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IAB-Studie: Reicht die Zuwanderung von Fachkräften?

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Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liefert eine klare Botschaft: Ohne ausländische Arbeitskräfte wäre der Fachkräftemangel der vergangenen Jahre noch größer ausgefallen, als er ohnehin war. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland seit 2015 um 4,1 Millionen gestiegen, fast 40 Prozent dieses Zuwachses entfallen dabei auf Beschäftigte mit ausländischer Staatsangehörigkeit.

Dadurch ist der Anteil ausländischer Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung kontinuierlich gestiegen – von 9,4 Prozent im Jahr 2013 auf rund 16,1 Prozent im Jahr 2024. Während in Metropolregionen Zuwanderung traditionell eine große Rolle spielt, zeigen die IAB-Zahlen, dass gerade ländliche Regionen – insbesondere in Ostdeutschland – mittlerweile stark auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind. Dort kompensieren sie den demografisch bedingten Rückgang der einheimischen Erwerbsbevölkerung besonders stark.

Auch Ostdeutschland stark auf Zuwanderung angewiesen

Ein weiterer zentraler Befund: Der Zuwachs von über 600.000 Beschäftigten auf Fachkraftniveau zwischen 2015 und 2024 ging laut IAB nahezu vollständig auf Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zurück. Ohne diese Gruppe wäre die Gesamtbeschäftigung in diesem Bereich sogar rückläufig.

Ähnlich deutlich fällt das Bild bei den Helfertätigkeiten aus. Dort betrug das Plus gut eine Million Beschäftigte – fast ausschließlich ausländische Arbeitskräfte. Lediglich in den Spezialisten- und Expertentätigkeiten konnten auch deutsche Beschäftigte überdurchschnittlich zulegen. Die Bedeutung der Zuwanderung zeigt sich somit über alle Qualifikationsniveaus hinweg – mit einer besonders starken Hebelwirkung auf den unteren und mittleren Stufen.

Koalitionsvertrag: Steuerung durch Qualifikation

Im Zusammenhang mit den Erkenntnissen lohnt sich der Abgleich mit dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Auch dort wird betont, dass Deutschland im Hinblick auf den demografischen Wandel und die Sicherung des Wohlstands auf Zuwanderung angewiesen ist. Die Bundesregierung plant unter anderem die Einrichtung einer zentralen digitalen „Work-and-stay-Agentur“, die als Schaltstelle für Einreise, Anerkennung von Qualifikationen und Arbeitsaufnahme fungieren soll. Ziel ist eine effizientere Steuerung der Fachkräftezuwanderung und die Entbürokratisierung bestehender Verfahren.

Der Fokus liegt allerdings klar auf qualifizierten Fachkräften: Menschen mit Berufs- oder Studienabschluss, möglichst in sogenannten Engpassberufen. Diese Zielgruppe soll durch vereinfachte Einreisebestimmungen, beschleunigte Anerkennungsverfahren und ein gezielteres Matching unterstützt werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Ausbau von Bildungs- und Ausbildungspartnerschaften mit Drittstaaten. Gleichzeitig soll das sogenannte Chancenaufenthaltsrecht weiterentwickelt werden, um Personen, die sich bereits in Deutschland aufhalten, bessere Perspektiven zu eröffnen.

Auffällig ist jedoch, dass der Vertrag kaum über dieses Qualifikationsparadigma hinausblickt. Der Begriff „Helferberufe“ taucht gar nicht auf. Eine explizite Strategie zur Anwerbung von Personen für geringqualifizierte Tätigkeiten fehlt vollständig – ebenso wie Regelungen zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration in genau jenen Bereichen, die der IAB-Bericht als besonders zukunftskritisch identifiziert.

Auch bei der Steuerung der Migration über humanitäre Kanäle bleibt der Kurs eher restriktiv. Zwar sollen Arbeitsverbote für Geflüchtete verkürzt werden – von bisher bis zu neun Monaten auf drei Monate – allerdings mit Ausnahmen für Personen aus sicheren Herkunftsländern, sogenannte Dublin-Fälle oder bei „offenkundigem Missbrauch“. Die sogenannte Westbalkan-Regelung soll zwar fortgeführt, aber auf 25.000 Personen jährlich begrenzt werden. Die Regelung ermöglicht es Staatsangehörigen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien, auch ohne formalen Berufsabschluss zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland zu kommen – vorausgesetzt, sie haben ein konkretes Jobangebot und durchlaufen ein reguläres Visumsverfahren. Die Regelung wurde ursprünglich 2016 eingeführt und mehrfach verlängert.

Kritik am Koalitionsvertrag

Die Pläne der Bundesregierung werden in der HR-Community mit gemischten Gefühlen gesehen. So kritisiert Diversity- und Antidiskriminierungs-Experte Andreas Merx in einem Linkedin-Post, dass die bürgerlichen Parteien Zuwanderer mit ihrer Politik eher „herabwürdigen“ und de facto zu „Staatsbürgern zweiter Wahl“ machen würden, vor allem jene, die nicht als hochqualifizierte Fachkräfte ins Land kommen. Dabei sei mehr Offenheit in Sachen Zuwanderer dringender denn je: „Deutschland hat insgesamt schon immer stark von Migration und Integration profitiert. Und wird zukünftig aus demografischen Gründen mehr denn je auf internationale Arbeits- und Fachkräfte angewiesen sein“, so Merx. Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) sieht die Pläne der Koalition ebenfalls kritisch, auch wenn der Verband dies nicht ganz so harsch formuliert wie Merx. So sei zum Beispiel die Idee der Work-and-stay-Agentur „zu kurz gesprungen. Das geht schneller, leichter, effizienter“. Zentrale Forderungen des AGVP: „Anerkennung verbindlich beschleunigen, funktionierende Regelungen beibehalten und ausbauen, Vertrauen in qualitätsgesicherte Rekrutierung stärken!“

Enzo Weber, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Uni Regensburg, bewertet den Koalitionsvertrag – insbesondere die Pläne bei der Zuwanderung von hochqualifizierten Absolventen – dagegen positiv. „Viele zugewanderte Absolventen sprechen Deutsch, sind integriert, sie haben sich schon einmal für Deutschland entschieden, verfügen über einen hochqualifizierten deutschen Abschluss und sind überdurchschnittlich im MINT-Bereich tätig. Tolle Fachkräfte auf dem Silbertablett!“, kommentiert Weber.

Auch Axel Plünnecke, Leiter Cluster Bildung, Innovation, Migration beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht eher milde mit SPD und CDU/CSU ins Gericht. „Der Koalitionsvertrag ist sicher nicht perfekt. Er ist ein Kompromiss, aber er enthält in den Bereichen Bildung, Innovation und Migration, die ich im Rahmen meiner Arbeitsschwerpunkte einschätzen kann, auch viele gute Punkte“, schreibt Plünnecke.

Zwei Blickwinkel, ein Bedarf

Für HR-Verantwortliche ergibt sich eine doppelte Herausforderung. Einerseits gilt es, neue gesetzliche Regelungen, etwa rund um die Work-and-stay-Agentur, im Blick zu behalten. Andererseits bleibt der alltägliche Personalbedarf in vielen Branchen unverändert hoch – gerade bei weniger formal qualifizierten Tätigkeiten. Wer dort rekrutieren möchte, ist weiter auf pragmatische Lösungen angewiesen.

Das betrifft nicht nur Recruitingprozesse im Ausland oder Sprachförderung, sondern auch innerbetriebliche Integrationsmaßnahmen. Viele Unternehmen sind längst dazu übergegangen, Schulung, Arbeitsschutz und Einarbeitung sprachlich und methodisch anzupassen. In manchen Branchen ist ein gewisser Anteil an nicht-deutschsprachigen Mitarbeitenden betrieblicher Alltag geworden – mit allen Chancen und Herausforderungen.

Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.