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HR gegen rechts: Jetzt geht’s ums Ganze

Älterer Herr zeigt das Peace-Zeichen auf einer Anti-Nazi-Demo.
Dem Fotografen zeigt er das Peace-Zeichen, den Nazis hingegen den Mittelfinger – ein älterer Herr bezieht Position. Foto: AntonChalakov/istock

Für die entscheidenden Minuten in einem sportlichen Wettkampf haben die Amerikaner den sprechenden Begriff der „crunch time“ erfunden. „Jetzt geht’s ums Ganze“, würden wir (wie gewohnt etwas umständlicher, hier aber kaum weniger treffend) sagen. In solch einer Phase braucht es ein starkes Kollektiv und guten Teamgeist – und auch die ein, zwei herausragenden Akteure im Team, die ein Spiel entscheiden können: die sogenannten „crunch time players“.

Es spricht einiges dafür, dass wir gesellschaftlich und politisch gerade in die „crunch time“ gehen. Wir leben in einem Land, das sich an den politischen Rändern in beängstigender Geschwindigkeit radikalisiert. Der in den meisten westlichen Demokratien spürbare Rechtsruck hat auch uns längst erfasst. Der Aufstieg der AfD hat die politische Klasse in Deutschland in den vergangenen drei Jahren derart in die Enge getrieben, dass selbst der Innenminister postuliert, die Migration sei die „Mutter aller Probleme“. Dabei müsste er es besser wissen: Das Thema Migration hat vielmehr die Probleme des Landes – in der Bildung, im sozialen Bereich, in der Infrastruktur – schonungslos offengelegt. Diese Gesellschaft driftet auseinander: rechts und links, arm und reich, alt und jung, drinnen und draußen. Es ist ein System, das Langzeitarbeitslose, Enttäuschte, Zurückgelassene produziert. Von einer vermeintlich sozialen Marktwirtschaft ist nicht mehr viel übrig.

Klare Linien ziehen – aber inklusiv

Das gesellschaftliche Nebeneinander wird mehr und mehr zum Gegeneinander. Die Folgen sind Verbitterung, Verrohung, Hass. Selten waren die Fronten so verhärtet, war die Rhetorik – im öffentlichen Raum, in den Medien, im Bundestag – so vernichtend. Gleichzeitig halten zu viele den Mund. Es ist kein leichter Spagat: Wir müssen klare Kante gegen Extremismus und Gewalt zeigen und dennoch mehr denn je Türen öffnen, Chancen bieten und Dialoge führen. Diese Verantwortung haben wir alle. Je herausgehobener unsere Rolle, desto wichtiger ist es, dass wir sie wahrnehmen. „Crunch time players“ sind diejenigen, die aufstehen und klare Linien ziehen, die etwas bewegen – jedoch nicht konfrontativ, sondern inklusiv.

Unternehmer, Geschäftsführer und Personalleiter sind hier in besonderer Weise gefordert. Sie geben Richtung und Kultur in der Organisation vor. Ihr Wort hat Gewicht, und zwar besonders dann, wenn es über die Satzbausteine der CSR-Broschüren und Diversity-Kodizes hinausgeht. Sie haben Verantwortung in zweierlei Hinsicht: Einerseits gilt es, gegen Rassismus, Populismus und Extremismus aufzustehen; andererseits ist es wichtig, konkrete Gegenangebote zu machen.

Es ist gut, dass sich etwa die Personalvorstände von Bayer und VW nach den Ereignissen von Chemnitz und Köthen deutlich positioniert haben. Ebenso haben die führenden Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände im Namen ihrer Mitglieder Farbe bekannt. Und auch in zahlreichen KMU finden sich positive Beispiele. So stärkt etwa die Uhrenmanufaktur Nomos im sächsischen Glashütte ihren Mitarbeitern bewusst den Rücken gegen rechte Hetze und schult sie mit Faktenchecks und Argumentationshilfen gegen AfD-Polemik. Die Berliner Agentur TLGG organisierte einen Betriebsausflug zum Konzert „Wir sind mehr“ in Chemnitz, entwickelte ein Positionspapier und Plakate gegen rechts. (Was, liebe Personalentwickler, neben der klaren Positionierung und dem gesellschaftlichen Abstrahleffekt intern vermutlich mehr Teambuilding-Wirkung hat als jeder teuer eingekaufte Floßbau-Workshop.)

Unternehmerisch handeln heißt verantwortlich handeln

Es geht um so grundlegende Dinge wie Demokratie, Rechtsstaat und soziales Miteinander. Genauso wichtig ist deshalb die gesellschaftliche Prävention durch unternehmerisches Handeln. Integration gelingt immer noch zuerst über Arbeit. Jedes Unternehmen, das Geflüchtete qualifiziert, ausbildet und beschäftigt – ein durchaus nicht immer einfacher Weg –, trägt zur gesellschaftlichen Stabilisierung bei (im September waren über 31 000 Geflüchtete in Ausbildung, 4000 mehr als im Vorjahr). Und auch ein Unternehmen, das – wie etwa Rewe Dortmund – gezielt Langzeitarbeitslose qualifiziert, übernimmt Verantwortung und beugt einer weiteren gesellschaftlichen Spaltung vor. Denn oft sind es erst Armut und Perspektivlosigkeit, die Hass und Extremismus schüren.

Wichtig ist, dass es nicht bei Sonntagsreden bleibt. „Crunch time“ heißt, den Blick zu weiten, voranzugehen, Chancen zu eröffnen und dabei auch ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen. All das, was erfolgreiche Unternehmer ohnehin schon tun. Und übrigens immer schon getan haben – nachzulesen im Leitbild des „Ehrbaren Kaufmanns“ aus dem 12. Jahrhundert.