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Freiberufliche IT-Experten und deren Auftraggeber sind verunsichert. Eine Gesetzesänderung von 2017 wird von der Deutschen Renten- versicherung (DRV) recht restriktiv ausgelegt und viele bislang Selbstständige werden als scheinselbstständig eingestuft. Laut einer Studie wurden seitdem wegen der erhöhten Rechtsunsicherheit viele Auftragsverhältnisse gekündigt. Rund jeder zweite IT-Freelancer denkt darüber nach, Deutschland den Rücken zu kehren.
Am 1. April 2017 ist das neue „Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ in Kraft getreten, mit dem auch die Abgrenzung zwischen Werk-, Dienst- und Arbeitsverträgen neu geregelt wird. Seitdem besteht die Tendenz der DRV, immer mehr Selbstständige (nachträglich) als Scheinselbstständige einzustufen. Auftraggebern drohen dadurch hohe Strafen.
Sechs von zehn IT-Freiberuflern haben bereits Aufträge verloren
Von der Gesetzesänderung betroffen ist vor allem die hohe Zahl der IT-Freiberufler, die für Unternehmen hierzulande Projekte oder andere Aufträge übernehmen. Inzwischen haben 59 Prozent von ihnen mindestens einen Auftrag verloren – vor drei Jahren berichteten erst 21 Prozent über Auftragsverluste. Bei rund einem Viertel (26 Prozent) der IT-Freelancer wurden sogar ganze Projekte und Organisationseinheiten aufgelöst. Das sind Ergebnisse einer Studie von Gulp und dem Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD). An der Befragung nahmen 1940 VGSD-Mitglieder und Gulp-Nutzer aus den Bereichen IT und Engineering teil.
Mehr als ein Viertel der Projekte werden ins Ausland verlagert
Auf die Frage, was mit den Projekten und Aufträgen geschehen sei, die aufgrund der unklaren Rechtslage nicht mehr mit Selbstständigen in Deutschland weitergeführt werden, gab die Hälfte der Studienteilnehmer an, dass diese am deutschen Standort des Auftraggebers eingefroren oder beendet wurden. Ebenso viele antworteten, dass die Aufträge und Projekte an (größere) externe Dienstleister vergeben wurden. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) der gekündigten Aufträge oder Projekte wurden ins Ausland vergeben. In den Fällen, bei denen komplette Projekte und Organisationseinheiten vom Auftraggeber beendet oderaufgelöst wurden, wurden sogar 38 Prozent ins Ausland verlagert.
Negative Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit Deutschlands
Angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen erwägen 48 Prozent der selbstständigen IT-Experten auszuwandern. Auch sind 80 Prozent der Studienteilnehmer der Meinung, dass sich die derzeitige Entwicklung negativ auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auswirkt. Von den Freelancern, die bereits selbst die Einstellung eines Projekts in Deutschland miterlebt haben, bewerten sogar 95 Prozent die Aussichten für den Standort Deutschland als negativ. Von dieser Gruppe denken fast zwei Drittel (63 Prozent) darüber nach, im Ausland zu arbeiten. Rund sieben Prozent der IT-Freiberufler haben sich bereits fest entschieden, Deutschland zu verlassen; circa 8,5 Prozent planen, in den nächsten Jahren auszuwandern. Gut vier von zehn Befragten sehen die Auswanderung als Option, wenn sich die Situation in Deutschland weiter verschlechtern sollte.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen der großen Rechtsunsicherheit, die die Große Koalition durch ihre Gesetzgebung bei Selbstständigen und ihren Auftraggebern gesorgt habe, würden jetzt sichtbar, sagt Dr. Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD:
Große Unternehmen müssen ihre innovativen Projekte ins Ausland verlagern, um sie rechtssicher durchführen zu können. Fast die Hälfte der IT-Selbstständigen erwägt, das Land zu verlassen. Die Große Koalition muss dringend handeln, um weiteren Schaden von Deutschland abzuwenden,
mahnt Lutz.
Zeitarbeit ist für IT-Freelancer keine Alternative
Mit der Gesetzesänderung beabsichtigte der Gesetzgeber ursprünglich, die Zeitarbeit einzuschränken, so die Studie, doch tatsächlich bewirke er das Gegenteil. Häufig versuchen Unternehmen, die IT-Freiberufler durch Zeitarbeiter zu ersetzen. Die Befragten bewerten dies kritisch, weil Arbeitnehmerüberlassung deutlich schlechter bezahlt werde als gut honorierte Selbstständigkeit und weil hochqualifizierte Experten nicht bereit seien, als Leiharbeiter tätig zu werden. Laut einigen Studienteilnehmern ist es auch keine Lösung, Projekte auf angestellte Mitarbeiter zu übertragen, die zumeist ohnehin schon überlastet seien, wodurch es regelmäßig zu Verzögerungen und zum Scheitern von Projekten komme.
Die ausführlichen Studienergebnisse gibt es > hier.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.