Wer sich nur einzelne Diversitäts-Dimensionen in der IT-Branche anschaut, könnte zufrieden sein. Denn in wenigen anderen Arbeitsfeldern spielt die Herkunft der Mitarbeitenden wohl eine so geringe Rolle. „Die Branche ist beim Thema Diversität vorne dabei“, sagt Jürgen Heidenreich, Fachreferent und Ausbildungsexperte der Techniker Krankenkasse, beim Personalwirtschafts-Round-Table zum Thema Recruiting von IT-Fachkräften. Wäre da nicht eine kleine Gruppe von Menschen, die in der IT-Welt kaum sichtbar sind: Frauen. Gerade einmal 16,7 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten der Informatik und IT-Berufe in Deutschland sind Frauen.
Trotz guter Eignung für zahlreiche IT-Berufe entscheiden sich die meisten Frauen für eine andere Branche. Laut den IT-Recruiting-Experten des Round Tables liegt dies zum einen an gesellschaftlichen Vorurteilen, zum anderen am Image der Branche. Hierzulande werde der typische IT-Beruf immer noch mit Männern verbunden. In Osteuropa sei dies anders, erzählt Jan Kirchner, Geschäftsführer der Wollmilchsau: „Dort ist die Lücke zwischen der Anzahl an weiblichen und männlichen ITlern nicht ganz so groß wie in Deutschland.“ Laut Kirchner müsse sich in der Bundesrepublik etwas an dem gesellschaftlichen Mindset ändern, damit Frauen verstärkt die IT-Branche als ihre Arbeitsstätte wählen.
Von jung auf mit IT vertraut machen
Dafür sei es hilfreich, Mädchen bereits im jungen Alter mit der IT-Welt in Kontakt zu bringen und für diese zu begeistern. „Der Grundstein wird im Kindergarten gelegt“, sagt Jürgen Heidenreich. „Hier können bereits erste MINT-Aktionen (betreffen die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technologie) mit den Kindern durchgeführt werden.“ Heidenreich schlägt zudem eine Geschlechtertrennung im Unterricht vor. „Solche Aussagen sind immer unbeliebt, doch ich könnte mir vorstellen, dass sich die Mädchen dann mehr trauen, im naturwissenschaftlichen Unterricht etwas zu sagen und sich in diesen Feldern auszuprobieren.“
Auch Alexander Raschke, Vorstand des IT-Personaldienstleisters Etengo, sieht Potenzial in einer frühen Förderung im MINT-Bereich. „Es gibt eine deutschlandweite MINT-Initiative, die unter anderem naturwissenschaftliche Themen verstärkt an den Schulen platziert. Aber das alleine reicht nicht. Auch die Wirtschaft muss mit entsprechenden Personalkonzepten daran anschließen“, sagt Raschke. Die MINT-Initiativen zeigen bereits positive Auswirkungen. „In den Studiengängen der Wirtschaftsinformatik liegt der Anteil der Studentinnen bei mehr als 40 Prozent“, ergänzt Jan Kirchner. Während die meisten Teilnehmer des Round Table in der Veränderung des Lehrplans eine Lösung sehen, betont Wolfgang Achilles, Geschäftsführer von Jobware, wie wichtig ein Selbststudium für ITlerinnen und ITler sei: „Informatik ist erst einmal ein Selbststudium. Das Interesse und der Wille müssen von sich aus da sein. Es geht darum Probleme zu lösen, die noch keiner gelöst hat – und das sehr schnell. Daran muss man Spaß haben. Diese Fähigkeit zum Problemlösen innerhalb von Sekunden kann man sich nicht mit Up- und Reskilling oder einer Ausbildung aneignen.“
Vorurteilen entgegenwirken
Vergleicht man die Anzahl der Studentinnen in Informatikwissenschaften und die Zahl der Frauen in der IT-Branche, wird klar: Es geschieht etwas zwischen Studium und Karriere, das die Frauen oftmals von der Branche fern hält. Diskriminierung durch die männlichen Kollegen, spiele definitiv eine Rolle, schätzt Philipp Leipold, Geschäftsführer der AW Academy. „Frauen erhalten kleine, aber eindeutige Seitenblicke, ihnen wird oftmals nicht auf Augenhöhe begegnet“, sagt Leipold. „Wir müssen hier bei der Teamkultur ansetzen und diese verändern, offener für Frauen machen.“
In der IT-Branche wird das Management immer wichtiger.
In diesem Sinne könnte man auch gleich Vorurteile gegenüber ITlern aus dem Weg räumen. „Das Bild des IT-Nerds, der im Keller ohne Sonnenlicht sitzt, ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Frank Eckes, Geschäftsführer Allgeier Experts. Es hafte dem Beruf aber immer noch an. Dabei befinde sich die Branche derzeit in einem Wandel, der das Berufsfeld attraktiver für Frauen machen könne: „In der IT-Branche wird das Management immer wichtiger. Das spricht vielleicht auch mehr Frauen an.“ Das sieht auch Alexander Raschke so. Er sagt: „Soziale und organisatorische Kompetenzen werden in der Branche immer wichtiger, besonders bei der Leitung großer, komplexer Transformationsprojekte, um eine reibungslose Abstimmung zwischen unterschiedlichen Stakeholdern zu gewährleisten.“
Es gelte nun, diesen Wandel sichtbar zu machen, sind sich die Experten des Round Table sicher. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit sollten auch Frauen gerückt werden, die bereits in der IT-Welt arbeiten. Denn die Integration von Frauen hat langfristig Vorteile für das Unternehmen. „Teams funktionieren dann am besten, wenn sie divers sind“, sagt Frank Eckes. Verschiedene Personen würden unterschiedliche Perspektiven und kreative Lösungsansätze mitbringen.
Hier geht es zurück zum Special Recruiting von IT-Fachkräften.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.