Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 hat laut einer aktuellen Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zu einer deutlichen Verbesserung der Einkommenssituation vieler Berufstätiger und Haushalte geführt, vor allem in den unteren Einkommensgruppen. Der Effekt zeigt sich demnach insbesondere in den östlichen Bundesländern. So stiegen die individuellen Einkommen aus Löhnen der unteren 30 Prozent der Einkommensverteilung im Zeitraum von 2013 bis 2018 „im Osten um durchschnittlich gut 21 Prozent, im Westen um rund 12 Prozent“, so die Forscher um Dr. Toralf Pusch.
Grundlage der Untersuchung waren den Angaben zufolge Daten aus der alle fünf Jahre erhobenen sog. Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) der Jahre 2008, 2013 und 2018. Darin seien umfassende Angaben zur Einkommenssituation von rund 42.000 Haushalten in Deutschland berücksichtigt. Da laut WSI „aus der Befragungsrunde von 2023 noch keine Daten vorliegen“, könne die Studie „allerdings weder die Effekte der Mindestlohn-Erhöhung auf 12 Euro im Jahr 2022 einbeziehen noch den Effekt der aktuell nur schwachen Anpassungen“.
Als Grund für den stärkeren Anstieg der Verdienste in Ostdeutschland sieht das WSI vor allem darin, dass dort prozentual mehr Beschäftigte im Niedriglohnsektor tätig waren und sind. Zugleich beobachteten sie im Untersuchungszeitraum, dass die Zuwächse umso höher waren, je niedriger die Einkommen gewesen sind: „So stiegen beispielsweise die Lohneinkommen von ostdeutschen Beschäftigten mit einem Monatsverdienst von knapp 1.300 Euro bis 2018 preisbereinigt um durchschnittlich gut 31 Prozent“, heißt es in eine Mitteilung. Dieser deutliche Anstieg bei den Monatseinkommen entkräfte demnach „auch die Sorge mancher Mindestlohn-kritischer Fachleute, Arbeitgeber könnten nach Einführung der Lohnuntergrenze im Gegenzug die Stundenzahl von Beschäftigten im Mindestlohnbereich reduzieren“.
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Mindestlohn kein Job-Killer
In der Studie wurde zudem untersucht, ob die Einführung des Mindestlohns Auswirkungen auf die Struktur des Arbeitsmarkts gehabt hat – etwa den Verlust von Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor, mit der Folge, dass „die Betroffenen dadurch Einkommenseinbußen hinnehmen müssen“. Dazu hat das Team laut WSI die Einkommen aller erwerbsfähigen Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren analysiert und festgestellt, „dass es keine weitreichenden negativen Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung gab“. Man habe vielmehr „auch hier positive Effekte“ beobachtet, „insbesondere im unteren und mittleren Einkommensbereich“. Allerdings seien diese „nicht so stark ausgeprägt“ wie bei der gesonderten Betrachtung der abhängig Beschäftigten.
Insgesamt zieht Dr. Toralf Pusch für die Zeit von 2013 bis 2018 dennoch ein positives Fazit: „Der Mindestlohn hat wesentlich dazu beigetragen, Lohnungleichheiten in verschiedenen Regionen Deutschlands zu verringern“. Was die Zukunft angeht, so warnt die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, zugleich vor überzogenen Erwartungen: Die Wirkung des Mindestlohns sei „natürlich kein Selbstläufer. Wenn es nur Mini-Erhöhungen gibt, wie in diesem Jahr und für das kommende Jahr vorgesehen, schwächt das den positiven Effekt“, so Kohlrausch.
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Das komplette Dokument der Untersuchung „Einkommenseffekte des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland reichen bis in die Mitte der Verteilung“ lässt sich auf den Seiten des WSI herunterladen.
Dieser Artikel ist zuerst auf unserem Schwesterportal betriebsratspraxis24.de erschienen.
Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem verantwortlich weitere Projekte von Medienmarken der F.A.Z. Business Media GmbH.

