbildung auf Sterneniveau gestalten – wenn man vermeidet, alles in einen Topf zu werfen. Für die Gestaltung Ihres Learning-Gerichts bedeutet das: Klären Sie zuerst Ihren Ausgangspunkt und Ihre Hauptzutat – und machen Sie Schluss mit dem Einheitsbrei!

Autorinnen

Nele Graf

Professor Dr. Nele Graf, Leiterin,
Competence Centre for Innovations & Quality in Leadership &
Learning (CILL), Hochschule für angewandtes Management, und
Geschäftsführerin, Mentus GmbH, Berlin, ng@mentus.de

Anja Schmitz

Professor Dr. Anja P. Schmitz, Professorin für Human Resource Management, Hochschule Pforzheim, Institut für Personalforschung, anja.schmitz@hs-pforzheim.de

›› Die in diesem Text genutzten Definitionen wurden von den Autorinnen erstmals im November 2019 in einem Blogbeitrag vorgestellt. Diesen finden Sie unter: bit.ly/GrafSchmitz