Kaum ein aktuelles Organisationsthema wird so regelmäßig in Studien
durchleuchtet wie die Veränderung und der Umgang mit ihr. Wir haben
einige Analysen verglichen und lernen: Im Wandel sind Kultur und
Zusammenarbeit wichtiger als Technik.
Manchmal kommt Veränderung schleichend, manchmal plötzlich. Für Jörg Ulrich, den Vorsitzenden der Geschäftsführung bei Linde Hydraulics in Aschaffenburg, kam sie plötzlich. Das Unternehmen gehört seit 2012 zu einer chinesischen Firmengruppe – und Jahr für Jahr seit der Übernahme blieb Ulrich weit unter den utopisch hohen Umsatzvorgaben. Inzwischen wisse er, sagte Ulrich dem Wirtschaftsmagazin Brand Eins, dass dies die chinesische Art sei, Menschen zu Höchstleistungen anzuspornen: „Ich habe gelernt, damit umzugehen.“
Die kleine Anekdote zeigt: Veränderungen gehören zum Arbeitsleben dazu, sie fordern heraus, sie sind in der Regel unumgänglich, und sie haben meist eine bedeutende kulturelle Komponente. Lernen, damit umzugehen – das klingt ein wenig nach Fatalismus. Tatsächlich aber ist es eine Quintessenz dessen, was sich aus zahlreichen Studien zum Change Management (siehe Liste unten) der letzten beiden Jahre herauskristallisiert. Personaler sind dabei an unterschiedlichen Fronten gefordert – nicht zuletzt beim Umkrempeln der eigenen Abteilung.
Mensch ärgere dich nicht
Dass nicht nur IT-affine Branchen, sondern jedes Unternehmen zur Veränderung gezwungen ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Ob Digitalisierung, zunehmende Komplexität oder demografischer Wandel, Auslöser gibt es viele. Erstere sehen Unternehmen laut des Change Readiness Index der Staufen AG zwar als größte Herausforderung, aber nicht als einzige. Neben den drei genannten Faktoren bereiten ihnen auch die fortschreitende Individualisierung von Produkten und Services, die Globalisierung der Wirtschaft, die Entwicklung zur Wissensgesellschaft sowie geopolitische Entwicklungen und Umbrüche Kopfzerbrechen.
Wobei Kopfzerbrechen etwas untertrieben ist: Jedes zweite (49 Prozent) der 658 befragten Unternehmen in der Staufen-Studie sehen in den Umwälzungen eine große bis sehr große Gefahr für die gesamte Branche, in der sie tätig sind. 40 Prozent gaben diese Antwort auch im Hinblick auf das eigene Unternehmen. Damit nicht genug: Die Studienautoren legten eine Wahrnehmungslücke offen, die sowohl Strukturen und Prozesse als auch die Führung sowie die Mitarbeiter und ihre Qualifikation betraf: Die gefühlte Wandlungsfähigkeit der befragten Unternehmen war durchweg größer als die tatsächliche.
„Weiterentwicklung benötigt Freiräume“, heißt es etwa in einer Change Management-Studie des Moonroc Institute of Economic Research. Leider stößt diese Erkenntnis in Unternehmen oft auf ein gewichtiges Hindernis namens Zielvorgaben: „Die Mitarbeiter sind hierdurch strukturell immer im Soll, der Kopf befindet sich durchgängig unterhalb der Wasseroberfläche.“ Der Handlungsdruck, sich zu verändern, ist in Unternehmen mittlerweile groß, und er muss oft parallel zum Tagesgeschäft gestemmt werden.
Eine neue Studie von Comteam hat zudem festgestellt: „Macht und Verantwortung sind in Unternehmen nach wie vor ungleich verteilt.“ Obwohl sich demnach 90 Prozent der 461 befragten Führungskräfte, Projektleiter und Mitarbeiter mehr Autonomie wünschen, konnte nicht einmal jeder zweite Befragte Bestrebungen zur stärkeren Verteilung der Verantwortlichkeiten in seinem Arbeitsumfeld erkennen. „Dabei ist das Rütteln an veralteten Machtstrukturen dringend notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, heißt es in der Studie des Beratungsunternehmens weiter. Gefragt seien eigenverantwortliche Arbeit in selbstorganisierten Teams mit kurzen Entscheidungswegen und eine offene Fehlerkultur.
In den meisten Analysen zum Thema Change stehen interessanterweise der Mensch und die Unternehmenskultur im Fokus, weniger die technischen Innovationen – allen Investitionen in die Digitalisierung zum Trotz. Der Software-Anbieter IFS hat 750 Entscheider in 16 Ländern für seine Digital Change-Studie befragt und herausgefunden, dass in Deutschland beispielsweise 92 Prozent der Befragten über „angemessene“ oder „förderliche“ finanzielle Mittel für die digitale Transformation verfügen.
Trotzdem hakt es auch hier, wenn man so will, am Menschen, und zwar aus zweierlei Hinsicht: Zum einen, weil 35 Prozent der Umfrageteilnehmer angaben, dass sie sich aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal „etwas“ oder „völlig“ unvorbereitet fühlen, die digitale Transformation erfolgreich umzusetzen. Zum anderen gibt zu denken, dass zwei der drei größten Hindernisse bei der Umsetzung ebenfalls allzu menschlich sind: die Aversion von Mitarbeitern gegen Veränderungen (42 Prozent) sowie fehlende Organisations- und Führungsmodelle (38 Prozent). Immerhin 29 Prozent der von der Beratung Boyden und der EBS Business School befragten Führungskräfte, Manager, Vorstände und Beiräte waren der Ansicht, dass zunehmende Veränderungsstrategien zwingend Kompetenz, Unbeschwertheit und neue Ideen von außen benötigen.
Das Mittelmanagement macht’s – aber wie lange noch?
Vor allem die mittlere Managementebene rückt in den Fokus der Betrachtungen vieler Studien. Das mittlere Management soll gleichzeitig, Schlüssel, Treiber und Umsetzer des Change sein. Für Comteam geht es als Verlierer hervor, da 80 Prozent der Befragten ihrer Analyse bei ihr ein starkes Missverhältnis zwischen Macht und Verantwortung sehen. In der Mitte muss umgesetzt werden, was viel weiter oben entschieden wird. Bei Boyden zeigte sich darüber hinaus, dass das mittlere Management als größte Bremse für digitale Konzepte wahrgenommen wird – obwohl es andererseits als Schlüsselfunktion für die erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierungsstrategien gilt: „Hier müssen entsprechende Positionen geschaffen und/oder ersetzt werden.“
Die hohe Marktvolatilität stellt neue Anforderungen an das mittlere Management, ist zu diesem Thema im „Führungsbarometer 2017“, einer Forsa-Befragung im Auftrag der Change-Beratung Penning Consulting zu lesen. „Die Erhebung bestätigt die sogenannte ‚Ambidextrie‘, also die ständige Gleichzeitigkeit von Alltags- und Projektgeschäft“, sagt Geschäftsführer Stephan Penning. Vor allem das mittlere Management habe mit Arbeitsverdichtung zu kämpfen: Zehn Prozent der 90 befragten HR-Chefs sagten, dass die Belastungsgrenze der Mittelmanager mittlerweile überschritten ist, weitere 76 Prozent halten sie für hoch oder zumindest spürbar vorhanden.
Viele Unternehmen hätten die Rolle des mittleren Managements mittlerweile aber neu definiert. In diesen Organisationen übernahm es immer häufiger die Rolle des Beraters und Entwicklers sich selbst steuernder Teams, was vielfach zu einer Senkung der Belastung führte. Die Crux ist, dass ihre Rollendefinition eine strukturelle Frage ist, die zunächst einmal das Top-Management beantworten muss.
Vorstände und Geschäftsführungen müssen klare Priorisierungen treffen, Fahrpläne entwickeln und ihr Mittelmanagement durchgängig in den Veränderungsprojekten begleiten.
findet Penning.
Führungskräfte müssen handeln
Das leitende Personal wird nicht umsonst so genannt: „Die positive Haltung von Führungskräften muss stärker in den Fokus rücken“, heißt es bei der Beratung Mutaree, die derzeit ihre fünfte Change-Fitness-Studie durchführt. Schon bei den Analysen im Jahr 2017 habe sich gezeigt, dass Change-Management ein Handwerk ist, das von Führungskräften und Mitarbeitern gelernt und beherrscht werden könne. Man kann also tatsächlich lernen, mit dem Change umzugehen. Mutaree-Geschäftsführerin Claudia Schmidt: „Change-Fitness reduziert die Angst vor Veränderungen und führt zu einer Routine in positivem Sinne.“ Wir erinnern uns: Lernen, mit der Veränderung umzugehen.
Der Mensch steht auch bei Capgemini im Mittelpunkt. „Culture First“ haben die Berater ihre Erkenntnisse aus qualitativen Interviews und einer Online-Befragung mit 1.139 Teilnehmern betitelt. Die eigene Unternehmenskultur galt 62 Prozent der befragten Unternehmen als eine der wesentlichen Hürden für eine erfolgreiche Transformation, und doch wagten sich nur wenige Unternehmen konsequent an ihren Umbau. Führungskräfte hätten die Bedeutung des Kulturwandels erkannt, aber nur einige „Frontrunner“ würden tatsächlich aktiv. Dabei seien die Einbindung der Mitarbeiter und deren Eigeninitiative für einen erfolgreichen digitalen Kulturwandel essenziell.
Das ist aber leichter gesagt als getan. Flow Consulting hat zahlreiche einschlägige Change-Studien zu einer Metastudie zusammengefasst. Die Berater wollten konkret herausfinden, welche Anforderungen künftig an Führungskompetenzen gestellt werden. Dies sind zum einen klassische Kompetenzen wie Zielorientierung, Innovations-, Motivations- und Dialogfähigkeit, Überzeugungskraft, bereichsübergreifende Zusammenarbeit, Konfliktmoderation oder Erfolgskontrolle. Sie identifizierten aber zusätzlich sieben weitere, die zusätzlich beherrscht werden sollten: Netzwerke pflegen, Perspektiven erweitern, Innovation vorantreiben, Orientierung vermitteln, Eigenständigkeit fördern, digitale Werkzeuge nutzen sowie Mitarbeiter unterstützen. Kurz: Agile Leadership.
Quo vadis, HR?
Das sind alles Aufgaben, die in den Kernbereich von HR hineinspielen. Eine Studie der Beratung Promerit zeigt denn auch, dass sich Personaler durchaus in einer treibenden Rolle sehen. In vielen Unternehmen fühlen sie sich der Befragung zufolge unter anderem für die Gestaltung einer agilen Organisation als Netzwerkorganisation, für digitale Führung und Leadership sowie für digitale Kompetenzen und Skills verantwortlich. Ein weiteres Ergebnis stützt diese These: Als stärkster Treiber der digitalen Transformation sahen Personaler zwar den IT-Bereich, doch nach der Geschäftsleitung folgte bereits HR selbst auf dem dritten Platz.
„Das Topmanagement bildet eine eigene Zielgruppe für Entwicklungsmaßnahmen“, heißt es in der Future Management Development Studie 2017 von Kienbaum – hier richtet sich der Blick in der Hierarchie auch nach ganz oben. Dort nehme die Relevanz von strategischem Change- und Transformationsmanagement zu, zudem rückten Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwirksamkeit stärker in den Vordergrund. Im operativen Management stünden nach wie vor eher klassische Themen wie Mitarbeiterentwicklung und Projektmanagement auf der Agenda – zusätzlich zur zunehmenden Bedeutung von Transformationsmanagement und Digital Leadership.
Nirgendwo wird dieser Spagat wohl offenbarer als im Mittelstand, der Veränderungen mit meist stark begrenzten Ressourcen wuppen muss. Die Business School Berlin befragte kleine und mittlere Unternehmen – und 65 Prozent von ihnen gaben an, dass es in ihrem Unternehmen weder qualifizierte Führungspersonen noch externe Berater gibt, die beispielsweise die Umsetzung von Digitalisierungsstrategien professionell unterstützen. Die Datenbasis stammte allerdings noch aus dem Jahr 2016. Die befragten Führungskräfte wünschten sich gleichwohl „deutlich mehr unterstützende Qualifizierungsmaßnahmen“.
Wo könnte HR da ansetzen? Zum Beispiel mit Unterstützung bei der Transformation weg von formal-hierarchischen Ordnungsprinzipien und hin zu einer offeneren Führung mit mehr Feedback, Kommunikation, Integration und digitaler Vernetzung. Und mit dem Erlernen von Sensibilisierungsmaßnahmen:
Mit den Widerständen oder Ängsten von Mitarbeitern professionell umgehen zu können, stellt eine der wichtigsten Führungsqualitäten dar.
Tipps, die nicht nur Mittelständler weiterhelfen könnten. Auch die strapazierten Begriffe „abholen“ und „mitnehmen“ fallen in der Studie, meinen jedoch auch nichts anderes, als das Augenmerk vor allem auf die Mitarbeiter zu lenken. Sie sind – daran hat sich nichts verändert – immer noch das Wertvollste, was Unternehmen haben.
Lernen, mit der Veränderung umzugehen
Kein Zweifel: Der „Wind of Change“ hat sich für Unternehmen zu einem veritablen Sturm entwickelt. Die Herausforderung liegt vor allem darin, das Unvermeidbare positiv zu gestalten und zu nutzen. Um sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden dafür zu gewinnen, sind gute Ideen und individuelle Lösungen gefragt. Niemand verlässt gerne seine Komfortzone. Zumal, wenn nicht klar ist, warum dies nötig sein soll.
Die zitierten Studien – es gibt noch weitere aufschlussreiche – zeigen auf, wie es funktionieren kann. Nahezu allen Analysen ist gemein, dass sie die Wichtigkeit und Partizipation der Mitarbeiter aller Ebenen hervorheben, und dass sie HR in einer strategisch wichtigen Position sehen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Das ist zwar eine große Aufgabe. Aber eine, die die Position der Personaler im Unternehmen weiter stärken kann. Wenn sie lernen, mit der Veränderung umzugehen.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist und schreibt regelmäßig arbeitsrechtliche Urteilsbesprechungen, Interviews und Fachbeiträge für die Personalwirtschaft.