Arbeiten und darüber reden – WOL (Working Out Loud) ist das Selfie der Arbeitswelt. Gibt man das Private – von Selbstporträts bis zum Essen auf dem Teller – in Facebook oder Instagram preis, soll man seine täglichen Arbeitsfortschritte jetzt auch öffentlich machen und in WOL-Circles seinen Followern, ausgewählten Kollegen und auch Vorgesetzten, erzählen, woran man gerade arbeitet, welches Ziel man hat und wie weit man gekommen ist. Gephotoshoptes ist hier aber nicht so gefragt, beim WOLen darf es unperfekt sein. Denn es geht ja um Ideen, Kollaboration, das großzügige Teilen von Wissen, gegenseitige altruistische Hilfe, ums Weiterkommen – alle für einen, einer für alle. Außerdem heißt es: weg mit dem Silodenken, rein in die abteilungs- und hierarchieübergreifende Vernetzung.
Wenn wir nur WOLen, wird alles besser, unser Leben und die Karriere. Sagt John Stepper, der die Methode seit 2015 verbreitet und zunächst eher an das Individuum als an die Organisation dachte. Der Begriff selbst wurde 2010 bereits von Bryce Williams erwähnt und definiert als „Working Out Loud = Observable Work + Narrating Your Work“. Stepper hat als WOL-Berater und -Autor vor allem deutsche Unternehmen überzeugt, weshalb der Mann die Deutschen verständlicherweise liebt. Dass man dem Ansatz hierzulande so WOLlüstig frönt, unterstützt durch eine Reihe WOLmeinender weiterer Berater, liegt sicher daran, dass viele Deutsche sich gern an Vorgaben halten. Und die gibt es, jedenfalls als Empfehlung: fünf Teilnehmer, ein Circle, zwölf Wochen Dauer, eine Stunde circeln pro Woche, on- oder offline. Das klappt in der Praxis natürlich am besten außerhalb der Arbeitszeit. Und dann soll man noch Tagebuch über seine Tätigkeiten führen und dies in Microblogs wie Yammer oder anderen sozialen Unternehmensnetzwerken hübsch konsumierbar für seine MitWOLer aufbereiten. Und nebenbei die Posts der anderen lesen, sich einbringen. Da hat man viel zu tun. Und, ganz ehrlich, wen interessiert es wirklich immer, an welcher Folie der Kollege gerade bastelt, und möchte man tatsächlich lauter unvollständige Ergebnisse sehen? Als Vorgesetzter hat man allerdings den Vorteil, immer Bescheid zu wissen, auch wenn WOL ja als Gegenpol zur Kontrolle dargestellt wird.
Dass Arbeit beobachtbarer wird, kann den Druck erhöhen und bei manchen Mitarbeitern den Kreativitätsprozess stören, denn jeder arbeitet anders und in unterschiedlichem Tempo. Außerdem sind unfertige Resultate oder unausgereifte Ideen angreifbar. Doch das ist geWOLt und soll nebenbei bestimmt die Resilienz trainieren. Extrovertierte WOCL-Typen (Working On Corridor Loud) fühlen sich mit lautem Arbeiten sicher wohler als WQTM-Typen (Working Quietly To Myself), wie ich die zwei Gruppen mal nenne. Oder die Lauten werden still, weil sie nicht nur „drüber reden“, sondern auch Fortschritte vorweisen müssen? Manche werden WOL nur nutzen, um die eigene Karriere voranzubringen, indem sie sich genau die Mitspieler aussuchen, die ihnen behilflich sein können. Das widerspricht allerdings den hehren WOL-Prinzipien der altruistischen Kollaboration.
Vom Ansatz her ist WOL schon eine feine Sache, auch wenn die Unternehmensstruktur dadurch nicht geändert wird, wie Kritiker anmerken. Aber Onkel Heinz aus Dortmund hätte kommentiert: Wolln ma so saagen, wirklich neu ist das nicht, woll. Es hat nur Regeln und einen Namen bekommen. Einige Unternehmen haben auch vorher schon auf Netzwerken und Wissensmanagement gesetzt, ohne großen Wind darum zu machen. Apropos großer Wind: Wagt man sich als WOLer zu weit vor, kann der Schuss bestimmt auch mal nach hinten losgehen. So wie bei den Selfie-Knipsern, die ab und zu von Felsen fallen.