Personalwirtschaft: An welchen Stellen hat das Personalmanagement Einfluss auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens?
Alexander Fliaster: Innovation bedeutet Entwicklung und Umsetzung von kreativen, sprich: neuen und nützlichen Ideen. Dies ist keinesfalls ein rein technischer, sondern ein zutiefst sozialer Prozess. Folgerichtig zeigen Studien, dass zu den wichtigsten Voraussetzungen für Kreativität und Innovation gut funktionierende Beziehungen zwischen den Akteuren zählen. Dazu gehören sowohl die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern als auch zwischen den Mitarbeitern und den Führungskräften. Und gerade weil Kreativität und Innovation eine kollektive Veranstaltung sind, ist HR gut beraten, sich nicht durch Modetrends leiten zu lassen, sondern zu versuchen, auf die fundamentalen Aspekte der zwischenmenschlichen Kooperation einzugehen. Insofern sollte sich der Innovationsbeitrag des Personalmanagements mindestens auf zwei Kernthemen ausrichten: die Entwicklung des Humankapitals der Innovationsakteure und die Förderung des Sozialkapitals, also der Kollaborationen in informalen Netzwerken. Bei beiden Themen sehe ich Nachholbedarf.
Welche Modetrends meinen Sie?
Talent Management, wie es häufig praktiziert wird, ist von der Grundidee her stark auf einzelne „Superstars“ fokussiert. Versteht man Kreativität und Innovation in Unternehmen nicht als eine Domäne von einigen wenigen Primadonnen, sondern als einen kollektiven Prozess, rücken soziale Interaktionskompetenzen in den Vordergrund. Hier geht es um die Fähigkeit, Innovationswiderstände und „hidden agendas“ ihrer Träger zu diagnostizieren und zu überwinden sowie die Unterstützung von Machtpromotoren zu sichern. Ebenso muss man Fachpromotoren für den informalen Ideenaustausch gewinnen, Konflikte austragen und mit fachlich brillanten, aber menschlich schwierigen Experten konstruktiv umgehen können – nur um einige Core Skills zu nennen. Studien zeigen, dass man mit ungeliebten Kollegen, die man als „Jerks“ sieht, keine kreativen Ideen austauscht, sondern einen großen Bogen um sie macht, egal wie fachlich kompetent diese Kollegen sind. Dass durch die fehlende Netzwerkkompetenz von den Beteiligten ein großes Potenzial verloren geht, liegt auf der Hand. Daher gilt es, diese innovationsrelevanten Kooperationskompetenzen sowohl bei Führungskräften als auch bei Mitarbeitern gezielt zu fördern. Die Führungskräfte- und Personalentwicklung sind genuine Bereiche des Personalmanagements, hier kann also noch viel mehr zur Innovationsstärkung geleistet werden.
Wo liegt der Unterschied zwischen informalen Kooperationen und internen digitalen Wissensplattformen?
HR-Maßnahmen zur Innovationsförderung sollten sich stärker daran orientieren, was das Wesen von Innovation ausmacht. Theorie und Empirie sind sich einig: Vielfach entsteht Innovation nicht „out of nowhere“, sondern stellt eine Neukombination von Ideen dar, die zum Teil bereits anderswo vorhanden sind. So können beispielsweise für technische Lösungen oder Prozesse aus einer Branche völlig neue Anwendungen in einer anderen Industrie gefunden werden und umgekehrt. Damit diese Wissenskombination funktioniert, können soziale Medien und IT-gestützte Plattformen, über die Mitarbeiter neue Ideen austauschen oder Probleme diskutieren, speziell in großen Unternehmen einen sehr positiven Innovationsbeitrag leisten. Aber eine IT-Plattform ist nur ein Mittel zum Zweck, und zwar eines von vielen. Auch hinter dem informalen Wissensaustausch und virtuellen sozialen Netzwerken stecken die fundamentalen Themen der zwischenmenschlichen Kooperation. Warum mit Kollegen Wissen und Erfahrungen teilen und mit wem genau? Welche Vernetzungsstrukturen sind besonders effektiv und effizient? Hier kann die Netzwerk- und Sozialkapitaltheorie meines Erachtens einen sehr großen Beitrag zum Verständnis von Mechanismen der Wissenskombination und damit – speziell auch „in der Hand“ des Personalmanagements – zur Innovation liefern.
Welche Erkenntnisse bringt die Netzwerktheorie aus personalwirtschaftlicher Sicht im Hinblick auf die Innovationsförderung?
In den bisherigen Studien konnte eine Reihe von Netzwerkfaktoren ermittelt werden, die sehr relevant für Innovation und Kreativität sind. Aus der Sicht eines Wissensarbeiters sind insbesondere drei Aspekte von Bedeutung. Erstens: Über welche Wissensressourcen verfügen meine Netzwerkkontakte? Wie kompetent sind sie? Wie vielfältig und reichhaltig ist das Wissen, das sie teilen könnten? Es reicht aber nicht, Topexperten zu kennen – diese Netzwerkkontakte müssen auch willens sein, mit dem Innovator zu kooperieren, ihr Feedback und ihre Anregungen zu geben.
Hier setzt der zweite Faktor an: Sind meine Beziehungen zu den Netzwerkpartnern vertrauensvoll? Verbindet uns nur der Workflow oder auch Sympathie oder Freundschaft? Erlauben die einzelnen Beziehungen auch implizites Wissen und nicht nur PDF-Dateien zu übertragen?
Der dritte Enabler des Sozialkapitals zielt auf die Beziehungen unter den Netzwerkkontakten: Wenn beispielsweise alle fünf meiner Netzwerkpartner seit Längerem miteinander eng verbunden sind und sich ständig miteinander austauschen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie als Ideengeber weitestgehend redundante Informationen liefern. Zahlreiche empirische Studien zeigen jedoch, dass bahnbrechende und disruptive Innovationen aus Wissenskombinationen resultieren, die durch Kooperation mit Akteuren aus anderen Produktsparten, Funktionsbereichen, Technologiefeldern, Kunden- und Industriesegmenten zustande kommen. Dieser Zusammenhang wird als Überbrückung von Löchern in formalen und informalen Organisationsstrukturen verstanden. Die Forschung hat nachgewiesen, dass Mitarbeiter, die es schaffen, Brücken über derartige strukturelle Löcher zu bauen und dabei als Wissens-Broker aufzutreten, eine höhere Kreativität an den Tag legen. Diese Wissens-Broker erzielen Lernvorteile, indem sie Ideen aus verschiedenen, bisher voneinander weitestgehend getrennten Netzwerk-, sprich: Wissensregionen verknüpfen und dadurch Innovationen hervorbringen.
Wie kann HR diese grenzüberschreitenden Prozesse fördern?
Neben der Förderung der Interaktions- und Netzwerkkompetenzen von Mitarbeitern und Führungskräften spielt das Thema Unternehmenskultur eine extrem wichtige Rolle. Studien zeigen, dass der Austausch und die Kombination von Wissen durch eine Atmosphäre des Vertrauens sowie die gemeinsame Sprache zwischen den Mitarbeitern sehr positiv beeinflusst werden. Ein Klima, das durch permanenten mikropolitischen „Nahkampf“ geprägt ist, wird dagegen schwerlich Kreativität beflügeln. Neben der Förderung der Kooperationskultur kann das Personalmanagement dazu beitragen, die Brücken über die strukturellen Löcher der Mitarbeiter zu bauen und dadurch mehr kreative Wissenskombinationen zu ermöglichen. Klassische Instrumente der Personalarbeit wie Jobrotation oder auch klassische Instrumente des Innovationsmanagements wie Cross-Functional-Teams können speziell unter diesem Gesichtspunkt eingesetzt und bewertet werden. Darüber hinaus kann die Exploration von informalen Netzwerken in den Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von Change-Initiativen spielen und damit zu einer schnelleren und nachhaltigen Diffusion von fortschrittlichen Management-Ansätzen sowie anderen organisatorischen und technologischen Innovationen beitragen.
Das Interview führte Christiane Siemann, freie Journalistin.