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Reisebüros ringen um Liquidität: Reiseveranstalter kommen ihren Vertriebspartnern bei Provisionen entgegen

Seit Ende Juni laufen in immer mehr Bundesländern die Schulferien an, und normalerweise befindet sich die ganze Republik im Urlaubsmodus – doch was ist in einer Pandemie schon normal? Leittragende der Urlaubssaison mit angezogener Handbremse ist die Tourismusbranche, darunter auch die stationären Reisebüros. Machten sie im Jahr 2005 mit 22 Milliarden Euro noch mehr Umsatz als die großen Reiseveranstalter (21,6 Milliarden Euro), hat sich das Blatt im Geschäft mit Urlaubsreisen längst zugunsten letzterer gewendet. Laut dem Deutschen Reiseverband (DRV) hängten die Reiseveranstalter die stationären Reisebüros allein bei den vor Reiseantritt gebuchten Leistungen für Urlaubs- und Privatreisen mit mindestens einer Übernachtung ab und verzeichneten 2018 einen Umsatz von 36 Milliarden Euro, während Reisebüros mit 26,9 Milliarden Euro auf dem Niveau der vergangenen Jahre stagnierten.

Knapp 95 Prozent der Reisebüros in Deutschland sind an einen Reiseveranstalter gebunden und betreiben systemgebundenen Vertrieb, das heißt, sie kooperieren im Verbund (54,1 Prozent), sind Franchisenehmer (20,8 Prozent) oder Teil einer Kette (19,4 Prozent). Lediglich knapp 6 Prozent der Reisebüros sind nicht gebunden. Ihr Geld verdienen Reisebüros über die Provisionen der Reiseveranstalter, die sich in der Regel innerhalb einer Spanne von 7 bis 12 Prozent des Verkaufspreises einer Reise bewegen. Davon gehen für den Vermittler noch Personal- und Mietkosten ab, so dass viele Reisebüros auf eine Gewinnmarge von lediglich rund 1 Prozent kommen. Zudem verlangen viele große Reiseveranstalter von den Vertriebspartnern einen Mindestumsatz pro Jahr. Aufstocken können die Vermittler die Gewinnspanne, indem sie Kunden zusätzlichen Service wie etwa Reisepakete mit Versicherungen extra in Rechnung stellen.

Unterschiede zeigten sich auch vor kurzem noch beim Zeitpunkt der Auszahlung einer Provision. Laut einer Umfrage von „touristik aktuell“ überweisen große Anbieter wie TUI und DER den Vermittlern die volle Provision jeweils unmittelbar nach der Buchung oder spätestens innerhalb von vier Wochen. Andere Veranstalter wie Alltours und Schauinsland-Reisen zahlten die Provision nach Angaben von „touristik aktuell“ bislang erst dann, wenn der Kunde abgereist ist, zum Teil sogar erst drei Wochen nach dem Antritt der Reise. Rechtlich bewegen sich diese Reiseveranstalter dabei in einem Graubereich, doch die Corona-Krise veranlasst manchen Veranstalter, die eigene Provisionspraxis zu überdenken. Schließlich sehen sich laut einer aktuellen Umfrage des ifo Instituts 85 Prozent der Reisebüros und der Reiseveranstalter in ihrer Existenz gefährdet. 

Marktführer TUI

Der Markt der Reiseveranstalter in Deutschland ist zersplittert, wobei TUI laut DRV 2018 mit einem Marktanteil von 17,8 Prozent bei Reisen innerhalb der D-A-CH-Region mit Abstand der größte Player ist, seitdem der bislang größte Wettbewerber Thomas Cook insolvent ist.

TUI fährt seit mehreren Jahren ein einheitliches Provisionsmodell für den Reisebürovertrieb und passt es von Jahr zu Jahr punktuell an. Das Modell sieht unterschiedliche Provisionssätze vor. Darunter sind:

  • Grundprovisionen,
  • Leistungsprovisionen,
  • sieben Partnerbindungsstufen,
  • Wachstums-Incentives,
  • TUI Value-Anteilsklassen; davon profitieren Vertriebspartner, die einen bestimmten Mindestanteil am Gesamtumsatz mit dem Vertrieb von Value-Produkten erzielen,
  • TUI Value Upgrade: Vertriebszuwächse bei bestimmten Produkten erhöhen den TUI Value Anteil,
  • die volle Leistungsprovision ab 97 Prozent zum Vorjahr, das heißt, die Vertriebspartner erhalten bei maximal 3 Prozent Umsatzrückgang die gesamte Leistungsprovision.

Häufig ist die Höhe der Provisionen auch an die Vorjahresergebnisse gekoppelt bzw. wirkt sich auf Konditionen im Folgejahr aus. Zudem belohnt der Handelsherr, also der Reiseveranstalter, Vertriebsumsätze der Reisebüros im Rahmen befristeter Produktaktionen zusätzlich.

Höhere Provisionen für kurzfristige Buchungen

Das Corona-Jahr 2020 und der Einbruch im Urlaubsgeschäft von März bis Juni veranlassen mehrere Reiseveranstalter, ihre Provisionen für die Vertriebspartner anzuheben. So erhöhte TUI laut einem Rundschreiben von Hubert Kluske, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der TUI Deutschland, und Peter Wittmann, Vertriebschef, die Vergütung der Vertriebspartner bei Neubuchungen auf bis zu 13 Prozent für Reisebuchungen im Zeitraum vom 1. Juni bis 31. Juli 2020 und für Abreisen bis 31. Oktober 2021.

Im Einzelnen verdienen Reisebüros 12 Prozent Provision für alle TUI-non-Value-Neubuchungen. Die Auszahlungen der Provisionen sollen sofort mit der monatlichen Provisionsabrechnung erfolgen, um den Reisebüros Liquidität zu verschaffen. 13 Prozent Provision zahlt der Hannoveraner Reisekonzern für Neubuchungen aller TUI Value- und Gebeco-Produkte. Diese Zahlungen erhalten die Reisebüros allerdings erst mit der Provisionsendabrechnung im Dezember 2020 bzw. im Dezember 2021.

TUI sagte den Reisebüros zudem die Leistungsprovision für das Vertriebsgeschäftsjahr 2019/2020 zu. Damit erhalten die Vertriebspartner mindestens den Provisionssatz gemäß der ersten Spalte der Leistungsprovisionstabelle, die mit „kleiner als 45 Prozent“ bezeichnet ist, entsprechend ihrer Partnerstufe. An dieser Stelle entfällt der Bezug zum Vorjahr, und kein Reisebüro soll auf die Grundprovision zurückgeworfen werden. Andere bislang gültige Sonderregelungen für Provisionsbausteine gelten weiterhin.

Mit der Zusage einer Mindestleistungsprovision stützt TUI die Vertriebspartner ein Stück weit in einer Zeit, in der diese wegen monatelanger Geschäftsausfälle um ihre Existenz bangen müssen. Auch jetzt, da der Tourismus im Inland und im europäischen Ausland langsam wieder anzieht, sind die Reisebüros mit einem hochvolatilen Markt und einer sich täglich verändernden Informationslage rund um Reisen und Pandemie konfrontiert. Die Folgen sind kurzfristige veränderte Reisepläne, Umbuchungen, Reiseabsagen und Stornierungen.

Hier erweist sich das Provisionsmodell von TUI als zweischneidiges Schwert: Der Konzern überweist die Provision sofort nach der Buchung, doch bei einer Stornierung muss ein Reisebüro die Provision komplett zurückzahlen. Andere Reiseveranstalter sind da nach einem Überblick von „touristik aktuell“ kulanter. Allerdings haben die Vertriebspartner von TUI bei Reisen, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden, bis mindestens Ende Oktober Zeit, bereits überwiesene Provisionen zu erstatten. Auch der Reiseveranstalter DER Touristik lässt sich laut „Handelsblatt“ bereits gezahlte Provisionen von Reisebüros vollständig zurückzahlen, wenn Reisen ausfallen.

Schnellere Zahlungen bei Schauinsland und Alltours

Auch andere Reiseveranstalter wie Schauinsland und Alltours kommen ihren Vertriebspartnern bei der Auszahlung der Provisionen entgegen, um die Reisebüros früher als bislang mit Liquidität zu versorgen. So entrichtet Schauinsland – laut dem DRV die Nummer 6 unter den deutschen Reiseveranstaltern nach Umsatz – vom 1. Juli dieses Jahres an die Provision an die Reisebüros nicht erst nach dem Reiseantritt durch den Kunden, sondern schon nach dem Eingang der Anzahlung. Davon sollen die Vertriebspartner bereits nach einer Buchung für den Sommer oder Herbst 2020 ihre Provision erhalten, nicht erst nach Reiseantritt. In der Vergangenheit hatte das Duisburger Unternehmen frühere Zahlungsfristen immer abgelehnt.

Am Provisionsmodell selbst ändert Schauinsland nichts. So erhalten die Vertriebspartner 10 Prozent Provision ab der ersten Buchung, eine Maximalprovision von 13 Prozent, eine Fixprovision von 10 Prozent für Nur-Flug-Buchungen und eine Staffelprovision.

Der Wettbewerber Alltours, der eine ähnliche Marktposition wie Schauinsland, gemessen am Umsatz, innehat, zog im Juni mit der Zusage direkter Provisionszahlungen nach Anzahlung durch den Kunden unmittelbar nach. Das Angebot erstreckt sich auf alle Neubuchungen in diesem Sommer sowie in der kommenden Wintersaison und ist auf die späteste Abreise am 25. März 2021 begrenzt. Es läuft Ende 2020 aus.

Alltours verbessert zudem die Konditionen für schon getätigte Buchungen bis Sommer 2021. Der Reiseveranstalter zahlt den Vertriebspartnern die Provisionen weiterhin erst nach der Abreise der Kunden, dafür aber im Wochen- und nicht wie bislang im Monatsrhythmus. Die Provision wird auf den Gesamtreisepreis entrichtet, wenn die Zahlung des Kunden eingegangen ist. Storniert ein Kunde eine Reise, verrechnet Alltours zu viel gezahlte Provision mit künftigen Provisionszahlungen. Ob diese Maßnahmen der Reiseveranstalter zusammen mit den Überbrückungshilfen der Bundesregierung ausreichen, damit ihre Vertriebspartner die Krise überleben, muss sich noch zeigen.

 Dr. Guido Birkner
Leitender Redakteur Human Resources
FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag
guido.birkner(*)frankfurt-bm(.)com
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