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Arbeiten Isländer bald nur noch vier Tage in der Woche?

Husavik, Island
Weniger Arbeit, bessere Work-Life-Balance: Das freut vermutlich wohl auch die Bewohner des isländischen Städtchens Husavik. (Foto: JFL Photography – stock.adobe.com)

Zwei groß angelegte Studien zur Arbeitszeitreduzierung in Island haben in der vergangenen Woche für Aufsehen gesorgt. In zahlreichen Artikeln auf Newsseiten und in Zeitungen war von einer erfolgreichen Erprobung der Vier-Tage-Woche die Rede. Aber was bedeuten die Ergebnisse wirklich? Wir haben uns die Studienberichte angeschaut und beantworten die wichtigsten Fragen.

Worum ging es in den Studien?

Der Bericht behandelt insgesamt zwei Langzeitstudien in Island, eine davon in der Hauptstadt Reykjavik, wo zwischen 2014 und 2019 zahlreiche Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ihre Arbeitszeit verkürzten. Eine zweite, diesmal landesweite, Studie begann 2017 unter der Ägide der isländischen Regierung. Hier konnten sich unterschiedliche staatliche Arbeitgeber für eine Teilnahme bewerben. Beide Studien wuchsen mit der Zeit und umfassten am Ende über 2500 Teilnehmer – rund 1 Prozent der arbeitenden Bevölkerung.

Und die haben alle nur noch vier Tage in der Woche gearbeitet?

Nein. Die meisten verkürzten bei vollem Lohnausgleich auf 35 bis 36 Stunden, rechnerisch also eine Viereinhalb-Tage-Woche mit zum Beispiel vier normalen und einem verkürzten Tag. Überstunden sind dabei nicht eingerechnet, und von denen machen die Isländerinnen und Isländer überdurchschnittlich viele. Wobei die Zahl der Überstunden nach der Reduzierung nicht anstieg, wie viele vorher vermutet hatten.

Was ergaben die Studien außerdem?

Wenig überraschend verbesserte sich die Work-Life-Balance der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer, denn schließlich hatten sie auf einmal mehr Zeit für Hobbys, Familie und Entspannung. Gleichzeitig stieg aber in den meisten Fällen die Produktivität beziehungsweise das Servicelevel oder blieb zumindest gleich. Das hatten zwar andere Studien auch schon gezeigt, aber wohl noch nie in diesem Maßstab.

Waren die Ergebnisse in allen Arbeitsbereichen gleich?

Natürlich nicht. Polizistinnen und Polizisten, deren Arbeitszeiten verkürzt wurden, machten andere Erfahrungen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa im Jugendamt oder im staatliche Registeramt. Allerdings gab es in keinem Fall Hinweise darauf, dass die Leistung der Institution durch die Verkürzung sank – von einer Umstellungszeit am Anfang einmal abgesehen.

Wie veränderte sich die Arbeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?

Abläufe mussten angepasst werden, damit die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit erledigt werden konnte. Zudem mussten Anpassungen im Ablauf verschiedener Prozesse vorgenommen werden. Meetings wurden beispielweise verkürzt oder gleich ganz gestrichen.

Wie geht es weiter?

Schon vor den Schlagzeilen in Deutschland hatten die Ergebnisse einschneidende Effekte in Island selbst. Denn alle großen Gewerkschaften haben für ihre Beschäftigten in den vergangenen Jahren Vereinbarungen ausgehandelt, durch die zumindest die Möglichkeit zu einer Verkürzung der Arbeitszeit besteht. Je nach Branche und Job auf 36 Stunden oder sogar auf 32. So bekommen Krankenschwestern und -pfleger laut dem Bericht in Zukunft 100 Prozent des Gehalts für 80 Prozent der bisherigen Arbeitszeit – also für eine Viertagewoche.

Und was heißt das für Deutschland?

Darüber lässt sich nur spekulieren. Wohl nicht alle Erfahrungen aus Island sind auf Deutschland übertragbar. Vor allem arbeiten deutsche Arbeitnehmer im Schnitt ohnehin schon mehrere Stunden weniger als ihre isländischen Kollegen. Zudem dürften sich zahlreiche Arbeitgeber gegen eine allgemeine Reduzierung der Arbeitszeit wehren – auch wenn im In- und Ausland mit mehr Flexibilität und weniger Arbeitszeit experimentiert wird.

Der vollständige Bericht lässt sich hier herunterladen.

Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit dem Berufsbild HR und Karrieren in der Personalabteilung sowie mit Personalberatungen. Auch zu Vergütungsthemen schreibt und recherchiert er.