Warum Gehaltsbänder die Jobzufriedenheit erhöhen
Agile Organisationen haben den Anspruch, flexibel neuen Herausforderungen begegnen zu können, sollten dabei jedoch klare Prozesse und Strukturen nutzen, um die Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen. Dieser oberflächliche Widerspruch zwischen Agilität und Struktur zeigt sich insbesondere beim Vergütungssystem. Doch wenn man lernt, die Lohngestaltung unabhängig vom Faktor Mensch anzugehen, entsteht ein faires Gehaltssystem, das jedem Mitarbeiter in jeder Rolle gerecht wird.
Agile Vergütung gibt es nicht
Der Wandel zum agilen Unternehmen geschieht weder von jetzt auf gleich, noch bedeutet es den Abriss aller traditionellen Strukturen, denn es gibt Unternehmensbereiche, die sich dem Prinzip der Agilität schlicht verweigern. Die Lohn- und Gehaltsgestaltung ist eines der besten Beispiele: Es gibt schlicht keine sinnvolle Methode, wie die agile Arbeitsorganisation von Mitarbeitern in einer ebenso agilen Vergütung abgebildet werden kann oder muss. Dies würde nicht nur zu einem betriebswirtschaftlichen Chaos führen, sondern auch das Angestelltenverhältnis in jeder Nuance infrage stellen.
Auch auf theoretischer Ebene kommen Agilität und Gehalt nur schwer zusammen: Wie soll ein belast- und vergleichbares Preisschild für die Arbeit eines Angestellten aussehen, wenn sowohl die Stelle als auch die Aufgabenbeschreibung ständig wechselten? Ob das überhaupt in der Realität passiert oder ob man auch in einer agilen Organisation nicht eher im Rahmen der eigenen Fertigkeiten und Kompetenzen auf einer passenden Stelle arbeitet, sei dahingestellt. Der Programmierer wird jedenfalls programmieren und nicht auf einmal den Empfang besetzen oder die monatlichen Gehälter abrechnen und das Ganze agil nennen. Und die Zusatzaufgabe des Controllers, der sich nebenher um den Grünschnitt kümmert, könnte man auch als Liebhaberei bewerten. Wie würde nur unter voll agilen Voraussetzungen ein Gehaltssystem entstehen, das sowohl gerecht als auch stabil ist – aber bei jedem neuen Impuls von außen oder innen angepasst werden kann? Dies ist ein unauflösbarer Widerspruch in sich.
Um sich dem Thema Lohngerechtigkeit für mehr Jobzufriedenheit sinnvoll zu nähern, gilt es vor allem, den Unterschied zwischen Gehaltsgleichheit und Gehaltsgerechtigkeit zu verstehen. Primärstudien und Metanalysen zeigen, dass es zum Beispiel die Teamleistung positiv beeinflusst, wenn die Vergütung gerecht statt gleich gestaltet wird. Allerdings: Gleiche Vergütung ist leichter realisierbar als eine gerechte Vergütung.
Weniger Mensch – klarere Gehaltsstruktur
Im Grunde ist Agilität nichts weiter als ein Strukturmerkmal für die Projekt- und Ablauforganisation. Es gibt keinen guten Grund, auch die Stellenbeschreibungen in der Organisation agilen Prinzipien zu unterwerfen und ständig zu ändern. Dieser Erkenntnis folgt auch die moderne Stellenbewertung. Für sie ist die Stelle relativ abstrakt und definitiv ohne den Faktor Mensch beschreibbar, selbst wenn sich der Stelleninhaber agil durch die Organisation bewegt und in häufig neuen Teamkonstellationen eingesetzt wird. Daraus ergibt sich eine große Chance für die gerechte Gehaltsgestaltung in agilen Organisationen. Diese Chance ist in ihrer Wirkmächtigkeit auf die Gehalts- und Jobzufriedenheit nicht zu unterschätzen.
Der Reiz des Geldes bleibt
Versteht man Agilität bis zu einem gewissen Punkt als subjektives und damit menschlich-soziales Konstrukt, erklärt sich auch, warum der Faktor Geld im Zuge von New Work und Agilität noch vor Kurzen kleingeredet wurde. Intrinsische Motivation und Engagement wurden zum Zauberwort. Ob diese Idealisierung der Arbeitswelt tatsächlich Niederschlag findet, wird jeder Leser für sich selbst beurteilen können.
Es ist gut belegt, dass ein negativer Eindruck von interner Entgeltgerechtigkeit und Gehaltsgestaltung einen signifikanten negativen Effekt auf die Jobzufriedenheit hat. Fühlen sich Mitarbeiter mit einer undurchsichtigen, unfairen, inkonsistenten oder (unbewusst) diskriminierenden Gehaltspolitik konfrontiert, werden innere Kündigung, Fluktuation, Wissensverlust und Verlust der agilen Manövrierfähigkeit wahrscheinlicher.
Die kalte Logik des Gehaltsbands
Interessanterweise bringt die moderne, anforderungsbasierte Stellenbewertung in dedizierten Laufbahnen für Fach-, Führungs- und Projektlaufbahn ein höchst agiles Instrument zur Gehaltsgestaltung hervor. Interne Gehaltsbänder als klar definierter Vergütungsrahmen für ein Karrierelevel oder Grade lassen genug Spielraum für die individuelle Gestaltung einer gerechten Entlohnung.
Denn innerhalb der jeweiligen Bandbreite ist es möglich, Faktoren wie die Länge der Unternehmenszugehörigkeit, Leistungsunterschiede, dauerhafte Zusatzaufgaben oder graduelle Steigerungen der Verantwortung im Entgelt abzubilden. Bei klar definierten Grenzen gibt es im Idealfall ober- oder unterhalb des Bandes keine Ausreißer. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, dass kein Mitarbeiter derselben Stufe beim Entgelt systematisch bevorzugt oder benachteiligt wird.
Jedes Gehaltsband basiert auf dem abstrakten Anforderungsniveau der Stellen, dem Ergebnis der Stellenbewertung in der jeweiligen Organisation, also auf personenunabhängigen Kriterien, die auch dann bestehen bleiben, wenn sich Tagesaufgaben immer wieder ändern. Somit kann den Mitarbeitern anhand der Faktorbeschreibungen nachvollziehbar gezeigt werden, warum einer Stelle ein bestimmtes Gehaltsband zugeordnet ist.
Wollen Führungskraft oder Mitarbeiter die Lage im Gehaltsband nachverhandeln, kann mit klar definierten Stellen- und Kompetenzanforderungen argumentiert werden. Dies macht es auch für das Unternehmen leichter, die Gehaltsausgaben zu kalkulieren und Mitarbeiter wertschätzend und fair zu behandeln. Zudem lassen sich Einstellungen, Beförderungen, Laufbahnwechsel & Co. mit sauber definierten Von-bis-Angaben umsetzen – und das völlig unabhängig vom Unternehmensbereich bzw. den wahrgenommenen Aufgaben.
Zusammengefasst sind Gehaltsbänder also die unpersönlichste und mathematischste Form der Gehaltsgestaltung mit enormen menschlichen Effekten. Das macht sie so erfolgreich im praktischen Einsatz. Fluide Arbeitsstrukturen erhalten einen klar definierten, Bias-freien Vergütungsrahmen, in dem sich alle Mitarbeiter wiederfinden – gerade, weil mit der Stelle losgelöst von der Person argumentiert werden kann. Diskriminierungstendenzen in der Gehaltsgestaltung haben mit einem Gehaltsband auf Basis einer unternehmensweiten Stellenbewertung keinen Boden. In einem multidisziplinären Team wird jedes Mitglied strikt nach der besetzten Stelle und den zugehörigen fachlichen Anforderungen und Kompetenzen eingestuft, statt die gefühlte Dynamik und Besonderheit des Teams abzubilden. Die kalte Logik des Gehaltsbands bietet dem Mitarbeiter alles, was er auf finanzieller Ebene für die Jobzufriedenheit benötigt. Auch stellt diese Logik einen felsenfesten Anker im agilen Alltag dar. Wenn der Mensch eines braucht, dann das Gefühl von Sicherheit und Stabilität.
Philipp Schuch
Gründer und Geschäftsführer
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