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Gemeinsam für faire Gehälter

Foto: mnimage / Adobe Stock
Foto: mnimage / Adobe Stock

Wer welche Rolle mit welcher Verantwortung innehat, ist in vielen Unternehmen transparent. Nicht so beim Thema Gehalt: „Hier hinken viele Unternehmen hinterher. Für die Mitarbeiter fehlen oft nachvollziehbare Kriterien, anhand derer sich das Gehalt des Einzelnen bemisst“, sagt Nadine Nobile, Gründerin von der Unternehmensberatung CO:X und Mitautorin von „New Pay“ (siehe Infokasten). Das führe dazu, dass Mitarbeiter immer häufiger hinterfragen, ob die Gehälter der Führungskräfte im Vergleich zu ihren eigenen gerechtfertigt sind. Viele stellen sich die Frage: Wofür werden wir eigentlich bezahlt? Und können HR und Führungskräfte als einzige Autorität über Gehälter entscheiden?

Nicht nur in New-Work-Firmen vertreten Menschen die Ansicht, dass die Fachkompetenz nur ein Kriterium bei der Gehaltsfindung ist. Auch qualitative Faktoren gilt es zu berücksichtigen, die für die Zukunftssicherung des Unternehmens eine wichtige Rolle spielen:

„Unternehmertum, Wir-Denken, das Einbringen von Verbesserungsvorschlägen oder die Aufgeschlossenheit für Veränderungen machen ein dynamisches System aus, das in die Zukunft schaut und von den Mitarbeitern fairer als ein starres Gehaltssystem erlebt wird“

ist Nobile überzeugt. Bei der Suche nach dem passenden Modell – das Spektrum reicht vom Einheits- bis zum Wunschgehalt mit unterschiedlichen Graden an Selbstorganisation und Flexibilität – sollte jede Organisation immer wieder aufs Neue prüfen, ob das Gehaltsystem zur Unternehmenskultur, den sich ändernden Markt- und Kundenanforderungen und den jeweiligen Rollen passt.

Zwei Unternehmen geben Einblick in ihren Weg zu einem alternativen Gehaltssystem und erzählen davon, warum sie welche Prozesse für mehr Fairness und Transparenz angepasst haben.

Seibert Media: Gehaltsgremien entscheiden über Gehälter

Die Seibert Media ist ein Produktanbieter für Kollaborations-Software mit Sitz in Wiesbaden und den USA. Mit einer Handvoll von Mitarbeitern 1996 an den Start gegangen, ist die Softwareschmiede heute auf 185 Mitarbeiter gewachsen. Im Zuge der Entwicklung des Unternehmens hin zu mehr Dezentralität und Partizipation passte das ursprüngliche Gehaltsmodell nicht mehr. „Hinzu kam, dass die Geschäftsführung nicht mehr alleine über die Gehälter entscheiden wollte, auch weil sie nicht mehr nah genug an dem einzelnen Mitarbeiter war, um ihn fachlich und persönlich gut einschätzen zu können“, sagt Dr. Kai Rödiger, der als agiler Coach und Unternehmensentwickler unter anderem die einzelnen Teams bei den Gehaltsprozessen unterstützt. Dabei handelt es sich um einen iterativen Prozess, bei dem immer wieder im Team aufs Neue gerungen wird, wer mit welchem Gehalt einsteigt und bei wem das Gehalt angepasst werden sollte.

Wie geht das Unternehmen bei einer Gehaltsrunde vor und wie kann gewährleistet werden, dass die verschiedenen Sichtweisen der am Prozess beteiligten Mitarbeiter berücksichtigt werden? Jedem Mitarbeiter wird ermöglicht, zwei Personen in einen so genannten „Gehaltschecker-Kreis“ zu wählen, die seiner Ansicht nach am besten im Sinne des Unternehmens Gehaltsentscheidungen treffen können. Dann wird geschaut, welche Mitarbeiter die meisten Stimmen erhalten haben, die folglich in den Kreis aufgenommen werden. Darüber hinaus braucht der Kreis noch weitere Experten, die andere Sichtweisen und spezielles Know-how einbringen: nämlich mindestens einen Gesellschafter, der die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Blick hat, einen agilen Coach als Prozessbegleiter und einen HR-Verantwortlichen, der unterschiedliche Gehälter auch auf Basis des Bewerbermarktes beurteilen kann. Die Gehaltschecker haben den Gesamtüberblick über das bereichsübergreifende Gehaltsgefüge und die damit verbundene angestrebte Gehaltsgerechtigkeit und Transparenz. Darüber hinaus wurden im Verlauf der dritten Iteration zusätzlich so genannte „Gehaltsgremien“ installiert: Rödiger: „Dieser interdisziplinär besetzte Kreis, dem mindestens eine fachliche Führungsperson aus dem Bereich des betrachteten Mitarbeiters angehört, beurteilt, welches Gehalt für den Einzelnen sinnvoll ist.“ Ist der Mitarbeiter der Ansicht, dass sein Gehalt angepasst werden müsste, setzt der Gehaltschecker-Kreis das Gremium in Absprache mit ihm zusammen.

Bei der Bestimmung des jeweiligen Gehalts werden neben der Fachkompetenz weitere Kriterien zu Rate gezogen: Wie bringt sich jemand ins Team ein, übernimmt er Verantwortung, will er sich weiterbilden und verknüpft er seine Arbeit mit anderen? Daraus entwickelt sich ein Gesamtbild, das sich im individuellen Gehalt niederschlage. Rödiger ist sich bewusst: „Nicht immer kann ein Status erreicht werden, bei dem jeder hundertprozentig mit seinem Gehalt zufrieden ist. Wichtig ist eine Prozessgerechtigkeit herzustellen, bei dem jeder Mitarbeiter gleich behandelt wird.“ Daran weiter zu arbeiten und die einzelnen Rollen der Mitglieder in den Kreisen noch trennschärfer zu machen, ist ein Ziel für ein Gehaltssystem, das sich stetig weiter entwickelt.

Elobau: Produktionsmitarbeiter
gestalten das Vergütungssystem

Elobau ist ein familiengeführtes Maschinenbauunternehmen mit Sitz in Leutkirch im Allgäu und weltweit knapp 940 Mitarbeitern, davon zirka 500 in der Produktion. Früher gab es für alle Produktionsmitarbeiter einen Akkordlohn: „Die individuellen Gehaltsunterschiede empfanden viele Mitarbeiter als intransparent. Auch waren viele unsicher, wie sie sich entwickeln und entsprechend mehr verdienen können“, sagt Personalleiter Norbert Christlbauer. Das gab den Anstoß für die Idee: Warum lassen wir die Mitarbeiter nicht selbst ein Vergütungssystem entwickeln?

Für die Projektgruppe konnte sich jeder freiwillig melden, wobei bei der Auswahl des Kernteams darauf geachtet wurde, dass die Struktur der ganzen Produktion abgebildet wurde, zum Beispiel: Angelernte und Facharbeiter sowie Mitarbeiter mit kürzerer oder längerer Betriebszugehörigkeit. „Uns war es wichtig, möglichst viele Sichtweisen einzubeziehen, damit sich alle Mitarbeiter repräsentiert fühlen“, sagt der Personalleiter. Das Ergebnis des eineinhalbjährigen Prozesses: Die Mitarbeiter einigten sich auf ein mehrstufiges Grundgehalt, das sich nach Aufgabe und Qualifikation richtet und das jeweilige Monatsgehalt bestimmt. Wer zum Beispiel als Produktionshelfer auf der untersten Stufe beginnt, kann sich zum Feinwerker, dann zur Fachkraft und vom Facharbeiter zur Führungskraft entwickeln. Der jeweilige Vorgesetzte macht mit dem Mitarbeiter jährlich die Einstufung und bespricht mit ihm, was er tun müsste, um in die nächste Gehaltsstufe zu kommen. Im Fall, dass sich beide nicht einig werden, kann der Mitarbeiter ins Eskalationsgespräch gehen und zur Unterstützung zwei Kollegen hinzuziehen.

Nur Qualifikation und Erfahrung bei der Gehaltsfindung zugrunde zu legen, hielten die Mitarbeiter für nicht angemessen. Auch das Verhalten des Einzelnen im Sinne des Unternehmensleitbildes sollte entlohnt werden. Ein so genannter FMK-Anteil (füreinander, miteinander, kundenorientiert) -_dabei handelt es sich um einen individuellen Zuschlag von bis zu zehn Prozent _ wurde eingeführt. Wie unterstützte ich meine Kollegen, organisiere ich meine Weiterbildung eigenverantwortlich, bin ich pünktlich? Das sind Kriterien, die zum Beispiel berücksichtigt werden. Darüber hinaus gibt es eine gewinnabhängige Jahreserfolgsprämie, bei der jeder unabhängig von der Position gleich viel bekommt und eine Erfolgsbeteiligung für Qualität und Liefertreue.

Was macht es mit dem Personaler, wenn ihm das Thema Vergütung als eine der Kernkompetenzen des HR-Ressorts aus der Hand genommen wird? Anfangs hat Christlbauer das durchaus kritisch gesehen: „Doch habe ich eine große Lehre aus dem Prozess gezogen, nämlich die, dass ich `nur` einen Teilbeitrag unter vielen leiste.“ In den multiplen Erfahrungen und den unterschiedlichen Sichtweisen stecke der eigentliche Wert: „Dabei haben wir gelernt, einander besser zuzuhören und andere Meinungen zu respektieren. Heute haben wir ein Vergütungssystem, das zu unserer mitarbeiterzentrierten Kultur passt.“ Der Veränderungsprozess geht weiter: So soll die technische Umsetzung des Systems weiter verbessert werden und langfristig das Vergütungssystem auf andere Unternehmensbereiche, zum Beispiel die Logistik, übertragen werden.

Beide Unternehmensbeispiele zeigen: Die Unternehmen haben nicht nur ein neues Entlohnungssystem geschaffen, sondern haben an ihrer Wertschöpfung gearbeitet und die Art der Zusammenarbeit verändert.

Literatur-Tipp
Cover New Pay

Sven Franke/ Stefanie Hornung/Nadine Nobile: New Pay. Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle, Haufe Verlag, 2019.


Dieser Beitrag ist Teil des Themen-Specials „Compensation &
Benefits“. Mehr interessante Beiträge zu diesem Thema finden Sie auf der
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