98 Stunden pro Woche arbeiten. Täglich bleiben fünf Stunden zum Schlafen, ins Bett legen funktioniert meist erst gegen 3 Uhr morgens. Zum Essen und Duschen bleibt kaum Zeit geschweige denn für ein Privatleben. So sahder Alltag im ersten Berufsjahr von 13 Analysten der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs aus. Weil sie unter dem Arbeitspensum und -Druck litten, haben sie Anfang des Jahres ihre Erfahrungen gesammelt und sind damit an die Öffentlichkeit und zu ihren Managern gegangen. „Meine Erfahrungen mit Pflegefamilien waren nicht so schlimm, wie die derzeitige Arbeit“, sagt einer der Analysten. „Ich kann nicht mehr schlafen, mein Angstlevel ist in den Himmel gestiegen“, berichtet ein anderer. Überarbeitung ist ein bekanntes Phänomen in der Branche. In einzelnen Fällen hat sie zum Tod geführt.
Sarvshreshth Gupta, Analyst bei Goldman Sachs, nahm sich 2015 das Leben, nachdem er mehr als 100 Stunden pro Woche gearbeitet haben soll. Zwei Jahre zuvor war der Deutsche Moritz Erhardt während eines Praktikums bei der Bank of America Merrill Lynch in London gestorben. Er soll 72 Stunden am Stück gearbeitet haben. In Deutschland ist die Situation nicht ganz so angespannt, gibt es hierzulande doch strengere Arbeitszeitgesetze und Betriebsräte, die deren Einhaltung im Blick haben. Elf Stunden Pause muss es beispielsweise zwischen einer Arbeitsschicht und der anderen geben. Doch vor einer großen Anzahl an Überstunden sind Investmentbanker dadurch trotzdem nicht sicher.
Verstärkte Rekrutierung und Meditationsangebote
Das Problem ist auch in den Banken selbst bekannt. „Wir sind uns darüber bewusst, dass unsere Mitarbeitenden insbesondere in der Investmentbank aufgrund der deutlich gestiegenen Kundennachfrage sehr hart arbeiten“, heißt es etwa vonseiten der UBS. Deshalb würden verstärkt zusätzliche Mitarbeitende rekrutiert und unternehmensintern die Themen Überarbeitung und bewusste Auszeiten durch Mentoring fokussiert werden. Zudem gebe es zahlreiche Angebote zur (mentalen) Gesundheit. Durch eine Kooperation mit dem Meditationsanbieter Headspace erhielten UBS-Mitarbeitende kostenlosen Zugang zu den Entspannungsangeboten. Ein unternehmensinternes Netzwerk für mentale Gesundheit und die Zusammenarbeit mit einem externen Provider biete den UBS-Beschäftigten und deren Familien rund um die Uhr Unterstützung an.
Flexibilität ist den Mitarbeitenden sehr wichtig.
Ähnliche Angebote gibt es bei der Deutschen Bank. Dort konzentriert sich die Personalabteilung auch auf Flexibilität, um die Mitarbeitenden zu entlasten. „Wir wissen aus unserer Mitarbeiterbefragung, dass Flexibilität der Mitarbeiterschaft sehr wichtig ist“, sagt eine Sprecherin der Deutschen Bank. „Daher ist es grundsätzlich unsere Intention, den Mitarbeitenden eine eigenständige Gestaltung ihrer Arbeitszeit im Rahmen ihrer Projekte und Tätigkeit zu ermöglichen.“ Innerhalb der Bank würden sich Führungskräfte und Mitarbeitende zudem kontinuierlich über ihre Aufgaben, Auslastung sowie die laufende Kapazitätsplanung austauschen, um übermäßigen Arbeitszeiten entgegenzuwirken.
Führungskräfte müssen auf die Gesundheit der Mitarbeitenden achten
Auch die Belegschaft der Unternehmensberatung KPMG ist mit Überstunden vertraut. Dort setzen die Personalverantwortlichen laut Julian Halbsguth, Leiter Arbeitsrecht bei KPMG, auf eine Qualifikation der Führungskräfte. Wie auf eine dauerhafte physische und psychische Gesundheit geachtet werden kann, sei Teil der Leadership- und Management-Ausbildung bei der KPMG. Phasen, in denen projektbedingt mehr gearbeitet wird, sollen durch kurze Ausgleichsfreizeiten und Sabbaticals wiedergutgemacht werden. „Jede Unternehmenskultur, die auf das Thema Nachhaltigkeit setzt, muss den Schutz der Mitarbeitenden angemessen berücksichtigen“, sagt Halbsguth.
Auch bei Goldman Sachs werden die Ergebnisse der internen Umfrage, die die jungen Mitarbeitenden duchführten, nach Aussage der Unternehmensführung sehr ernst genommen. In einer internen Mitteilung berichtet CEO David Solomon von Plänen zur Entlastung der Mitarbeitenden. So wolle man mehr Junior-Banker einstellen, Banker intern als Verstärkung in Abteilungen schicken, in denen es ein hohes Arbeitspensum gibt, nicht alle Geschäftsangebote ohne Kalkulieren der Mitarbeiter-Ressourcen annehmen und manche Prozesse automatisieren. Auch solle die Samstagsregel – die den Samstag zum einzigen freien Wochentag macht – wieder ernster genommen werden.
Burnout-Prävention individuell und ganzheitlich betrachten
Stress-Experte Holger Kracke, Vorsitzender des Bundesverbands für Burnout-Prophylaxe und Prävention (DBVB), schätzt diese Maßnahmen als gut, aber längst nicht ausreichend, ein. Strukturelle Änderungen in den Banken sowie das Angebot von Entspannungsmaßnahmen seien wichtig, aber nur ein Teil der nötigen Aktivitäten, um eine Überarbeitung der Investmentbanker zu verhindern. Laut Kracke braucht ein Mensch diverse Kompetenzen, um mental gesund zu bleiben: Dazu gehören Handlungs- und Problemlösungskompetenz, eine mentale Stresskompetenz, die Fähigkeit zu entspannen und zu genießen sowie die Kompetenz zum sozialen Netzwerken. Je nach Mitarbeitenden unterscheide sich die Ausprägung der Kompetenz, und je nach Mitarbeitenden gebe es eine andere Strategie, um Stress zu vermeiden.
Eine gute Prävention benötigt lediglich drei Maßnahmen.
Denn Stress bilde sich erst einmal nicht aus dem Arbeitspensum, sondern aus der Bewertung des Einzelnen hinsichtlich der Machbarkeit der Aufgaben. Wenn Sätze wie „Ich kann nicht“ oder „Ich schaffe das nicht“ in den Gedanken des Bankers überwiegend sind, sei dies ein Alarmzeichen für Stress. Im Investment Banken-Sektor entstehe dieser vor allem aus einer Kombination von einer ausgeprägten Verausgabungs- und Leistungsbereitschaft sowie einem hohen Perfektionsstreben. Krackes Vorschlag für eine Burnout-Prävention in Unternehmen: „Eine gute Prävention benötigt lediglich drei Maßnahmen“, sagt Kracke. „Auf der Führungsebene empfiehlt es sich, eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, auf der Abteilungsebene sollten die Führungskräfte zum Thema gesund Führen geschult werden.“ Die wichtigste Komponente der Stressprävention sei der Aufbau eines „individuellen Stressschutzes“ bei jedem Mitarbeitenden. „Hier empfehlen wir einen Stressdiagnostiktest mit anschließendem Stresspräventionsprogramm“, so Kracke. Der Test ermittle das Risiko, innerhalb des nächsten Jahres an einem Burnout zu erkranken und zeigt auf, wie sehr die für mentale und psychische Gesundheit nötigen Kompetenzen beim Individuum ausgeprägt sind. Bei den Investmentbanken müsse folglich das Thema Überarbeitung und Stressprävention von den unterschiedlichsten Seiten angegangen werden.