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Rose-Bikes-CEO Marcus Diekmann: Aus „Will“ folgt „Skill“

Marcus Diekmann, CEO Rose Bikes
Der Handels- und Digitalisierungsexperte Marcus Diekmann kam im Februar 2019 zu Rose Bikes nach Bocholt. (Foto: Simon Thon)

Der Name von Marcus Diekmann hat Klang in der Handelsbranche. Als Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsführung bei Rose (Eigenschreibweise ROSE) Bikes berät der kaufmännische Analyst und Digitalstratege seit Jahren auch andere Firmen. In der Corona-Krise gründete der 41-Jährige zusammen mit mittelständischen Unternehmen die Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“.

Diekmann hat seine beruflichen Wurzeln in der digitalen Dienstleistung. Das 30-köpfige Team des einst von ihm mitgegründeten Beratungsunternehmen Kommerz arbeitet heute für Rose Bikes. Der Zukauf trug seinen Teil zum Wachstum des Fahrradherstellers bei, der seit 2019 rund 200 neue Mitarbeiter eingestellt und den Umsatz von 85 auf 134 Millionen Euro gesteigert hat. „So, wie ich es 2019 in meiner Strategievorstellung prognostiziert und öffentlich gemacht habe“, sagt Diekmann. Hätte das in Bocholt beheimatete Unternehmen die in der Corona-Krise gestiegene Nachfrage voll befriedigen können, hätte der Umsatz 2020 seiner Aussage nach sogar über 160 Millionen Euro betragen.

Personalwirtschaft: Herr Diekmann, Ihren Aussagen in Interviews nach haben Sie sich als Digitalisierungsspezialist im Handel immer auch für HR interessiert. Welche Rolle spielt das Personalmanagement bei Rose Bikes?
Marchus Diekmann: Meiner Wahrnehmung nach ist HR vielerorts nur eine Verwaltungsstelle. Bei uns ist das anders. HR ist erstens aktiver und elementarer Teil des Team One, der Geschäftsleitung unseres Unternehmens, und in alle operativen Entscheidungen eingebunden. Zweitens entwickelt und gestaltet es unseren 2019 begonnenen Kulturwandel von einer klassischen zu einer Performance-Organisation mit. Drittens ist da der neue Ansatz des Active Recruiting. Früher haben wir nur auf Bewerbungen gewartet.

Und heute?
Heute geben die Teams die Briefings an HR, das dann aktiv und gezielt nach Kandidaten sucht – der Arbeitsmarkt in unserer Branche ist ganz hart umkämpft. Dadurch, dass ich persönlich und wir als Unternehmen so medienpräsent und so transparent sind – Sie können im Netz unsere komplette Firmenstrategie nachlesen –, bekommen wir aber auch das Vierfache an Bewerbungen von 2019.

Es geht bei „Active Recruiting“ also auch um Employer Branding.
Auch, ja. Es soll nicht überheblich klingen, aber ich glaube, dass gerade junge Menschen bei Unternehmen arbeiten wollen, mit denen jeder und jede selbst zum Gewinner werden kann.

Wie meinen Sie das?
Wenn ich „Gewinner“-Unternehmen sage, meine ich Unternehmen, die in ihrer Branche vorne dran sind, speziell bei den Themen Digitalisierung, Kultur und Nachhaltigkeit. Die die Leute gern in ihrem CV stehen haben wollen. Das ist für viele Mittelständler ein Problem. Ich kenne Unternehmen im Raum Hamburg, die operativ tolle Arbeit machen und sehr gute Ergebnisse erzielen, aber trotzdem kein Personal finden. Meiner Meinung nach helfen da nur Digitalisierung und offene Kommunikation weiter, auch über die eigenen Erfolge. Die Mitarbeiter müssen sagen wollen: „Hey, da arbeite ich, das ist mein Unternehmen.“ Ansonsten hat man auf Dauer immer weniger Chancen.

Zumindest im Handel. Im produzierenden Gewerbe geht es angesichts von Digitalisierung, Fachkräftemangel und Corona-bedingtem Sparzwang zurzeit auch viel um Re- und Upskilling statt Neueinstellungen. Ist das bei Rose Bikes kein Thema?
Selbstverständlich wollen wir unsere Mitarbeiter ständig weiterentwickeln. Aber der Bedarf an Spezialistinnen und Spezialisten – für Kommunikation, für die IT, für den Einkauf et cetera – steigt immer weiter, gerade bei wachsenden Unternehmen, die einen starken Change vorantreiben. Früher hatten Sie im Handel einen Vertriebskanal. Heute haben Sie neben offline auch online, Social Media und so weiter. Und durch die Dynamisierung der Märkte wird es für Unternehmen immer komplexer, den gleichen Umsatz zu machen – den gleichen, nicht mal mehr. Ich sag’s mal so: Personalentwicklung ist Grundaufgabe jedes Unternehmens, da gibt es keine Diskussion. Aber parallel muss man das Recruiting von Spezialisten vorantreiben. Wer eines von beidem vernachlässigt, wird langfristig nicht überleben. In der internen Argumentation geht es da um Anerkennung der bisherigen Erfolge und den gleichzeitigen Hinweis auf die Notwendigkeit, sich für die Zukunft weiterzuentwickeln.

Wie analysieren Sie den Lernbedarf in der Belegschaft?
Ich habe mit dem Team eine Bewertungsmatrix entwickelt, die wir Will und Skill nennen. Bei Skill geht es überhaupt nicht darum, ob jemand klug oder weniger klug ist und die formale Bildung hat oder nicht, sondern ob er Erfahrung auf dem Aufgabengebiet hat, um das es geht. Wenn jemand noch nie ein Haus gebaut hat, wird er dabei Fehler machen, egal wie fähig er ist. Deshalb nehmen wir uns jedes Thema, das für die nächsten sechs Monate auf der Agenda steht, vor und machen einen Check: Haben wir jemanden, der die Erfahrung für den Next Step mitbringt? Wenn nicht, müssen wir einen Spezialisten ins Boot holen.

Und wenn Sie die Spezialisten nicht kriegen, weil der Markt keine hergibt?
Dann müssen wir uns fragen, mit wem wir einer guten internen Lösung möglichst nah kommen. Wenn wir jemanden sehen, bei dem der Will sehr hoch ist, der Skill aber niedrig, kommt es wiederum auf die Erfahrung des Vorgesetzten an: Vielleicht kann der ihn trainieren und dafür einen Teil seiner Managementzeit aufwenden. Oder er findet zusätzlich einen Dienstleister, der das macht. Diese Entscheidung muss der Vorgesetzte aber treffen. Was nicht geht: Der Mitarbeiter soll die Aufgabe übernehmen, obwohl er nicht das nötige Knowhow hat.

Wenn das Thema aber jetzt ansteht, brauchen Sie auch jetzt einen Spezialisten. Muss man deshalb nicht vorausschauend weiterbilden oder upskillen?
Absolut. Aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir gar nicht, was unser Bedarf in der Zukunft sein wird und wie wir uns daran anpassen können – Drei-Jahres-Pläne zumindest sind komplett überholt. Um schneller zu lernen, setzen wir unter anderem konsequent auf Wissensaustausch mit anderen Unternehmen. Soll ich mal ein Beispiel nennen?

Bitte.
Wir sind ganz gut mit Facebook befreundet. Nicht weil wir nicht selbst gute Social-Media-Leute hätten, sie sind extrem gut. Aber Facebook weiß am besten, wie Facebook funktioniert. Also tauschen sich unsere Mitarbeiter einmal im Monat mit Facebook-Kollegen aus. Denn wenn wir auf Facebook erfolgreich sind, haben wir beide etwas davon. Zum Beispiel lernt Facebook von uns, was Händler grundsätzlich brauchen.

Sie haben 2020 die Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“ mitgegründet, die sie ebenfalls unter anderem als Lernplattform begreifen. Ist das ungezielte, informelle Lernen zwischen Praktikern Ihr Weg der Weiterbildung?
Ich glaube ans Teilen von Wissen und an gemeinsames Lernen, nicht an das offizielle Bildungssystem. Nehmen Sie mich als Beispiel. Am Ende meiner Laufbahn an einem Wirtschaftsgymnasium hat mir mein Klassenlehrer gesagt: „Marcus, Du bist wirklich kein BWL-Talent. Am besten, Du lernst Reiseverkehrskaufmann.“ Das war niederschmetternd, weil ich intrinsisch hochmotiviert war – so motiviert, dass ich zum 50. Gründungstag der Schule eine Rede als einer der Vorzeigeabsolventen halten durfte. Will sagen: Ich glaube, Du musst bereit sein, Deine Themen zu lernen. Du musst kein Supertalent sein, aber Du musst wissen, wo Du Deine Informationen herbekommst, ob von anderen Leuten oder aus Podcasts und vor allem muss jeder an seine Stärken glauben. Mich selbst hat da immer ein Zitat geprägt: „Get big, get specialized or get out.“

Aber Rose-Beschäftigte machen schon auch klassische Weiterbildung, oder?
Wir lernen in erster Linie in und von der Gruppe, im Austausch mit Kollegen, anderen Unternehmen und so weiter – das, was bei anderen Firmen Berater sind, ist bei uns das Netzwerk. Mich interessieren bei Neueinstellungen auch keine Schulnoten oder Zeugnisse. Ich schaue mir im Gespräch den Menschen an, um einschätzen zu können, ob mein Gegenüber das Zeug hat, immer weiter zu lernen, im Team zu arbeiten und zu gewinnen. Fachlich kann jeder alles lernen, das ist nicht entscheidend. Stefan Hamann ist Gründer von Shopware, eines der erfolgreichsten Shopsysteme Deutschlands. Er hat mit 18 die Schule abgebrochen, weiß aber mehr und kann bestimmt auch besser Rechtschreibung als die meisten Menschen in Deutschland.

Solche Beispiele gibt es. Es gibt aber auch den akuten Bedarf an Kenntnissen für den next step, wie Sie sagen. Wie vermitteln Sie die dafür nötigen Skills?
Um es konkret zu machen: Wenn ich etwa für SEO oder für ein bestimmtes Einkaufsthema zuständig bin, finde ich es viel wichtiger, andere Unternehmen anzurufen, die bei diesen Themen einen Schritt weiter sind, als einen IHK-Fachwirt zu haben. Mich interessiert nicht, ob jemand auswendig lernen kann. Mich interessiert nur, ob er das grundsätzliche Skillset hat, um sich weiterzuentwickeln, und den Will und den Mut, andere zu fragen. Jeder ist doch in irgendetwas besser als andere. „Erklär Du mir, wie Du dies machst, und ich Dir, wie ich das mache“: Auf die Art entwickeln wir uns alle weiter. Viele Firmen machen aus Spezialisten Abteilungsleiter. Das halte ich für quatsch. Dann hast Du keinen Spezialisten mehr und dafür einen schlechten Manager.

Wie lassen sich der Will und der Mut sicherstellen?
Da kommt es auf das Recruiting an. Die Otto-Tochter About You hatte mal auf Ihrer Website sinngemäß so etwas stehen wie: Du musst bereit sein, Dich iterativ zu entwickeln. Denn es kann sein, dass wir gemeinsam herausfinden, dass die Stelle, für die wir Dich eingestellt haben, gar nicht die ist, die am Besten zu Dir passt. Wenn Du jemand bist, der dann trotzdem daran festhalten will, dann fang lieber woanders an. Das hat sich mir eingeprägt. Damit es funktioniert, braucht man aber eine Performance-Kultur.

Wie meinen Sie das?
Um gemeinsam feststellen zu können, was jemand wirklich gut kann, brauchen Sie eine Bewertungsbasis, eine Kultur, die KPI- und Action-Point-getrieben ist. Wir denken seit 2019 nur noch in Sprints und in Monatszielen, bei denen man entweder KPIs oder Action Points erfüllen muss. Dadurch hat man wöchentliche Reviews und ist ständig im Austausch, sodass jeder Mitarbeiter relativ schnell selbst versteht, ob er das, was er macht, kann oder nicht.

Und wenn er es nicht kann?
Dafür gibt es in meiner Welt nur zwei Gründe: Entweder die Leute haben keine Ressourcen oder nicht die nötige Erfahrung. Keine Ressourcen bedeutet: Es ist meine Aufgabe als Vorgesetzter, zu helfen und Entlastung zu schaffen. Fehlt die Erfahrung, dann kann ich als Teamleiter diese Erfahrung möglicherweise vermitteln, wie gesagt. Oder die Aufgabe passt vielleicht vom Typ her gar nicht zu der Person. Dann kommt man gemeinsam zu der Erkenntnis: Das ist nicht Deine Leidenschaft, nicht Deine Stärke, Du brauchst eine andere Aufgabe.

Wenn man Ihnen folgt, könnte das vielzitierte lebenslange Lernen einen Schub erleben. Was bedeutet das in Kombination mit der immer schnelleren Digitalisierung? Wie sieht die Personalentwicklung der Zukunft aus?
Lebenslanges Lernen ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Wenn zum Beispiel ein Mann oder eine Frau heute in Elternzeit gehen, kann er oder sie sich nicht einfach verabschieden und später wieder einsteigen, sondern muss sich während der Elternzeit voll weiterbilden. um angesichts des technologischen Wandels und der Marktdynamik nicht den Anschluss zu verlieren. Das ist in unserem System aber nicht vorgesehen. Da soll Papa oder Mama sich in dieser Zeit ganz um die Familie kümmern und es wäre Firmenverantwortung, ihn oder sie später auf Stand zu bringen.

Aber hat der Arbeitgeber, wenn nicht Verantwortung, dann doch ein Interesse, an Abläufe und Kultur gewöhnte Mitarbeitende zu halten?
Das stimmt, und deshalb müssen Unternehmen auch weiterhin für Fortbildung sorgen – wobei es da nicht um den IHK-Abschluss oder eine Scrum-Schulung geht, sondern um Wertschätzung, um Unterstützung bei der Eigeninitiative und so weiter. Aber der oder die Betroffene muss eben auch selbst lernen wollen und bereit sein, sich abends Youtube-Videos anzuschauen oder beim Joggen Podcasts zu hören.


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Ist freier Mitarbeiter der Personalwirtschaft.