Wir können immer mehr. Mehr tun, mehr wissen, mehr leisten und erfolgreicher sein. Und diese Freiheiten und Wahlmöglichkeiten haben auch viele Vorteile. Was allerdings auch passiert, ist, dass wir uns häufig schlecht fühlen, wenn wir sie nicht alle wahrnehmen. Das permanente Abgleichen und Vergleichen mit anderen – einfach gemacht durch Social Media – ist der perfekte Katalysator für dieses Phänomen. Sich bewusst einzuschränken, scheint uns oft absurd. Für nicht wenige von uns führt das zur psychischen Überlastung: „Mir ist das alles einfach zu viel!” Die Reaktionen auf die Überlastung können unterschiedlich ausfallen:
- nach einem kurzen „Anfall” wird das ganze wieder heruntergespielt
- schnelle Ablenkung hilft, das ungute Gefühl wegzumachen
- auf das Überforderungsgefühl folgt Überengagement, um alles wieder unter Kontrolle zu bringen
- oder wir fühlen uns wie paralysiert, unfähig etwas zu tun oder eine Entscheidung zu treffen
Eine anhaltende Überlastung wirkt sich auf die Psyche aus. Sie führt in der Regel zu Selbstzweifeln, Zukunfts- oder Versagensängsten und kann sogar in einer Depression enden.
Was steckt hinter dem „Zuviel”?
Sich überfordert zu fühlen, kann verschiedene Ursachen haben. Zu viele Aufgaben, Leistungsdruck und Perfektionismus, mentale Probleme, mangelndes Selbstbewusstsein oder eine Kombination aus verschiedenen Faktoren.
Überforderung führt zu Stress. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen positivem Stress (Eustress) und negativem Stress (Distress). Eustress kann uns motivieren. Negativer Stress führt zur Überforderung. Ob wir den Stress, der durch das „Zuviel ” ausgelöst wird, als negativ empfinden, hängt von verschiedenen Faktoren ab und ist individuell. Jeder Mensch hat ein anderes „Zuviel”. Allen gemein ist, dass wir das Gefühl haben, dass die Anforderungen unsere aktuellen Ressourcen übersteigen und wir die Situation als negativ bewerten.
Info
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Wenn aus viel zu viel wird
Einzelne Phasen, in denen wir viel zu tun haben – egal ob privat oder beruflich – sind kein Problem. Hält der Stress aber über einen längeren Zeitraum an, befindet sich unser Körper in anhaltender Alarmreaktion und unsere Psyche in fortlaufender innerer Anspannung.
Bekommt unser Körper keine Erholungsphasen, kommt es zu Schlafproblemen, die Funktionsfähigkeit des Immunsystems wird schlechter und unser Risiko für Herzerkrankungen steigt. Mit Blick auf unsere Psyche merken wir, dass unsere Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sinken, wir gereizter sind und Schwierigkeiten haben, Entscheidungen zu treffen. Ständige Anspannung lässt keine echte Entspannung mehr zu. Das kann im Verlauf auch zu psychischen Krankheiten wie Burnout, Depression und Angststörungen führen.
Wie können wir mit dem Zuviel umgehen?
Um nicht in einem Dauerzustand aus negativem Stress zu enden, müssen wir unseren persönlichen Sweet Spot finden, in dem wir uns aktiviert, aber nicht überfordert fühlen. Oft verlieren wir uns im „Zuviel” und überfordern uns selbst, weil wir etwas kompensieren und uns anderen oder uns selbst beweisen wollen.
Wir müssen lernen, dass unser Wert als Mensch nicht von all dem abhängt, was wir tun und leisten, sondern wir an sich wertvoll sind. Unsere Werte und Prinzipien können uns dabei helfen zu verstehen, welche Aufgaben und Angebote wir annehmen und welche wir ablehnen wollen.
Wie konkret kommen wir aber zu dem Punkt, an dem wir unsere Aufgaben und Möglichkeiten neu bewerten und auf der positiven Seite des Stressspektrums bleiben können? Die folgenden sieben Maßnahmen können helfen:
- Bestandsaufnahme machen: Zu erkennen, was man gerade (aus subjektiver Sicht) leisten, tun oder entscheiden muss, hilft dabei, die Situation besser zu verstehen und zu objektivieren.
- Die aktuelle Situation reflektieren: Um den Ist-Zustand und die eigene Rolle darin zu betrachten, können folgende Fragen helfen: Was brauche ich gerade? Warum lade ich mir so viel auf? Was sind meine eigenen Ansprüche an mich selbst? Welche Ansprüche haben andere an mich und wie sicher bin ich mir, dass diese real sind? Was kann ich reduzieren?
- Eigene Werte, Prinzipien und Prioritäten verstehen: Um der Überforderung entgegenzutreten, sollte man sich darüber klar werden, was man selbst will und braucht. Werte, Prinzipien und Prioritäten dienen uns als unsere persönlichen Nordsterne, an denen wir unsere Entscheidungen ausrichten und beurteilen können, was wir an- und ablehnen sollten.
- Selbstwert und -bewusstsein trainieren: Selbstbewusstsein heißt, zu verstehen, wer man ist und was man wert ist. Zeit mit sich selbst zu verbringen, sich über die eigenen Gedanken bewusst zu werden und zu reflektieren, ob diese hilfreich sind und der Realität entsprechen, kann dabei helfen, dieses zu entwickeln. Im nächsten Schritt kann man den Selbstwert stärken, indem man
- sich die eigenen Stärken bewusst macht
- Ressourcen aktiviert und sich die Frage stellt, welche Menschen, Orte, Aktivitäten oder Erinnerungen einem Kraft spenden
- gut für sich selbst sorgt, zum Beispiel mit guter Ernährung, Aktivitäten, die einem Spaß machen oder positiven Affirmationen
- und lernt, zu akzeptieren, was man nicht ändern kann.
- Handlungsspielraum erfassen: Zu verstehen, wo man locker lassen, nein sagen und Aufgaben ablehnen kann, ist ein wichtiger Schritt, um aus der Überforderung herauszukommen.
- Lernen, Grenzen zu setzen: Ein Nein zu anderen ist in der Regel ein Ja zu uns selbst. Daher ist es, egal ob bei der Arbeit, in der Familie oder im Freundeskreis, wichtig, Grenzen zu setzen. Darüber hinaus kann es helfen, sich von Situationen und Mitmenschen abzugrenzen. Die Dringlichkeit einer Aufgabe Ihres Kollegen beispielsweise, muss nicht immer zu Ihrem Notfall werden.
- Nach Hilfe fragen: Oft muss man mit dem zu viel nicht allein klarkommen, sondern kann nach Hilfe fragen. Beispielsweise den oder die Chefin nach weniger Aufgaben oder zusätzlichen Kapazitäten oder gute Freunde und Freundinnen um ein offenes Ohr oder eine Einschätzung bitten.
Unsere heutige (Arbeits-)Welt mit ihren zahlreichen Möglichkeiten und Freiheiten kann uns überfordern und zu psychischer Belastung führen. Um mit dem „Zuviel“ umzugehen, ist es wichtig, sich die eigenen Werte und Prioritäten klarzumachen. Gemeinsam mit ausreichend Reflexion kann uns das helfen, unser Leben sinnvoll zu beschränken, sodass wir weniger überfordert und gestresst sind.
