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Psychische Gesundheit von Azubis: Das kann HR tun

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Früher war die erste Frage an Auszubildende oft: „Hast du dein Berichtsheft geschrieben?“ Heute sollte sie vielleicht besser lauten: „Wie geht’s dir – wirklich?“ Denn die psychische Gesundheit junger Menschen ist längst kein Randthema mehr. Sie ist mitten im Ausbildungsalltag angekommen – und stellt Betriebe, Ausbilderinnen und Ausbilder sowie Personalverantwortliche vor neue, ungewohnte Aufgaben.

Die Zahlen sprechen für sich: Laut aktuellen Studien der Krankenkassen und verschiedener Jugendberichte (beispielsweise der Mental-Health-Jugendbericht) fühlen sich viele junge Menschen dauerhaft gestresst, überfordert oder innerlich erschöpft. Depressionen, Angststörungen, Panikattacken oder psychosomatische Beschwerden – all das ist heute unter Jugendlichen keine Ausnahme mehr. Die Gründe sind vielfältig: Zukunftsängste, Leistungsdruck, familiäre Probleme oder soziale Unsicherheit, oft verstärkt durch die sozialen Medien oder eine anhaltende Dauerkrisenstimmung. Klar ist: Wer heute ausbildet, wird mit psychischen Belastungen konfrontiert – nicht bei allen Azubis, aber eben auch nicht mehr nur vereinzelt.

Welche Reaktion passt?

Ausbilderinnen und Ausbilder sind keine Psychotherapeuten. Müssen sie auch nicht sein. Aber sie sind oft die ersten, die merken, wenn etwas nicht stimmt. Vielleicht wirkt der sonst so offene Azubi plötzlich still und zurückgezogen. Die Leistung schwankt, es gibt Konzentrationsprobleme oder das Verhalten im Team verändert sich. Dann ist es wichtig, genau hinzuschauen – und empathisch das Gespräch zu suchen. Ein einfacher Einstieg kann lauten: „Mir ist aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit verändert hast – magst du erzählen, was los ist?“

Der Schlüssel ist psychologische Sicherheit – also das Gefühl, sich im betrieblichen Umfeld so zeigen zu dürfen, wie man ist, ohne Angst vor Ablehnung oder Konsequenzen. Wenn junge Menschen wissen, dass sie auch mal schlecht drauf sein dürfen, Fragen stellen können, Unsicherheiten äußern und auch Fehler machen dürfen, ohne schief angeschaut zu werden – dann entsteht Vertrauen. Und das ist eine unschätzbare Ressource, gerade in schwierigen Phasen.

Grenzen erkennen – und verantwortungsvoll handeln

Natürlich gibt es Warnzeichen, bei denen klar ist: Hier braucht es professionelle Hilfe. Anhaltende Niedergeschlagenheit, Rückzug, starke Schlafprobleme, selbstverletzendes Verhalten oder Suizidäußerungen – das sind keine Dinge, die man „mit einem guten Gespräch“ lösen kann. Dann gilt es, die Grenzen der eigenen Rolle zu akzeptieren und frühzeitig weiterzuverweisen – an den Betriebsarzt, die betriebliche Sozialberatung oder externe Beratungsstellen wie Jugendpsychologische Dienste, Krisentelefone oder Online-Hilfsangebote.

Wichtig: Diese Strukturen sollten bekannt sein – nicht nur den Ausbilderinnen und Ausbildern, sondern auch den Auszubildenden selbst. Transparenz und klare Kommunikationswege helfen im Ernstfall doppelt.

Prävention statt später Reaktion

Noch besser ist es, wenn es gar nicht erst so weit kommt. Ausbildungsbetriebe können viel tun, um psychische Gesundheit zu stärken – und zwar von Anfang an. Das beginnt bei einer respektvollen, wertschätzenden Willkommenskultur und reicht über regelmäßige Reflexionsgespräche bis hin zu gezielten Angeboten zur Gesundheitsförderung, etwa Anti-Stress-Workshops, Resilienztrainings oder Bewegungspausen. Der Verein „Kopfsachen e.V.“ (Kopfsachen e.V. – Mentale Gesundheit macht Schule) zum Beispiel vermittelt in verschiedenen Bildungsformaten die Grundlagen der psychischen Gesundheitskompetenz – auch für Azubis beziehungsweise Ausbilderinnen und Ausbilder.

Immer mehr Unternehmen setzen auch auf digitale Tools: Apps, über die junge Menschen anonym Stress-Symptome tracken oder sich Hilfe holen können, sind niedrigschwellig und oft sehr wirksam. Auch Peer-Angebote sind wertvoll, das können etwa Azubi-Tandems sein, bei denen ältere Jahrgänge neue Azubis begleiten. Solche Modelle fördern Gemeinschaft, entlasten – und wirken oft besser als jedes offizielle Gespräch.

Selbstwirksamkeit fördern

Junge Menschen brauchen in ihrer Ausbildung nicht nur Fachwissen, sondern auch das Gefühl, etwas bewirken zu können. Selbstwirksamkeit heißt das Zauberwort – das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, mit Herausforderungen umgehen zu können. Wer das erlebt, wird widerstandsfähiger, eigenständiger und kann Rückschläge besser verarbeiten. Ausbildungsbetriebe können Selbstwirksamkeit fördern, indem sie Mitgestaltung ermöglichen, Feedback geben, Entwicklung sichtbar machen – und auch mal Fehler zulassen.

Und was ist mit den Ausbildenden selbst? Auch sie stehen unter Druck. Deshalb sollten sie sich selbst nicht vergessen. Wer mit belasteten Auszubildenden arbeitet, braucht Rückhalt, Austausch und Wissen. Es gibt mittlerweile hervorragende Schulungen – etwa zur Psychischen Ersten Hilfe (MHFA), zur Gesprächsführung in emotional belasteten Situationen oder zur Rolle von Ausbildenden in psychisch sensiblen Phasen. Und auch der Austausch mit anderen hilft – in Netzwerken, in der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) oder bei regionalen Initiativen.

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Fazit: Psychische Gesundheit gehört zur Ausbildung dazu

Wer gute Fachkräfte will, muss sie auch als Menschen sehen. Die Zeiten, in denen „Augen zu und durch“ als Ausbildungsphilosophie durchging, sind vorbei. Heute geht es um psychologische Sicherheit, Vertrauen und echte Begleitung. Es braucht nicht immer große Programme – oft reicht ein aufrichtiges Gespräch, ein wacher Blick, ein offenes Ohr. Also: einfach mal fragen – „Wie geht’s dir?“ Und die Antwort wirklich hören wollen.

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