Wer sein Portfolio einer genaueren Prüfung unterzieht, kann mit kritischen Fragen konfrontiert werden: Hat man Unternehmen aus dem Bereich fossile Energien im Depot, die zu sogenannten Stranded Assets mutieren und deren Rendite erheblich unter Druck geraten können? Billigen die Portfoliounternehmen in Entwicklungsländern Kinderarbeit und unwürdige Arbeitsbedingungen? Ergreifen sie Maßnahmen gegen Klimawandel und Raubbau an natürlichen Ressourcen? Wie sieht es in puncto Governance aus, um illegale Absprachen und Korruption zu vermeiden? Lange haben nur einige Pioniere wie Stiftungen und kirchliche Investoren nachhaltig investiert. Heute gibt es kaum einen professionellen Anleger, der ESG – die englische Kurzform für Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte – außer Acht lässt.
Fragt man Anleger nach ihren Beweggründen, nennen sie unterschiedliche Argumente: Einige wollen ihre Wertvorstellungen oder ihre ethischen Überzeugungen in ihre Investmententscheidungen einfließen lassen. Andere möchten aussichtsreiche Anlagethemen nutzen, die sich zum Beispiel im Zuge der Energiewende ergeben.
Die regulatorische Messlatte wird hochgeschraubt
Rückenwind kommt aktuell auch von politischer und regulatorischer Seite. So hat die EU-Kommission auf der Grundlage des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem veröffentlicht. Ziel des Aktionsplans ist es, die Kapitalflüsse auf den Umbau einer nachhaltigen Wirtschaft auszurichten, Nachhaltigkeit stärker in das Risikomanagement zu integrieren und die Transparenz nachhaltiger Finanzprodukte zu fördern. Der EU-Aktionsplan sieht hierfür die Umsetzung von insgesamt zehn Maßnahmen vor.
In einem der ersten Schritt wurde dabei eine Taxonomie formuliert. Anhand dieser soll sich bestimmen lassen, von welchen Wirtschaftsaktivitäten eine positive Wirkung für das Klima und die Anpassung an den Klimawandel ausgeht. Die weit über bestehende grüne Definitionen hinausgehende Taxonomie gilt als Meilenstein. Dass es der EU mit dem Klimaschutz ernst ist, zeigt zudem die EU Sustainable Finance Disclosure Regulation, kurz SFDR, auf deutsch Offenlegungsverordnung. Sie regelt, wie Finanzmarktteilnehmer – darunter Versicherungen, Anbieter von Altersvorsorgeprodukten und Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge – über nachhaltige Investments und ESG-Risiken informieren müssen. Wenn beispielsweise mit ESG-Faktoren geworben wird, muss offengelegt werden, welche ESG-Faktoren berücksichtigt und welche Nachhaltigkeitsziele verfolgt werden. Zudem sollen Finanzmarktteilnehmer ESG-Risiken offenlegen. Das heißt, die Investoren haben darüber zu informieren, wie sie Nachhaltigkeitsrisiken im Anlageprozess integrieren und welche Renditerisiken für Anlageprodukte drohen, unabhängig davon, ob es sich um nachhaltige oder konventionelle Investments handelt.
Auch wenn die Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in der Kapitalanlage nicht verpflichtend fordern, haben Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge den Umgang mit ESG-Faktoren in jedem Fall transparent zu machen. Das heißt, die Grundsätze der Anlagepolitik sind zu veröffentlichen – nicht nur gegenüber der Aufsicht, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit. In puncto Risikomanagement müssen ESG-Risiken für die Portfolios verpflichtend berücksichtigt werden.
Last but not least hat das Thema ESG inzwischen auch bei den über die betriebliche Altersvorsorge hinausgehenden Bestimmungen zur dritten Säule an Bedeutung gewonnen. Ein Beispiel sind die Bestimmungen zum Paneuropäischen Privaten Pensionsprodukt (PEPP). So sollen für diese langfristigen Altersvorsorgeprodukte ESG-Kriterien explizit berücksichtigt und entsprechende Informationen der Aufsichtsbehörde und den Sparern zur Verfügung gestellt werden.
ESG steht bei Kapitalanlagen oben auf der Agenda
Parallel dazu werden auch die Privatanleger in Sachen Nachhaltigkeit anspruchsvoller. So hat eine repräsentative Umfrage von Fidelity International ergeben, dass 42 Prozent der 18- bis 34-Jährigen ihr Geld nachhaltiger anlegen wollen. Über alle Altersgruppen hinweg plant jeder dritte Deutsche, ökologische Aspekte in seinem Spar- und Anlageverhalten stärker zu berücksichtigen. Mit den Millennials und ihrem starken Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird der Handlungsdruck insgesamt weiter steigen.
All diese Trends und geänderten Rahmenbedingungen spiegeln sich bereits heute in der institutionellen Kapitalanlage wider. Hatte 2018 nur gut die Hälfte (53 Prozent) der institutionellen Anleger in Kontinentaleuropa ESG-Kriterien für Investitions- oder Auswahlentscheidungen bei externen Mandaten herangezogen, waren es im Jahr 2020 schon 76 Prozent. In Deutschland hat sich dieser Wert im genannten Zeitraum von 29 auf 61 Prozent sogar mehr als verdoppelt. Dass noch mehr ESG geht, zeigen Skandinavien (93 Prozent) und der Spitzenreiter Niederlande (97 Prozent). Hier erfolgt also fast keine Kapitalanlage mehr ohne ESG-Berücksichtigung.
Der Beitrag ist ein Auszug des Beitrags von Christof Quiring aus folgendem Buch:
Dr. Guido Birkner (Hrsg.)
bAV 2022: Kapitalanlage, Verpflichtungen und Biometrie – Altersvorsorge neu gedacht
F.A.Z. BUSINESS MEDIA GmbH
ISBN: 978-3-948353-38-4