Will der Arbeitgeber eine arbeitsvertragliche Leistung kürzen, darf er ein bloßes Schweigen des betroffenen Mitarbeiters nicht als Zustimmung zur Vertragsänderung werten. Dies zeigt ein Urteil aus Mecklenburg-Vorpommern.
Ändert ein Arbeitgeber den Arbeitsvertrag im Bereich der Hauptleistungspflichten, kann er nicht davon ausgehen, dass ein Schweigen des betroffenen Mitarbeiters ein Ja zur Vertragsänderung bedeutet. Das folgt aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 02.04.2019, Az. 5 Sa 221/18).
Abrechnung mit vermindertem Entgelt
Zum vorliegenden Fall: Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses kam es im August 2017 zu einem gerichtlichen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Arbeitgeber dazu, den Arbeitnehmer bis zum 30.09.2017 unter Fortzahlung der Bezüge unwiderruflich von der Arbeit freizustellen, das Arbeitsverhältnis bis zum Beendigungstermin ordnungsgemäß abzurechnen und die sich ergebenden Nettobeträge auszubezahlen. Außerdem einigten sich die Vertragsparteien darauf, dass mit der Freistellung sämtliche noch bestehenden Resturlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 abgegolten sind.
Im Anschluss rechnete der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis für die Monate März bis September 2017 ab – allerdings nicht mit dem zuletzt gezahlten Stundenlohn in Höhe von 13,71 EUR, sondern mit einem verminderten Stundenlohn von 12,89 EUR. Der Arbeitgeber war der Ansicht, die Lohnkürzung beruhe auf einer Vereinbarung. Dem Mitarbeiter sei im Beisein des Serviceleiters mitgeteilt worden, dass der zukünftige Stundenlohn 12,89 EUR betrage, weil er nicht mehr als Servicetechniker tätig gewesen sei. Hiergegen habe der Mitarbeiter keine Einwände erhoben. Außerdem zahlte der Arbeitgeber für 2017 das Urlaubsgeld, das in dem Unternehmen üblicherweise im Juni ausgezahlt wurde, nicht an den Mitarbeiter aus. Er begründete dies damit, dass der Arbeitnehmer im Juni 2017 keinen Urlaub genommen habe. Darüber hinaus behielt der Arbeitgeber vom Nettogehalt des Beschäftigten 128,70 EUR ein.
Urteil zugunsten des Arbeitnehmers
Die Klage des Arbeitnehmers war vor dem LAG Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich, welches das Urteil der Vorinstanz bestätigte. Das LAG sprach dem Arbeitnehmer die Lohndifferenz zu, die sich durch das verminderte Entgelt von März bis September 2017 ergab. Das Gericht stellte klar, dass Schweigen im Rechtsverkehr grundsätzlich keine Willenserklärung sei. Insofern war die Tatsache, dass der Mitarbeiter keine Einwände gegen den für ihn nachteiligen Änderungsvorschlag des Arbeitgebers erhoben hatte, nicht als Zustimmung zu werten.
Das LAG sprach dem Arbeitnehmer auch die Zahlung des Urlaubsgeldes zu. Der Anspruch auf Urlaubsgeld ist nicht automatisch ausgeschlossen, wenn im Fälligkeitszeitraum kein Urlaub genommen wird. Eine arbeitsvertragliche Regelung, wonach das Urlaubsgeld an die tatsächliche Gewährung des Urlaubs gekoppelt wird, gab es im vorliegenden Fall nicht. Das LAG billigte dem Arbeitnehmer darüber hinaus einen Anspruch auf das vom Arbeitgeber einbehaltene Nettoentgelt zu.
Fazit: Möchte ein Arbeitgeber den Arbeitsvertrag – wie im vorliegenden Fall – zuungunsten des Beschäftigten ändern, darf er es nicht als Zustimmung werten, wenn dieser keine Einwände dagegen äußert. Denn ein Schweigen stellt im Rechtsverkehr üblicherweise keine Willenserklärung dar.