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Geflüchtete: Hürden auf dem Arbeitsmarkt weiter hoch

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Die Initiative „Job-Turbo“ vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit startete im Oktober 2023. Sie soll die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten erleichtern. Kooperationspartner ist die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V. (DGFP). Diese veröffentlichte nun die Ergebnisse einer Umfrage, die Erfahrungen von Unternehmen mit Geflüchteten, unter anderem aus der Ukraine, abbildet. Zu diesem Zweck befragte die DGFP HR-Verantwortliche in 279 Unternehmen im Zeitraum von Dezember 2023 bis Februar 2024.

Generell stieg die Anzahl der deutschen Unternehmen, die geflüchtete Mitarbeitende einstellen: Unter den Befragten gaben 57 Prozent an, Erfahrungen mit Geflüchteten gesammelt zu haben, 15 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Die meisten Berührungspunkte gab es mit Geflüchteten mit wenig ausgeprägten Deutschkenntnissen aus Syrien und der Ukraine (67 beziehungsweise 63 Prozent). Und diese Begegnungen wiederum verliefen größtenteils positiv: Über die Hälfte der befragten Unternehmen gaben dies an, während 41 Prozent sowohl von positiven als auch von negativen Erfahrungen und lediglich 6 Prozent ausschließlich von negativen Erfahrungen berichteten.

Lösung für Fachkräftemangel?

Rund 62 Prozent der Unternehmen sahen in der Beschäftigung von Geflüchteten, eine Möglichkeit, den Fachkräftemangel mittelfristig zu mildern. Die Unternehmen, welche diese Frage verneinten, gaben mehrheitlich mangelnde Sprachkenntnisse (88 Prozent) und fehlende fachliche Fähigkeiten (68 Prozent) als Hinderungsgrund an. Auch bei der Frage, welche spezifischen Voraussetzungen erfüllt werden müssten, um (weitere) Geflüchtete einzustellen, lag der Abbau von Sprachbarrieren mit rund 80 Prozent weit vorne.

Zudem mangelt es an Unterstützung von außen: Nur 26 Prozent der befragten Unternehmen bejahten die Frage, ob sie von der Agentur für Arbeit zur Einstellung von geflüchteten Menschen angesprochen und informiert wurden. Die Zusammenarbeit mit Behörden wie dem Jobcenter oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden sehr durchwachsen bewertet – wenn es eine solche überhaupt gab. Denn der größte Teil der Unternehmen gab an, dass sie mit diesen öffentlichen Einrichtungen noch gar nicht zusammengearbeitet hatte. Die durchschnittlich schlechtesten Erfahrungen sammelten Unternehmen mit der Ausländerbehörde, nur rund ein Prozent vergab hier ein „sehr gut“ und nur rund 12 Prozent ein „gut“. Und so ist es nicht überraschend, dass bei der Frage nach Herausforderungen bezüglich der Integration von Flüchtlingen hinter Sprachproblemen (90 Prozent) die Schwierigkeiten mit Behörden (63 Prozent) auf Platz zwei landeten.

Barrieren abbauen

Wie kann diesen Problemen entgegengewirkt werden? Damit beschäftigen sich Organisationen wie das „NETZWERK Unternehmen integrierte Flüchtlinge“ (NUiF) von der Deutschen Industrie und Handelskammer – die erst kürzlich ihr Logo als Zeichen gegen Ausgrenzung änderte (siehe Kasten). Das NUiF wurde 2016 gegründet und unterstützt seitdem seine inzwischen über 3800 Mitglieder bei der Integration von Geflüchteten. Drei Viertel der Unternehmen sind kleine und mittelständische Unternehmen.

Der Hilfsbedarf richtet sich auch nach der Herkunft der Geflüchteten, berichtet Katharina Reiche, Pressereferentin des Netzwerks: „Bei der Integration von Menschen aus Ländern, wie beispielsweise Syrien und Afghanistan, die ein Asylverfahren durchlaufen müssen, stehen vor allem rechtliche Fragestellungen rund um den Aufenthaltsstatus die größten Hürden dar.“ Bei Geflüchteten aus der Ukraine wäre dies eher zweitrangig.

„Viele Betriebe beschäftigt zudem die Frage, wie die Bleibeabsichten ihrer potenziellen Mitarbeitenden aussehen,“ so Reiche. Im Netzwerk können sie zu diesen Themen sowie Förderangeboten und Sprachkursen Hilfe finden. Bei der Sprachbarriere lohne es sich, wenn die Unternehmen einen Schritt auf die Geflüchteten zugingen, meint Reiche. Patenschaften und Mentorprogramme könnten beim Spracherwerb und dem Ankommen im Unternehmen helfen. „Aber Betriebe müssen dies nicht allein schaffen: das Angebot an Integrationskursen wurde erweitert, berufsbezogene Sprachkurse ausgebaut und die neuen Job-Berufssprachkurse ermöglichen einen noch flexibleren Zugang für Beschäftigte. Hier hilft es bereits, wenn der Betrieb flexibel ist und gegebenenfalls eine Freistellung für den Kursbesuch ermöglicht.“ 

Info

Tropfen auf dem heißen Stein?

Erst kürzlich sorgte Arbeitsminister Hubertus Heil einen offenen Brief an ukrainische Geflüchtete, um sie zur Aufnahme von Arbeit zu motivieren. Damit erntete er Kritik von einigen Expertinnen und Experten, die darauf hinwiesen, dass fehlender Wille nicht der Grund für die niedrige Beschäftigungsquote sei. Auch die Initiative „Job-Turbo“ wurde bereits kritisiert: Für höherqualifizierte Berufe in Deutschland seien Deutschkenntnisse oft zwingend notwendig. Mit der Kampagne würden Tausende Ukrainerinnen in den Niedriglohnsektor gezwungen werden, kommentierte Lisa Caspari im Februar in der „Zeit“.

Eine Mitgliederumfrage des NUiF von 2022 bestätigt dies immerhin nicht. Damals gab rund die Hälfte der Mitglieder an, Geflüchtete als Fach- und Führungskräfte einzustellen, nach Angaben des Netzwerks ein Höchstwert seit Beginn der Umfrage. Und: Diese Fachkräfte wurden zu 70 Prozent im selben Betrieb ausgebildet.

Eine weitere Anlaufstelle für Unternehmen, die Hilfe bei der Einstellung und Ausbildung von Geflüchteten brauchen, ist der Zentralverband des deutschen Handwerks. 2007 gründete er das Förderprogramm „Passgenaue Besetzung“ für die Ausbildungsstellenbesetzung mit Jugendlichen ohne Flüchtlingsstatus, 2016 die „Willkommenslotsen“ für die Integration von Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit des. Beide Programme wurden zum 1. Januar 2024 zu einem zusammengeführt.

Die „Willkommenslotsen“ sind spezialisierte Beratungskräfte, die online über eine interaktive Karte auf der Webseite des NUiF gefunden werden können. Sie besuchen und beraten Betriebe, unterstützen sie mit dem Erstellen von Anforderungsprofilen und Bewerbungsunterlagen und dem Durchführen von Einstellungstests. Auch bei der Zusammenarbeit mit Behörden helfen die Lotsen, um alle Fördermöglichkeiten auszuschöpfen. Für Geflüchtete gibt es die Möglichkeit einer Integrationsbegleitung bei der Arbeit. Die Zahlen vermittelter Geflüchtete sind allerdings im Kontrast zu der Anzahl erwerbsfähiger Geflüchteter und fehlender Fachkräfte in Deutschland bescheiden: 2022 wurden von der Initiative rund 600 Ausbildungsplätze an Geflüchtete vermittelt und lediglich 240 Arbeitsplätze.

Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Management und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Thema Diversity.