Demnächst wird die Generation der geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, das Renteneintrittsalter erreichen. Wie sich das auf den Fachkräftemarkt auswirken wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein Report des Institut der deutschen Wirtschaft (IW) stellt mögliche Zukunftsszenarien dar.
Nach Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge sinkt die Zahl der Erwerbstätigen
Wenn die geburtenstarken Jahrgänge von 1959 bis 1969 aus dem Arbeitsleben ausscheiden, wird die Zahl der Erwerbstätigen hierzulande voraussichtlich deutlich zurückgehen. Damit befinde sich der deutsche Arbeitsmarkt aktuell kurz vor einem grundlegenden Umbruch, sagt Dr. Wido Geis-Thöne, Senior Economist für Familienpolitik und Migrationsfragen beim Institut der deutschen Wirtschaft. Wie hoch der Einbruch tatsächlich sein wird und wie viele Fachkräfte in den kommenden zwei Jahrzehnten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, hänge jedoch primär von zwei Faktoren ab: der weiteren Entwicklung der Zu- und Abwanderung und der Erwerbsbeteiligung älterer Menschen. Beide Aspekte seien jedoch nicht wirklich vorhersehbar. Daher stellt Geis-Thöne im IW-Report 11/2021 mit dem Titel „Mögliche Entwicklungen des Fachkräfteangebots bis zum Jahr 2040 – Eine Betrachtung der zentralen Determinanten und Vorausberechnung“ drei Szenarien vor, die von unterschiedlichen Annahmen ausgehen. In Bezug auf die Erwerbsbeteiligung der über 60-Jährigen geht die Studie davon aus, dass sie mit dem Übergang zur Rente mit 67 Jahren weiter zunehmen wird, außerdem sei denkbar, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bis 2040 noch weiter angehoben wird.
Berechnung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
Exkurs: Was die Entwicklung der Bevölkerungszahl betrifft, so geht der aktuelle Bericht des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung > Fakten zur demografischen Entwicklung Deutschlands 2010-2020 davon aus, dass die Zahl der Einwohner, die im Jahr 2018 wegen der leicht gestiegenen Geburtenziffer und infolge der Migration auf über 83 Millionen angewachsen war, wieder abnehmen wird, wenn auch deutlich moderater als noch vor wenigen Jahren angenommen. Danach hat der Schrumpfungsprozess bereits 2020 eingesetzt und laut Vorausberechnung würde die Bevölkerung bis 2060 auf etwa das Niveau Gesamtdeutschlands in den frühen 1970er Jahren zurückfallen.
Drei Zukunftsszenerien des Instituts der deutschen Wirtschaft für 2040
Zu diesen Vorausberechnungen kommt das IW für das Jahr 2040:
Positives Szenario: Entwickeln sich sowohl die Zuwanderung als auch die Erwerbsbeteiligung Älterer positiv, was nur mit einem späteren Renteneintritt und einer Weiterentwicklung des ordnungspoltischen Rahmens zur Migration wahrscheinlich wäre, läge die Anzahl der Fachkräfte zwischen 20 und 69 Jahren in 2040 bei 35,2 Millionen und damit nur geringfügig niedriger als 2020 (35,5 Millionen).
Negatives Szenario: Wandern nur wenige Menschen aus dem Ausland zu und steigt die Erwerbsbeteiligung in der siebten Lebensdekade kaum, wird die Zahl der Fachkräfte um 4,2 Millionen oder zwölf Prozent schrumpfen.
Mittleres und wahrscheinliches Szenario: Das IW geht in seinem Bericht davon aus, dass weder das positive noch das negative Szenario eintreffen, sondern das Ergebnis eher dazwischen liegen wird. Danach würde die Fachkräftebasis um 3,1 Millionen oder 8,8 Prozent zurückgehen – immer noch ein beachtlicher Anteil.
Nicht in die Prognose eingeflossen ist die Veränderung der Fachkräftenachfrage aufgrund der Digitalisierung, die durch die Corona-Krise noch rascher umgesetzt wird. Einige Studien gehen davon aus, dass durch die Automatisierung zwar neue Berufsbilder und Arbeitsplätze entstehen, aber deutlich mehr Jobs überflüssig werden, was das Thema Fachkräftemangel wieder in ein anderes Licht rücken würde. Dazu kommt, dass bereits jetzt im Laufe der Krise viele Arbeitsplätze aufgrund von Firmenschließungen weggefallen sind.
Immer mehr akademische Fachkräfte und weniger mit Berufsausbildung
Unabhängig davon, welches Szenario eintrifft, wird sich das Verhältnis von Fachkräften mit Studienabschluss und mit Berufsausbildung laut Prognose verschieben: Die Zahl der akademischen Fachkräfte wird in den kommenden zwei Jahrzehnten weiterhin deutlich ansteigen, während der Anteil der beruflich qualifizierten Fachkräfte noch mehr abnimmt als bisher und zwar viel stärker als bei den Fachkräften insgesamt. Das heißt, dass dem Arbeitsmarkt nicht nur weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, sondern auch eine Strukturveränderung des Angebots stattfindet. Darauf müssten sich die Unternehmen einstellen, so die Studie.
Handlungsempfehlungen für die Politik aus Sicht des IW
Geis-Thöne leitet aus der Vorausschau Handlungsempfehlungen für die Politik ab, um die Fachkräftebasis zu stärken. Seiner Ansicht muss geklärt werden, ob die Regelaltersgrenze nach Abschluss des Übergangs zur Rente mit 67 Jahren im Jahr 2031 weiter erhöht werden kann. Auch andere Rahmenbedingungen für die Erwerbsbeteiligung von Menschen im Rentenalter – etwa steuerliche Fragen – seien von Bedeutung. Was die migrationspolitischen Handlungsoptionen betrifft, so sei es kaum möglich, in größerem Maße Ausländer zu gewinnen, deren Qualifikationen einem beruflichen Abschluss nach deutschen Standards entsprechen. Denkbar sei höchstens, junge Menschen aus dem Ausland nach diesen Standards auszubilden, wobei bislang die notwendige Infrastruktur fehle, oder zumindest in Teilen nachzuqualifizieren, was ohnehin nicht kurzfristig machbar sei. Als ebenfalls eher langfristige Möglichkeit sieht der Wirtschaftswissenschaftler die Möglichkeit, das hiesige Bildungssystem dahingehend zu verbessern, dass weniger junge Menschen im Inland keinen berufsqualifizierenden Abschluss haben.
Der vollständige Report steht > hier als Download zur Verfügung.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.