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1996: Die Krise des betrieblichen Personalwesens 

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„Den Personalabteilungen mangelt es heute an Akzeptanz und Glaubwürdigkeit“, schreibt Franz Langecker, der damalige Chefredakteur der Personalwirtschaft, zum Jahresauftakt 1996 in seinem Editorial. Vielmehr seien Personalabteilungen zum Spielball der Geschäftsführung geworden. Von der Konjunktur, die HR in den Jahren nach dem Mauerfall erlebte, sei nichts mehr übrig. Die vielversprechenden Personalplanungs- und Entwicklungskonzepte, die in dieser Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs ausgearbeitet wurden, wurden im Zuge von Entlassungswellen in Schubladen verstaut. Eine Folge ist laut Langecker, dass Personalerinnen und Personaler in den Vertrieb und das Marketing drängen. HR steckt in der Krise. Langecker skizziert zwei mögliche Szenarien. Szenario Eins sieht eine Reorganisation vor. Szenario Zwei, die Auflösung der Personalabteilungen in Unternehmen.  

Eine Reorganisation sieht laut dem Chefredakteur eine stärkere strategische Ausrichtung der Personalarbeit vor. Ziel sei es, Kapazitäten dadurch zu schaffen, dass Prozesse wie die Entgeltabrechnung outgesourct werden. Ein altbekanntes Konzept, auf das Personalerinnen und Personaler heute auch noch gerne zurückgreifen, wenn sie mehr Flexibilität brauchen. Die Personalarbeit wird dezentralisiert und in einzelne spezialisierte Bereiche aufgeteilt. An der Spitze steht die Personalchefin oder der Personalchef, bei der beziehungsweise bei dem die Fäden zusammenlaufen.  

Szenario zwei sieht vor, dass die noch internen Bereiche wie die Abrechnung etwa an das Controlling abgegeben werden. HR-Bereiche, die nicht im Unternehmen abgebildet werden können, werden outgesourct. Die HR-Verantwortung liegt nicht mehr bei einer Personalchefin beziehungsweise bei einem Personalchef. Schon damals weist die Personalwirtschaft hierbei auf einen Aspekt hin, der heute wichtiger zu sein scheint denn je: Softskills und Sozialkompetenzen sind Stärken von HR, die die Unternehmenskultur prägen und den Kit ausmachen, der das Unternehmen und die Fachabteilungen zusammenhält. Kein Unternehmen kann darauf verzichten. Es liege an HR, die eigene Bedeutung herauszustellen und sich im Unternehmen bemerkbar zu machen. Der Kunde, also die Belegschaft, müsse in den Mittelpunkt gestellt werden. Und damit auch die Ängste der Kunden.  

Führt der Computereinsatz zu Massenarbeitslosigkeit?

Denn im Jahr 1996 diskutiert die Gesellschaft genau wie heute über die Folgen einer technischen Revolution. Der KI-Einsatz von heute ist damals der zunehmende Einsatz von Computern im Arbeitsalltag, der von vielen Beschäftigten als große Gefahr angesehen wird der – ähnlich wie KI heute – unternehmensseitig mit effizienterem Arbeiten in Verbindung gebracht wird. 1996 äußert der US-amerikanische Journalist und Wirtschaftskritiker Jeremy Rifkin seine Vermutung im Interview mit Langecker: Der Einsatz von Computern wird zur Massenarbeitslosigkeit führen, Linderung verspricht der „Dritte Sektor“ – also Stiftungen, Verbände und die Wissenschaft – in denen mehr Menschen arbeiten können. Rifkins Befürchtungen treten in den folgenden Jahren nicht ein, statt Massenarbeitslosigkeit herrscht vielerorts ein Mangel an Arbeitskräften. Und doch hört man heute nicht selten die gleichen Ängste, geht es um das Thema Künstliche Intelligenz. 

Computereinsatz in der Personalentwicklung

Jeder Technikeinsatz hat auch seine Grenzen. Darüber schreibt im Juni 1996 unsere geschätzte Kollegin Ute Wolter – die als freie Autorin immer noch für uns tätig ist – die Grenzen des Computereinsatzes bei Verhaltenstrainings aufzeigt. Sie greift in ihrem Beitrag auf ein Szenario zurück: Eine dezentral organisierte Firma möchte die Mitarbeitenden schulen. Eigentlich müsste sie nun die zu schulenden Beschäftigten an einem zentralen Ort versammeln und eine teure Trainerin beziehungsweise einen teuren Trainer anheuern, um die Personen tagelang vor Ort zu schulen. Der Computer scheint nun eine effizientere Alternative zu bieten und schafft dazu noch die annähernd gleichen Lernvoraussetzungen. Die Lösung seien multimediale Lernprogramme, in denen – eigentlich genauso wie bei E-Learning-Systemen heute – per PC Grundlagen beigebracht und Wissen aufgefrischt wird.

Flankiert wird das digitale Lernen am besten durch Workshops und Coachings, in denen das Gelernte angewandt wird und direktes Feedback erfolgt. Die Workshops und Coachings müssen jedoch von Menschen umgesetzt werden; Computer können das nicht leisten. Es ist erstaunlich, dass Lernen damals und heute noch nach den gleichen Grundsätzen funktioniert. Auch heute empfehlen Expertinnen und Experten die von Ute Wolter beschriebene Mischung aus digitalem Lernen, das Hand in Hand mit Präsenztrainings und Reflexionsrunden geht, um das Gelernte zu vertiefen. Zwar gibt es heute KI-Lösungen, die dem Anspruch, coachen zu können, ebenfalls gerecht werden wollen. Diese funktionieren allerdings noch nicht einwandfrei und müssen noch weiterentwickelt werden. Ohne Menschen lernt es sich nach wie vor nur halb zu gut. 

Der Einsatz von Computern und von weiteren Technologien im Arbeitsalltag verändert diesen. Doch es menschelt noch immer in allen Bereichen der Arbeitswelt. Das illustrieren auch Franz Langeckers Worte im Editorial zum Jahresauftakt 1996. Er schreibt, was auch heute viele Expertinnen und Experten in Bezug auf den Einsatz von KI sagen: Der Mensch wird nicht in Vergessenheit geraten, er kann sich nur auf Innovationen konzentrieren, wenn lästige Routineaufgaben von intelligenten Maschinen übernommen werden. 

Stellenanzeige des Jahres: Die Personalwirtschaft sucht einen neuen Chefredakteur 

In der Mai-Ausgabe der Personalwirtschaft findet sich eine Anzeige in eigener Sache. Der Luchterhand Verlag sucht für den Standort Kriftel bei Frankfurt einen neuen Chefredakteur. Und zwar „für unser seit über 20 Jahren im Markt erfolgreiche Fachzeitschrift ‚Personalwirtschaft – erfolgreiches Personalmanagement“, wie es in der Anzeige heißt. Rainer Straub – der heutige Herausgeber des „Personalmagazins“ – bewirbt sich und wird neuer Chefredakteur. Sein erstes Editorial mit der Überschrift „Liebe Deine Leser wie Dich selbst“ eröffnet die September-Ausgabe 1996.  

Die Personalwirtschaft inseriert in eigener Sache (Foto: Personalwirtschaft)

Öko-Tipp des Jahres: Kleidung gegen den Klimawandel 

Was hat eigentlich eine Krawatte mit dem Weltklima zu tun? Die Antwort darauf lieferte im Juni 1996 eine Studie der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“ in Washington, die im Editorial aufgegriffen wird. Franz Langecker schildert eindrucksvoll, was die Studienersteller herausgefunden haben: Tragen Angestellten an heißen Tagen Schlips und Jackett, dann müssen Unternehmen durchschnittlich 1.860 Dollar mehr für Strom ausgeben. Denn die Klimaanlage muss die Räume mehr kühlen, was gleichzeitig mehr Emissionen verursacht und die Luftqualität verschlechtert. Die Lehren, die Ex-Personalwirtschaft-Chefredakteur Franz Langecker daraus zieht, gelten damals wie heute. Legerere Bürokleidung senkt die Kosten in Büroräumen und senkt den Schadstoffausstoß. Vielleicht ist das ein Argument für Unternehmen, die noch am Anzug festhalten, über eine Lockerung der Regelung nachzudenken. 

Tim Stakenborg war bis Sommer 2024 Redakteur bei der Personalwirtschaft.