Ein guter Start ist die halbe Miete. Das wissen auch Employer-Branding-Experten: Die ersten Eindrücke und Erlebnisse eines neuen Mitarbeiters können die ganze Laufbahn und das Verbundenheitsgefühl mit dem Unternehmen prägen. Bei der Deutschen Bahn AG verlief das Preboarding, also die Zeit zwischen Vertragsunterzeichnung und erstem Arbeitstag, nicht immer störungsfrei. Oft waren es Kleinigkeiten, die den Ein- stieg neuer Mitarbeiter ins Unternehmen holprig machten. Mal fehlte der Spindschlüssel, den der Kollege brauchte, ein anderes Mal war es der Mitarbeiteraus- weis mit der passenden Zutrittsberechtigung.
Allein im HR-Bereich greifen bei der Deutschen Bahn tagtäglich rund 200 Prozesse ineinander. Selbst für professionelle Weichensteller ist das eine Herausforderung, die Stolperfallen bereithält. Die Prozesse werden des- halb fortwährend überprüft – wobei man feststellte, dass im Preboarding noch Optimierungspotenziale schlummerten. Und bei rund 10 000 Neueinstellungen pro Jahr sind es auch kleine Störungen wert, unter die Lupe genommen zu werden, denn diese können sich summieren.
Methode und Ziel des Optimierungsprozesses
Da agile Praktiken und Methoden bei der DB bereits in unterschiedlichen Bereichen angewandt werden, war es ein logischer Schritt, es dieses Mal ebenfalls agil zu versuchen. So wurde für die Optimierung des Preboarding-Prozesses eine innovative Lösung gesucht: Gamification. Dadurch, dass bereits Kontakt zu Haufe bestand, lag die Haufe Metro Map nahe. Die Metro Map ist eine Methode, um Prozesse mithilfe eines Liniennetzes darzustellen. Der Partner für das Projekt stand damit fest, denn was passt besser zur Deutschen Bahn als Liniensysteme und Fahrpläne? Insgesamt klang die Arbeitsweise genau nach dem, was gesucht war: eine unkonventionelle, schnelle und agile Herangehensweise zur Lösung des Problems. Dass dieser Weg unter anderem mit Legosteinen gepflastert war, damit hätte zu Beginn des Projekts niemand gerechnet.
Ziel der Prozessoptimierung war es, die Zeit zwischen Vertragsunterzeichnung und dem ersten Arbeitstag so zu gestalten, dass der neue Mitarbeiter am ersten Tag sofort reibungsfrei durchstarten kann: etwa mit passendem Spindschlüssel, Mitarbeiterausweis, den passen- den Berechtigungen und dem damit einhergehenden Gefühl der Wertschätzung.
Die Zusammenstellung des Teams
Für die HR-Verantwortlichen stehen die Führungskräfte und Mitarbeiter der Deutschen Bahn an erster Stelle, sie sind ihre Kunden. Der Ansatz lautet: Prozesse gemeinsam mit ihnen zu entwickeln, zu gestalten und zu realisieren. Die HR-Abteilung als Dienstleister wollte die Teilnehmer daher nicht top-down zu dem Projekt zwingen. So wurde im ersten Schritt nach Führungskräften und Mitarbeitern gesucht, die Lust hatten, Dinge mutig und unkonventioneller als üblich anzugehen. Gleichzeitig war es HR und den Beratern wichtig, hierarchieübergreifend zu arbeiten: Sowohl Führungskräfte als auch mittleres Management und HR-Spezialisten sowie Sachbearbeiter wurden einbezogen. Schlussendlich bestand die heterogene Gruppe aus 15 Mitarbeitern, die sich am Projekt beteiligen wollten. Von Anfang an war klar, dass das Projekt nur funktionieren kann, wenn die Teilnehmer auf allen Ebenen – insbesondere was Struktur und Methodik betrifft – so unvoreingenommen wie möglich sind. Das bedeutete: Hierarchische Strukturen mussten außen vor bleiben. Zusätzlich gab es einen gewissen Überraschungseffekt: Wie genau das Projekt durchgeführt werden würde – darüber wurden die Teilnehmer zunächst im Dunkeln gelassen.
Schritt eins: Evaluation der Schmerzpunkte
Drei Schritte hatten die Haufe-Experten für die Erarbeitung des Prozesses angesetzt. Zunächst ging es darum, herauszufinden, wo die Schmerzpunkte beim Preboarding liegen. Dafür hatten die Trainer eine Eigenland Session vorbereitet. Der Prozess wurde in mehrere Themengebiete unterteilt und im Idealzustand dargestellt. Nun konnte jeder Teilnehmer aus seiner Sicht schildern, wo es eben nicht ganz rund läuft wie es theoretisch sein sollte und wie weit die Realität in welchem Bereich vom Idealzustand entfernt ist.
Konkret kann man sich das so vorstellen: Die Teilnehmer und der „Facilitator“ von Haufe waren um eine Art Spielbrett, eine Insellandschaft mit einem Vulkan in der Mitte, versammelt. Durch verschiedenfarbige Nuggets mit unterschiedlicher Gewichtung – von schwarz für absolute Ablehnung bis gold für vollste Zustimmung – konnten die aufgestellten Thesen und Situationen schnell und intuitiv bewertet werden. Die Schnelligkeit sorgte dabei für die notwendige Validität – niemand konnte sich an der Bewertung der anderen Teilnehmer orientieren –, das Spielerische für den Spaß und das hohe Involvement aller Teilnehmer.
Durch diese Herangehensweise wurden Barrieren – wenn sie denn noch bestanden – sehr schnell abgebaut und bereits nach dem ersten Tag sahen die Teilnehmer den Prozess mit ganz anderen Augen. Die verschiedenen Perspektiven aus den unterschiedlichen Positionen im Unternehmen trugen sehr zum Erfolg bei und ermöglichten einen umfassenden Blick auf den Preboarding-Prozess. So war nach diesem ersten Tag ganz klar, wo die Problempunkte wirklich lagen.
Schritt zwei: Prozessoptimierung mit Legosteinen
Am zweiten Tag kam das, was die Leitung des Projekts mit der größten Spannung und mit anfänglicher Skepsis erwartet hatte: das Erstellen eines Zielbildes mit Lego Serious Play. Bereits in den ersten Gesprächen mit den Experten der Haufe Gruppe war die Gefahr angesprochen worden, dass der ein oder andere Teilnehmer sich weigern könnte, Bauklötze in die Hand zu nehmen und mit diesen seine Sichtweise nachzubilden. Die Experten sahen keinen Grund zur Sorge. Und sie behielten Recht.
Zum Erstaunen aller Beteiligten gab es keine Verweigerung. Alle waren dabei und versuchten mit großem Eifer das, was am Tag zuvor erarbeitet worden war – also den Idealzustand des Preboarding-Prozesses –, per Lego haptisch nachzubilden. Das Team aus Experten, HR-Verantwortlichen, neuen Mitarbeitern und Führungskräften baute also im wahrsten Sinne des Wortes Visionen. So entstand der Prozess als großes, visuelles Ganzes: ein Bild aus vielen Perspektiven. Und das Schöne an Lego Serious Play: Die Ideen der einzelnen Teilnehmer wurden (be)greifbar und konnten kinderleicht zusammengesteckt und kombiniert werden. Das sorgte für Dynamik.
Dabei bewahrheitete sich noch eine Voraussage der Experten: Die Erfahrung zeige, je höher die Führungs- kraft in der Organisation angesiedelt sei, desto gröber werde das Modell. Genauso war es. Die verschiedenen Sichtweisen spiegelten sich in den Modellen ganz klar wider: Während das Management aus der Vogelperspektive die großen Zusammenhänge im Auge behielt, wurden die Modelle über das mittlere Management bis hin zu den HR-Mitarbeitern immer kleinteiliger. Dabei hatte sich jeder noch einmal eingehend mit den Abläufen beschäftigt und den gesamten Prozess erneut auf Herz und Nieren geprüft. Am Ende dieser Session stand ein Gesamtergebnis: Gemeinsam hatte das Team das ideale Preboarding für die Deutsche Bahn entwickelt und konnte es betrachten.
Schritt drei: Erstellung der Metro Map
Schritt drei war dann gewissermaßen die Königsdisziplin: die Erstellung eines Fahrplans mit der Haufe Metro Map, also der ursprüngliche Impuls, diesen Weg der Prozessoptimierung zu gehen. Jeder kennt diese Netzpläne, die die verschiedenen Linien aufzeigen. In diesem Stil wurden der Preboarding-Prozess und die Reise der künftigen Mitarbeiter dargestellt. Wo beginnt welcher Prozessschritt? Was muss wann passieren? Wer muss eingebunden werden? An welchen Haltestellen kreuzen sich einzelne Prozesslinien zu Kontaktpunkten oder laufen möglicherweise aneinander vorbei?
All diese Einzelheiten wurden durch die Art der Darstellung in einem Netzplan noch einmal klarer und nachvollziehbarer für alle Beteiligten. Das Highlight war, dass diese erstellte Metro Map am Ende des zweiten Tages geplottet und aufgehängt wurde. Das Team hatte das Ergebnis schwarz auf weiß. Jeder Prozessteil war transparent dargestellt. Deshalb war es möglich, sofort gemeinsam die nächsten Schritte einzuleiten. Die Metro Map wurde in einzelne Teile zerlegt, und die Teilnehmer widmeten sich jedem Teil des Netzplans noch einmal unter der konkreten Fragestellung der Umsetzung: Wie können wir das gestalten? Wo benötigt man eine Schulung, wo sollte vielleicht ein Video produziert werden?
Auch wenn Gamification und Design Thinking mancherorts noch immer Skepsis hervorrufen, spricht das Ergebnis für sich. Die haptische und intuitive Herangehensweise half tatsächlich, innovativ, hierarchie- und blockadenfrei zu denken – und das schlug sich im Gesamtergebnis nieder. Zudem hat sich eine ganz neue Art der Teamdynamik entwickelt, wovon alle Teilnehmer ebenfalls nachhaltig profitieren.
Das Ergebnis: Der Weg war das eigentliche Ziel
Am Ende des Workshops hatten alle Teilnehmer rund 30 bis 40 Handlungspunkte gesammelt, die sie nun nacheinander entwickeln, pilotieren und umsetzen. Rückblickend lässt sich sagen, dass das Ergebnis zwar sehr wichtig ist, der Weg dorthin aber fast noch wichtiger war. Nicht nur hat das Team den Prozess sinnvoll, schnell und so lückenlos wie irgendwie möglich optimiert. Die Arbeit mit der Metro Map hat auch erreicht, dass jeder Beteiligte verstanden hat, wie wichtig sein jeweiliger Beitrag für den Gesamterfolg ist.
Für den Bereich HR war es nochmal eine wertvolle Erfahrung, die daran erinnert hat, die Mitarbeiter stets als Kunden zu betrachten und sie – ähnlich wie im Marketing – auf ihrer „Customer Journey“ zu begleiten. Das konnte das Team mit viel Spaß erproben und bei gleichzeitigem Erarbeiten einer Prozessoptimierung eindrucksvoll erleben. Dadurch verankert sich dieser team- und servicegeleitete Blick. Und das ist eigentlich der größte Erfolg.
Deutsche Bahn AG: Workshop |
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Die Deutsche Bahn ist ein internationaler Anbieter von Mobilitäts- und Logistikdienstleis- tungen und agiert weltweit in über 130 Ländern. Über 300 000 Mitarbeiter, davon rund 200 000 in Deutschland, arbeiten bei der DB. Kern des Unternehmens ist das Eisenbahngeschäft in Deutschland mit über 5,5 Millionen Kunden täglich im Schienenpersonenverkehr und rund 558 Tausend Tonnen beförderter Güter pro Tag. Insgesamt fahren auf dem über 33 400 Kilometer langen Streckennetz täglich rund 40 000 Züge. Im Geschäftsjahr 2016 betrug der um Sondereffekte bereinigte Umsatz des DB-Konzerns über 40,6 Milliarden Euro. |
Autor: Ralf Berns, Leiter Prozessmanagement und Fachredaktion Personal (HZP), Deutsche Bahn AG, Berlin, ralf.berns@deutschebahn.com
Erschienen in Ausgabe 09/2017