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Geflüchtete im Arbeitsmarkt: Chancen und Barrieren

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Nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine kommen Menschen auf der Suche nach Schutz und Sicherheit nach Deutschland. Viele von ihnen wollen längerfristig hierbleiben und müssen deshalb in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Laut einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) funktioniert das umso besser, je länger die Aufenthaltsdauer der Geflüchteten in Deutschland ist.

Während die Arbeitsquote von geflüchteten Menschen im ersten Jahr in Deutschland etwa zehn Prozent beträgt, steigen diese in den folgenden Jahren deutlich an. Sechs Jahre nach dem Zuzug liegt diese bei 57 Prozent, sieben Jahre nach dem Zuzug bei 63 Prozent und bei einer Aufenthaltsdauer von acht und mehr Jahren bei 68 Prozent.

Geflüchtete stehen vor größeren Herausforderungen als andere Migranten

Gerade in den ersten Jahren würden Geflüchtete vor größeren Herausforderungen stehen als andere Migrantengruppen. Auf der einen Seite stehen Hürden wie Beschäftigungsverbote, die Dauer und der Ausgang von Asylverfahren oder Einschränkungen bei der Wohnortswahl. Auf der anderen Seite verfügen geflüchtete Menschen meist über geringere Sprachkenntnisse und soziale Netzwerke, was die Arbeitssuche erschweren kann. Darüber hinaus werden vorhandene berufliche Qualifikationen in Deutschland oft nicht anerkannt.

Auch das Geschlecht kann eine Rolle spielen, ob Geflüchtete erwerbstätig werden. Denn während die Erwerbstätigenquote der geflüchteten Männer nach acht oder mehr Jahren Aufenthalt bei 86 Prozent liegt, beträgt sie bei geflüchteten Frauen lediglich 33 Prozent. Denn Frauen müssen oft mehr Sorgearbeit betreiben, haben ein schlechteres Sprach- und Bildungsniveau, nutzen seltener Beratungsangebote und waren meist schon in ihren Herkunftsländern nicht berufstätig. Auf Nachfrage weist das IAB auf ein unzureichendes Betreuungsangebot für Kinder von Geflüchteten hin. Und auch das “NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge” weist darauf hin, dass es wichtig sei, passende Betreuungsangebote in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen. Diese Maßnahme könnte so den Schritt für Frauen in die Erwerbstätigkeit positiv beeinflussen.

Von ähnlichen Problemen erzählt auch Aza Borshchigova im Interview in unserer April-Ausgabe. Sie floh zusammen mit ihrer Familie 2011 aufgrund von politischer Verfolgung von Russland über den Jemen nach Deutschland. Trotz Berufserfahrung als Juristin, Apothekerin und eines eigenen Beautysalons im Jemen waren sie und ihr Mann anfangs gezwungen, von Hartz 4 zu leben. Nachdem sie die Sprache lernte und ein Studium in Wirtschaftsinformatik abschloss, arbeitet Borshchigova aber mittlerweile als Developerin bei IBM.

Die Geschichte der gebürtigen Russin kann wohl als Paradebeispiel für eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt stehen, aber auch als Beispiel dafür, vor welchen Hürden Geflüchtete trotz Berufserfahrung und hoher Motivation stehen.  Aber sie zeigt auch, was der Bericht des IAB bestätigt: Mit zunehmender Aufenthaltsdauer steigt in den meisten Fällen die Beschäftigungsqualität. Zudem werden die Hürden für Geflüchtete umso kleiner, je länger sie in Deutschland leben.

Unternehmen sind auf Rechts- und Planungssicherheit angewiesen

Gerade die Ungewissheit zu Beginn des Integrationsprozesses erschwert dabei für viele die Arbeitssuche. Denn die potenziellen Arbeitgeber sind auf Rechts- und Planungssicherheit angewiesen, die oft nicht gewährleistet werden kann. In den ersten drei Monaten nach Stellen des Asylantrags ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit generell ausgeschlossen. Danach unterliegen Geflüchtete im Asylverfahren bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag einem grundsätzlichen Beschäftigungsverbot. Dieses Verbot gilt jedoch nicht absolut: Nach der Dreimonatsfrist kann die Beschäftigung, nach Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit, von den Ausländerbehörden erlaubt werden. Trotzdem geht das IAB davon aus, dass der eingeschränkte Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber die Erwerbstätigkeitswahrscheinlichkeit um rund vier Prozent bei Männern senkt.

Bürokratische Auflagen erschweren den Prozess

Außerdem stellen Wohnsitzauflagen geflüchtete Menschen bei der Suche nach Arbeit vor Probleme. Die Betroffenen müssen anfangs 18 Monate in einem Flüchtlingsheim leben und danach in ihrem zugewiesenen Bundesland bleiben. Eltern, die mit minderjährigen Kindern nach Deutschland geflohen sind, müssen für sechs Monate im Flüchtlingsheim bleiben. Auch für sie gilt, dass sie in ihrem zugewiesenen Bundesland bleiben müssen. Bei Aufnahme einer Beschäftigung könnte der Wohnort zwar gewechselt werden, meist kommt es aber gar nicht so weit. Die verbundenen Einschränkungen der Freizügigkeit erhöhen nämlich die Informations- und Suchkosten, reduzieren den Zugang zu Netzwerken und beeinträchtigen die Arbeitsmarktchancen. Bei Geflüchteten sinkt die Arbeitswahrscheinlichkeit laut IAB bei Männern, die wohnortgebunden sind, um gut acht Prozent. Dürfen sie sich zumindest im festgelegten Bundesland bewegen, sinkt sie um sechs Prozent. Für Frauen sind diese Koeffizienten ebenfalls negativ, jedoch statistisch nicht signifikant.

Die Erwerbstätigkeitschance für Frauen positiv beeinflussen hingegen Sprachförderprogramme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Nach Abschluss steigen diese um drei Prozent und bei weiterführenden Kursen sogar um 5,5 Prozent. Außerdem wurde das Angebot des BAMF dieses Jahr um Job-Berufssprachkurse erweitert. Von diesen Kursen erwartet das “NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge” noch weitere Verbesserungen in Bezug auf die Erwerbstätigkeitschance von Geflüchteten. Zeitgleich fordert das Netzwerk aber auch, dass hier ein flächendeckendes und flexibles Angebot umgesetzt wird, das auch von Schutzsuchenden besucht werden kann, die schon arbeiten.

Auch Unternehmen können eine erfolgreiche Integration fördern

Doch nicht nur die Politik spielt eine wichtige Rolle, um Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch die Unternehmen selbst sind essenziell, um den Schutzsuchenden einen guten Weg in die deutsche Arbeitswelt zu ermöglichen. „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ bringt hier ein Paten- und Mentoringprogramm in Spiel, was viele Unternehmen bereits jetzt nutzen. Die Paten und Patinnen sollen beim Spracherwerb helfen und so das Ankommen im Unternehmen erleichtern. Außerdem könnten auch Sprachkurse und digitale Sprachlernangebote, direkt vom Unternehmen, einen großen Beitrag leisten. Darüber hinaus sei es hilfreich, die neuen Mitarbeitenden auch bei außerbetrieblichen Angelegenheiten zu unterstützen, beispielsweise bei Behördengängen, der Kontoeröffnung sowie der Wohnungs-, Kitaplatz- und Arztsuche. Ganz zentral sei auch, dass die ganze Belegschaft von Anfang einbezogen wird, Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen und Strukturen geschaffen werden, um die Integration am Arbeitsplatz zu ermöglichen.

In diesem Prozess könne vor allem die HR-Abteilung eine wichtige Stellung einnehmen, erklärt Aza Borshchigova. „Gebt Menschen eine Chance und geht ins Gespräch mit ihnen, auch wenn ihr Lebenslauf auf den ersten Blick nicht überzeugend aussieht“, sagt sie. Unternehmen sollten zudem klar aufzeigen, was nötig ist und welche Werte wichtig sind, um bei ihnen erfolgreich zu sein. Das würde Menschen helfen, die noch keine Erfahrung auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben.

Frederic Haupt ist Volontär der Personalwirtschaft.