Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Ehemalige wiedereinstellen: Zurück zum Ex

Ein Bumerang vor blauem Himmel
Bild: palana997/istock

Als Mario Götze, das „Wunderkind des deutschen Fußballs“, sich anschickt, 2013 zum großen Rivalen FC Bayern zu wechseln, schütten die restlos enttäuschten Dortmund-Fans Kübel voller Häme über ihn aus. Reumütig kehrt der Kicker drei Jahre später zurück und knüpft zeitweise an seine alten Leistungen an. Friedrich Merz, einst von Angela Merkel aufs Abstellgleis befördert, taucht nach über einem Jahrzehnt wieder auf und wird von manch Konservativem wie ein Messias bejubelt. Ein Politrentner als Kanzlerhoffnung? (Nein, wie wir inzwischen wissen.)

Seien wir ehrlich: Ein Comeback zu feiern, ist in der Arbeitswelt so ungewöhnlich wie im Fußball oder in der Politik. Wer kündigt, wird vielerorts eiskalt abserviert. Ein Wort des Danks für die geleistete Arbeit – Fehlanzeige. „Reisende soll man nicht aufhalten“ ist noch das Freundlichste, was man ehemaligen Kollegen beim Abgang hinterherruft. Ein törichtes Verhalten, angesichts des Fachkräftemangels sogar ein unverzeihlicher Fehler. Das meint zumindest Marcel Rütten.

Für den HR-Manager der Kindernothilfe in Duisburg gibt es drei Gründe, warum es ratsam ist, ehemalige Mitarbeiter genauso gut zu behandeln wie Angestellte. Kehrten Ex-Kollegen mit hinzugewonnenen Qualifikationen und Erfahrungen einst zurück, sei das „ein Gewinn für jedes Unternehmen“. Selbst wenn sie sich nicht für diesen Boomerang-Effekt entschieden, seien ehemalige Mitarbeiter „exzellente Markenbotschafter“, welche die Arbeitgebermarke positiv wie negativ beeinflussen. Schließlich könne ein Ehemaliger „als Auftraggeber“ künftig auch Einfluss auf das operative Geschäft des Unternehmens ausüben.

Retention ja, Rehiring nein

So wie Rütten denken nicht viele Personaler. Von Einzelfällen abgesehen habe sich das Thema bisher nicht durchgesetzt, beobachtet die Münchner PE- und OEBeraterin Bettina Miserre. Das liege an Führungskräften, die ihr hierarchisches Verständnis von Anweisung und Kontrolle hin zu einem agilen Mindset verändern müssten. Und an Personalern: „Oft hat HR auch nicht das Mandat, die fürs Rehiring notwendigen bereichsübergreifenden Prozesse in der Organisation zu verankern.“ Wie Studien zeigen, investieren Personaler lieber in Retention-Programme, um Leistungsträger und Talente möglichst langfristig zu binden. Auf die Idee, für Ex- Kollegen einen neuen Recruiting-Kanal zu installieren, kommen sie nicht. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. Schließlich kennen sich beide Seiten bereits und die Kandidatenansprache und der Einstellungsprozess fallen konstengünstiger aus als sonst im Recruiting. Oder wie Miserre es ausdrückt: „Rehiring ist für Organisationen nachweislich effizienter als die Personalsuche.“ Besser geht es eigentlich nicht.

Tim Weitzel von der Universität Bamberg hält das Rehiring von einstigen Beschäftigten für die „am wenigsten diskutierte Frage im Recruiting“. Der Professor für Wirtschaftsinformatik und Leiter des Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) findet die Idee, gezielt um ehemalige Mitarbeiter zu werben, keineswegs aus der Luft gegriffen. Sie könne am Ende sogar den Unterschied machen. Weitzel zitiert das Beispiel eines IT-Unternehmens, das sich angesichts größter Rekrutierungsprobleme intern umhörte, wer wohl am besten für die offenen Positionen geeignet wäre. Das Votum der Belegschaft: ehemalige Mitarbeiter – und zwar mit großem Abstand.

Positiver Boomerang-Effekt

Die meisten Ex-Kollegen hatten das Unternehmen aus nichtberuflichen Gründen verlassen, weil sie etwa mit ihrer Familie in eine andere Stadt zogen. Also fasste man sie in einer Datenbank zusammen, schrieb sie regelmäßig an und offerierte ihnen konkrete Jobangebote. Weitzel: „Innerhalb kurzer Zeit stiegen die Zahlen dieser Mitarbeiter an.“ Ähnlich unkompliziert hob auch Michael Olbert, Personal- und Vertriebsleiter des dänisch-deutschen Technologieunternehmen Creadis in Ansbach seinen „Boomerang Club“ aus der Taufe. Regelmäßig treffen sich Mitarbeiter mit Partnern und Kunden, um in Kontakt zu bleiben. Beim „heiteren und unstrukturierten Networking“, so Olbert, seien vor allem Ex-Kollegen mit von der Partie.

Olbert kann nicht verhindern, dass karriereorientierte Ingenieure nicht zuletzt des Geldes wegen zu Markenanbietern und Großunternehmen wechseln. Doch viele tun sich dort schwer. „Wie hoch ist der Anteil des Schmerzensgeldes an meinem Gehalt“, bilanzierten die Ex-Kollegen Olbert zufolge ziemlich schnell, „wenn ich zwangsläufig im Hamsterrad lande und die Freizeit zum Frustabbau nutze?“ Hier kommt die Kultur ins Spiel. Creadis punktet nach eigenen Angaben mit einem „Klima von Offenheit, Enthusiasmus und Professionalität“. Olbert nennt es „Daniel-Düsentrieb-DNA“. Ehemaligen Kollegen stünden alle Türen offen. Wer zurückkehre, will in der Regel auch lange bleiben. „Man weiß, was man hat.“

Rückkehrer mit ausgeprägter Tüftelmentalität nimmt Marcel Rütten von der Kindernothilfe zwar nicht ins Visier. Dafür investiert die NGO seit Jahren in ein Alumni-Netzwerk für ehemalige Praktikanten, um sie nach abgeschlossenem Studium und ersten Berufserfahrungen erneut an Bord zu lotsen. „Diese Investition zahlt sich aus“, betont Rütten. Inzwischen ist jeder fünfte Mitarbeiter ein ehemaliger Praktikant. Von solchen Quoten können die allermeisten Unternehmen nur träumen. Selbst die Konzerne, denen 2017 in einer vom „Manager Magazin“ beauftragten Datenauswertung des Businessnetzwerks Linkedin eine besondere Anziehungskraft für Ex-Mitarbeiter attestiert wurde, fallen deutlich zurück. Spitzenreiter Siemens kommt auf drei Rückkehrer pro hundert Mitarbeiter, der Zweitplatzierte, SAP, lediglich auf zwei. Darauf angesprochen verschanzen die Firmen sich hinter flachen PR-Statements: Dank eines „attraktiven und vielseitigen“ Umfelds sei man bei Siemens kaum überrascht, wenn ehemalige Mitarbeiter zurückkehren. Offenbar habe man vieles richtig gemacht. „Smarte Leute wollen mit smarten Leuten arbeiten“, heißt es allen Ernstes bei SAP. Lediglich BMW, immerhin Nummer vier im Ranking, verzichtet auf werblichen Singsang. Ein offizielles Programm zur Gewinnung von Ex-Mitarbeitern gibt es nicht. Kommen ehemalige Kollegen zurück, ist das für Personalsprecher Jochen Frey „eher ihren persönlichen Netzwerken zu verdanken“.

Praktikanten- und Alumni-Programme

Stattdessen verweist der Autobauer auf ein Praktikantenprogramm, das wie bei der Kinderhilfe funktioniert: Während Rütten ausnahmslos alle Praktikanten nach ihrem Abschied im Auge behält, fokussiert BMW sich auf „Spitzenpraktikanten“. Sie würden zu Events eingeladen und bei Vakanzen direkt angesprochen, sobald sie ihr Examen in der Tasche haben. Die Kindernothilfe steckt viel Energie in die Betreuung von jungen Leuten, die während des Studiums erste berufliche Erfahrungen sammeln. Sie fühlen sich ernstgenommen, wertgeschätzt und entwickeln laut Rütten schnell „eine außergewöhnlich hohe Identifikation mit unseren Idealen und Werten“.

Für ihn ist es ein Trauerspiel, dass Personaler mit der Betreuung von Praktikanten oft keine Strategie verknüpfen. Frage man nach, wie viele aktuell für sie arbeiten, stoße man auf Unwissenheit. Das bestätigt der aktuelle Clevis-Praktikantenspiegel. Zwar sehen die allermeisten Personaler in Praktika ein geeignetes Recruiting-Instrument. Doch nur die wenigsten Unternehmen nutzen ein Alumni-Netzwerk, um ehemalige Mitarbeiter an sich zu binden.

Rütten zufolge liegt der Fehler im Exit-Prozess, der meist nicht zu Ende gedacht sei. „Der Lebenszyklus von Mitarbeitern endet nicht mit ihrem Austritt.“ Davon ist auch Roland Droste überzeugt, bei Arvato SCM Solutions in Gütersloh für Employer Branding und Recruiting verantwortlich. Das Unternehmen will unbedingt besser werden im Umgang mit „Leavern“, wie Droste jene Mitarbeiter bezeichnet, die kündigen. „Wer geht, wird freundlich verabschiedet und in unser neues Alumni-Netzwerk eingeladen.“

Hinter diesem Schachzug verbergen sich wichtige Einsichten. Schon vorher gab es erfreuliche Rehiring-Quoten, die nun „skalierbar“ gemacht werden sollen. „Die Rückkehr von Ehemaligen wollen wir nicht mehr dem Zufall überlassen“, betont Droste. Triebfeder des Projekts, mit dem Arvato SCM beim „Deutschen Personalwirtschaftspreis 2018“ den dritten Platz in der Kategorie Recruiting errang, ist vor allem die Hoffnung, dass Ex-Mitarbeiter nach der freundlichen Verabschiedung sukzessive „in die Rolle des Botschafters schlüpfen“.

Weiterentwicklung wichtiger als Loyalität

Droste verweist auf zentrale gesellschaftliche Veränderungen, die sich massiv auf die Arbeitswelt auswirken. Danach habe sich das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundlegend verändert. Nicht nur, dass ehemalige Mitarbeiter unmittelbar nach ihrem Abschied die Öffentlichkeit via Glassdoor oder Kununu über ihre Erfahrungen mit einem Arbeitgeber informierten. Sie verhielten sich auch „wesentlich sprunghafter“. Sobald sich ein spannendes Projekt ergibt, das sie in der Karriere weiterbringt, zögen sie weiter. „Loyalität, lange eine dezidierte Erwartung von Unternehmen“, beobachtet Droste, „spielt eine untergeordnete Rolle.“

Diese Entwicklung untersucht auch die Frankfurter Unternehmensberaterin Susanne Ransweiler. Durch Teilnahme an spannenden Projekten an Reputation gewinnen zu können, sagt die Expertin für Corporate Networks, sei für Fachkräfte wichtiger geworden als sich langfristig an eine Firma zu binden. „Lebenslanges Lernen wird immer wichtiger.“ Unterstützten Unternehmen ihre Mitarbeiter dabei, den nächsten Entwicklungsschritt auch außerhalb der Firma zu gehen, „desto mehr profitieren alle, das ganze Land“, so Ransweiler. „Von Besitzansprüchen sollte man sich daher unbedingt lösen.“

Wirtschaftsinformatiker Weitzel schaut genau hin. Was motiviert die Beschäftigten wirklich, zu kündigen? Und was treibt sie an, zum einstigen Arbeitgeber zurückzukehren? Weltweit 430 IT-Fachkräfte wurden hierzu ausführlich befragt. Ergebnis der noch nicht veröffentlichten Studie „Moving back home. An analysis why IT professionals return to a former employer“: Je mehr man sich kulturell der Firma zugehörig fühlt, je enger die sozialen Bindungen zu Kollegen sind – Weitzel nennt das „Embeddedness“-, desto geringer ist das Wechselinteresse. Und umso höher die Bereitschaft zurückzukehren.

Für Arbeitgeber folgt daraus zweierlei: Sie müssen zunächst an der Kultur feilen, damit sich niemand mehr einbildet, eine Rückkehr zur einstigen Firma würde in Anlehnung an die ungeschriebene Boxerregel „They never come back“ doch nur an tiefsitzenden Vorbehalten eines verschworenen Haufens scheitern. Zeitgemäße Führungskonzepte, nach denen Mitarbeiter bei Fehlern nicht geschurigelt werden, sondern sich angstfrei entfalten und ebenso unbehelligt ausscheiden können, bieten sich dazu an. Wie Beraterin Miserre beobachtet, werden insbesondere im Zuge der digitalen Transformation Teams stark einbezogen in die Entwicklung von Kulturen, in denen es kein Makel mehr sei, „wenn ein Kollege das Unternehmen verlässt“.

Kontakt halten

Hinzukommen müsste ein Konzept, um den Kontakt mit Ehemaligen auf eine solide Basis zu stellen. Egal, ob sie später erneut anheuern, zu Geschäftspartnern werden oder einfach nur in guter Erinnerung Teil des Teams bleiben wollen: Das kostet Geld. Wer solche Netzwerke betreibt, Weitzel nennt sie „Linkage-Programme“, sollte dies aus Überzeugung und nicht nur aus Imagegründen tun, warnt Beraterin Ransweiler folgerichtig. „Sie müssen aktiv auf ein definiertes Ziel hin gemanagt werden.“ Am besten mit messbaren Indikatoren.

Ohne KPIs, ohne Segen der Chefetage läuft nichts, lautet auch Drostes Devise. Seit Einführung des neuen Netzwerktools vor knapp einem Jahr kann der Manager bereits erste Erfolge vermelden. „90 Prozent der verabschiedeten Kollegen nehmen die Einladung ins Netzwerk an.“ Dort offeriert Arvato SCM vielfältige wissenswerte Inhalte. Auch der Zugang zu Unternehmensvergünstigungen zählt dazu. Freilich schießen die Erwartungen nicht ins Kraut: Erst wenn die ergriffenen Maßnahmen zu einer entsprechenden „Füllmasse“ beitragen, sei die gewünschte Conversion Rate realisierbar, so Droste. „Womöglich erst in vier Jahren nach Projektstart.“

Ehemalige Kollegen erneut als Mitarbeiter zu gewinnen, so viel lässt sich hier bilanzieren, sollte weder eine Hauruckaktion noch allein von Imagezielen geleitet sein. Oder um es in der Fußballsprache auszudrücken: Unternehmen müssen mit einem klugen Matchplan ins Spiel gehen und unbedingt den Ball flach halten.


Dieser Beitrag ist in Ausgabe 01/19 erschienen. Sie können das gesamte Heft › hier bestellen