Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Führungsgebote für die Zukunft

Der Digital Leadership Summit 2017
Der Digital Leadership Summit 2017 in der Trinitatiskirche Köln; Bild: Web de Cologne e. V.

„Gott sei Dank geht es gleich ins kühle Kirchengemäuer“, dachte man als Besucher des zweiten › Digital Leadership Summits auf dem Weg dorthin. Schon am Morgen des 21. Juni brannte die Sonne auf Köln nieder und trieb den Schweiß auf die Stirn. Doch die Hoffnung auf erquickende Niedrigtemperaturen zerstob beim Betreten des Kirchenschiffs – auch in dem Gotteshaus, das gerne als Eventraum genutzt wird, stand die Hitze. Da musste für die rund 250 Teilnehmer wenigstens inhaltlich eine kalte Dusche her. Die lieferte Richard David Precht.

Das Ende der Arbeits- und Leistungsgesellschaft

„Was die Politik gerade macht, ist wie Liegestühle auf der Titanic umdekorieren“, lautete das Fazit des bekannten Philosophen zu den Bemühungen deutscher Politiker, den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden. Bislang hätten sie keine ernstzunehmende Agenda für die Zukunft gegeben, die Precht prophezeit: In nicht allzu ferner Zeit wird die Hälfte der Menschen keinen Job mehr haben, die Arbeit erledigen dann Computer und Roboter.

Richard David Precht
Richard David Precht; Bild: Web de Cologne e. V.

Diese „Befreiung von der Last der Arbeit“ wirft brennende Fragen auf, so Precht: Wie bestreiten die aus der Arbeits- und Leistungsgesellschaft entlassenen 50 Prozent der Gesellschaft ihren Lebensunterhalt? Was machen sie dann den lieben langen Tag? Und wozu müssen wir noch über Führung reden? Seine Antwort: Die Menschen brauchen in Zukunft „genug Geld in der Tasche und einen Plan für den Tag“. Für den Philosophen führt kein Weg am bedingungslosen Grundeinkommen vorbei. Außerdem sollten wir lernen, „das Gut unserer intrinsischen Motivation zu kultivieren“, also die eigene Kreativität wiederzuentdecken und zum Ausdruck zu bringen. Auf Leute wie im Silicon Valley, die einem sagen, wie ein Schreibtisch auszusehen habe, damit Kreativität entstünde, könne er herzlich verzichten, meint der Freigeist. Führung heiße in Zukunft vor allem Selbstführung.

Prechts diverse Seitenhiebe auf die amerikanische Tech-Szene waren auch als Echo auf den Vortrag von Sabine Remdisch zu verstehen, deren Präsentation den vom Branchennetzwerk › Web de Cologne e. V. veranstalteten Summit eröffnete. Die Wirtschaftspsychologin berichtete von ihren Erfahrungen als Gastwissenschaftlerin an der Stanford University im Silicon Valley. Dort wundert man sich zum Beispiel sehr, wenn die Deutsche wissen will, ob uns die Digitalisierung krank macht. Ihre Gesprächspartner würden die Frage nicht verstehen und erwidern: „Wieso? Das Silicon Valley hat uns doch ungeheuren Wohlstand gebracht.“

Aber was lässt sich von den USA in Sachen Führung im digitalen Zeitalter lernen?

Die Führungskraft von morgen ist ein guter Netzwerker, ein guter Storyteller und ein guter Coach,

fasste Remdisch ihre Forschung zusammen. Ein Leader fördert Innovation, baut Netzwerke auf, vermittelt eine Vision, führt (auch dank Technik) effektiv über Distanzen, ist eher Influencer als Bestimmer und lebt gesunde Führung. In deutschen Unternehmen seien überdies vor allem gute Change Manager gefragt, denn „wir haben es bei der Digitalisierung mit einem klassischen Change-Prozess zu tun“, so die Forscherin der Leuphana Universität Lüneburg.

Den Sinn des Unternehmens erkennen

Diese Sichtweise bestätigten die Vorträge der Praktiker beim Digital Leadership Summit vollauf. Oliver Eckert, CEO des digitalen Publishers Burda Forward (Focus Online, Huffington Post, Chip.de), sprach über neue Konzepte zur Organisationsentwicklung. Er berichtete von Burdas Weg in den Online-Journalismus. Seine Tipps für digitales Wirtschaften und ein entsprechendes Personalmanagement:

•    „Schwimme gegen den Strom“: Das heißt bei Burda zum Beispiel, Print und Online klar zu trennen, statt wie vielerorts üblich crossmediale Newsrooms zu installieren.
•    „Sei kunterbunt vernetzt“: Hierarchien sind grundsätzlich nichts Schlechtes, müssen aber um Netzwerke ergänzt werden.
•    „Setze auf Sinn und Werte“: Mitarbeiter und Führungskräfte müssen den Unternehmenszweck („Purpose“), den ureigenen Sinn des Unternehmens kennen – warum existiert es und was würde den Menschen fehlen, wenn es nicht mehr da wäre?

Weiterschwitzen am Nachmittag

Als Chief Innovation Evangelist brachte Stephan Grabmeier nicht nur den passenden Jobtitel für die Veranstaltung in der Kirche mit. Er hatte auch ein „Upgrade des Betriebssystems für die Transformation zur Organisation 4.0“ im Gepäck, so der Name seines Vortrags, der den Nachmittag eröffnete. Sein Arbeitgeber Haufe Umantis hat einen erfolgreichen Wandel vom Fachverlag zum digitalen Lösungsanbieter hinter sich. Wobei Arbeitgeber wohl das falsche Wort ist. Bei Haufe führen vor allem die Mitarbeiter das Unternehmen. Die Führungskräfte werden regelmäßig demokratisch gewählt und alle Mitarbeiter beteiligen sich an der Bestimmung von Regeln, Werten und der Unternehmensstrategie. Grabmeiers Empfehlung an HR für den Weg zum erfolgreichen digitalen Unternehmen: die Transformation nicht nur in der Dimension „Verhaltensänderung und Befähigung der Mitarbeiter“ denken, sondern ebenso das „Design der Organisation“ und die „Technologie als Infrastruktur“ fokussieren.

Schrei vor Mitarbeiterglück!

So weit wie bei Haufe Umantis wird die Beteiligung der Mitarbeiter bei Zalando nicht gehen. Dennoch berichtete Frauke von Polier, verantwortlich für Personal und Organisationsentwicklung, von einem umfassenden Kulturwandel, den der Online-Versandhändler zurzeit vollzieht. Mit ihrer erfrischenden Art gelang es ihr, das Publikum vor der Hitzelethargie des Nachmittags zu bewahren.

Kultur ist der einzige Wettbewerbsvorteil, den man nicht kopieren kann,

heißt Zalandos Credo für die Arbeit am Miteinander beim Modeexperten, der in weniger als zehn Jahren vom Start-up zur Aktiengesellschaft mit 13.000 Beschäftigten gewachsen ist. Die Hebel, um eine vorteilhafte, talentzentrierte Kultur zu schaffen:

•    Fördern einer Speak-up-Kultur, zum Beispiel in Form von wöchentlichen Gesprächen zwischen dem Vorstand und den Mitarbeitern, in der alle Fragen erlaubt sind und beantwortet werden.
•    Etablierung einer Feedback-Kultur.
Jeder kann von jedem Rückmeldung erhalten. Die Mitarbeiter werden intensiv geschult, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Feedback bringt und wie es geht.
•    Bewusstmachen des Unternehmenszwecks.
Wie Burda hat Zalando zusammen mit den Mitarbeitern herausgearbeitet, wofür man steht.

Viele Impulse und Austauschmöglichkeiten

Innenhof der Trinitatiskirche Köln
Schwitzen und Netzwerken in der Pause im Innenhof der Trinitatiskirche Köln; Bild: Web de Cologne e. V.

Alles in allem spannte der zweite Digital Leadership Summit einen weiten thematischen Bogen, von politischen Rahmenbedingungen bis hin zu Industrie 4.0. Wie häufig bei Veranstaltungen im Zeichen der Digitalisierung wäre eine stärkere thematische Fokussierung wünschenswert gewesen, in diesem Fall auf das Thema Führung. Gleichwohl steuerte jeder Redner interessante Impulse für das (Personal-)Management der Zukunft bei (siehe unten), wenn auch das Nachmittagsprogramm gegenüber dem Vormittag inhaltlich und rhetorisch etwas abfiel.

In den Pausen ergaben sich vielerlei Möglichkeiten, sich auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen. Die Summit-Gemeinde bestand wirklich aus Gleichgesinnten, Personalexperten mit Neugier auf zukunftsweisende Lösungen für ihre Unternehmen. Und ins Gespräch kam man auch ganz leicht. Dafür reichte die Klage über die Hitze.

Word up! Die besten Zitate der Speaker:

„Die Führungskraft von morgen ist ein guter Netzwerker, ein guter Storyteller und ein guter Coach.“ Prof. Dr. Sabine Remdisch, Wirtschaftspsychologin, Leuphana Universität Lüneburg

„In 30 Jahren wird ein Computer so intelligent sein wie alle menschlichen Gehirne zusammen.“ Oliver Eckert, CEO, Burda Forward

„Im Gegensatz zu den drei industriellen Revolutionen zuvor macht die vierte Revolution bestehende Märkte effizienter, schafft aber keine neuen Wachstumsmärkte.“ Richard David Precht, Philosoph

„HR ist eine Qualitätsfunktion, keine reine Effizienzfunktion.“ Stephan Grabmeier, Chief Innovation Evangelist, Haufe Umantis

„Kultur ist der einzige Wettbewerbsvorteil, den man nicht kopieren kann.“ Frauke von Polier, SVP People & Organisation, Zalando SE

„Bitte betrachten Sie die Digitalisierung nicht nur als Prozessoptimierung.“ Gabriele Riedmann de Trinidad, Geschäftsführerin, Platform 3L

„Management by Flachbildschirm ermöglicht führungsunwilligen Führungskräften die Flucht vor ihren Mitarbeitern.“ Prof. Dr.-Ing. Andreas Syska, Hochschule Niederrhein

„Digitale Transformation ist wie Rock’n’Roll: das Aufbrechen alter Strukturen.“ Tanja Friederichs, Vice President HR, Puls Group

„HR-Systeme werden sich ändern: weg vom Speicheransatz hin zu Lösungen, die uns neue Einsichten bringen.“ Sven Semet, HR Thought Leader, IBM

Autor: Christoph Bertram

Themen