Unternehmen legen zunehmend Wert auf sogenanntes „extraproduktives“ Verhalten ihrer Arbeitnehmer: Der ideale Mitarbeiter soll Eigeninitiative zeigen. Er soll die Extrameile gehen, innovativ sein, denken wie ein Unternehmer und keine Angst vor Misserfolg haben. Doch Mitarbeiter finden sich diesbezüglich oft in einem sozialen Dilemma wieder: Auch wenn es für alle Beteiligten auf lange Sicht vorteilhaft wäre, ist für den Einzelnen dieser zusätzliche Aufwand unattraktiv – und zumeist nicht Teil seiner Stellenbeschreibung. Da die Kooperationsbereitschaft eines Mitarbeiters aber wesentlicher Erfolgsfaktor für eine eigenverantwortliche und ergebnisorientierte Teamarbeit ist, stellt sich die Frage, wie man dieses Verhalten fördern kann. Der Weg führt über die Analyse der einzelnen Kooperationstypen im Unternehmen.
Wir sind alle Geber, Nehmer und Tauscher
Menschen unterscheiden sich darin, inwieweit sie bei ihren Handlungsentscheidungen ihren eigenen Interessen oder den Interessen anderer mehr Bedeutung beimessen. In seinem wissenschaftlich fundierten wie gleichermaßen anschaulich illustrierten Bestseller „Give and Take“ charakterisiert Adam Grant die prototypischen Vertreter als Geber und Nehmer.
Geber behalten bei ihren Verhaltensentscheidungen die Interessen der anderen im Blick. Sie unterstützen andere, ohne dafür eine sofortige Gegenleistung zu erwarten.
Nehmer hingegen verfolgen in erster Linie ihre eigenen Interessen. In der Zusammenarbeit mit anderen sind sie darauf bedacht, mehr davon zu profitieren als sie investieren. Diese Prototypen lassen sich auf unterschiedliche soziale Werteorientierungen zurückführen: Nehmer agieren primär egoistisch, da ihren Handlungen reines Eigeninteresse zugrunde liegt. Geber hingegen differenzieren sich weiter in zwei Subtypen: Wenn sie bei ihren Verhaltensentscheidungen die Ergebnisse für andere (etwa ihre Kollegen) stärker als die eigenen Resultate bewerten, haben sie eine altruistische Orientierung. Adam Grant bezeichnet diese Typen als selbstlose Geber, die Gefahr laufen, von ihren Kollegen ausgenutzt zu werden. Wenn sie zu viel Zeit für die Unterstützung anderer aufwenden, geht dies zu Lasten ihrer Produktivität und führt zu Erschöpfung und Burn-out. Alternativ zeigen Geber eine prosoziale Wertorientierung, indem sie gemeinsame Handlungsergebnisse betonen und eine Gleichheit der Ergebnisse für sich selbst und andere anstreben. Diese fremdbezogenen Geber agieren unterstützend, wenn ihre persönlichen Kosten geringer sind als der Nutzen, den sie für andere erzielen können. Sie erkennen schnell potenzielle Win-win-Situationen, dies motiviert sie und trägt zu ihrem Erfolg bei.
Laut Adam Grant entwickeln die meisten Mitarbeiter im Verlauf ihres Berufslebens die Strategie eines vierten Typs, des Tauschers. Tauscher sind darauf bedacht, ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis gegenseitiger Unterstützung am Arbeitsplatz herzustellen. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass egoistisches Nehmer-Verhalten von Kollegen und Vorgesetzen abgelehnt und sanktioniert wird. Tauscher verhalten sich nach dem Prinzip „Wie du mir, so ich dir“. Sie kooperieren – aber nur, wenn sie sicher sind, dass sich ihr Gegenüber revanchieren wird. Das liegt daran, dass ein ausgeglichenes Verhältnis von Geben und Nehmen in den meisten Unternehmen der sozial akzeptierten Norm entspricht. Tauschen ist sozusagen das neue Nehmen. Für die Gesamtorganisation ist jedoch kooperatives Geben weitaus effizienter als Tauschen.
Die Mischung macht’s
Die wenigsten Menschen zeichnen sich jedoch durch einen derartig eindeutigen und über alle Situationen und Kontexte hinweg konsistenten Interaktionsstil aus. Jeder Mensch vereint vielmehr jede dieser Werteorientierungen in einem individuellen Kooperationsprofil. Die relative Ausprägung dieser Tendenzen kann dabei als Indikator für die Wahrscheinlichkeit herangezogen werden, ob sich eine Person in einer Situation eher egoistisch, kooperativ oder altruistisch verhalten wird. Das Kooperationsprofil einer Person ist über die Zeit einigermaßen stabil und lässt sich durch psychodiagnostische Testverfahren individuell bestimmen und visualisieren.
Jenseits dieser relativ schwer änderbaren Persönlichkeitsunterschiede spielen jedoch eine Reihe situativer Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie sich eine Person in einer konkreten Situation verhalten wird. Und auf die kann HR Einfluss nehmen.
Wie kann HR damit arbeiten?
Die Transformation von einer Tauscher- zur Kooperationskultur erfordert die simultane Berücksichtigung individueller und kollektiver Interessen und deren Verankerung im Normen- und Wertesystem des Unternehmens. Dazu reicht es nicht, in einem feierlichen Akt Kooperation in das Wertesystem und die Führungsgrundsätze aufzunehmen. Vielmehr erfordert es einen konzertierten Personal- und Organisationsentwicklungsprozess, dessen Ausgangspunkt eine ganzheitliche Diagnostik des derzeitigen Kooperationsverhaltens auf Team-, Abteilungs- und Organisationsebene darstellt. Im Verlaufe dieses Kulturveränderungsprozesses werden derzeitig gültige Verhaltensnormen im Unternehmen hinterfragt, angepasst und durch die Implementierung von kooperationsförderlichen Belohnungsmechanismen nachhaltig unterstützt. Das Ziel besteht darin, soziale Dilemmas zu erkennen und attraktive Alternativen zu schaffen.
Dabei spielt die Diagnostik auf der Ebene der individuellen sozialen Werteorientierung insofern eine wichtige Rolle, als sie Reflexionsprozesse des einzelnen Mitarbeiters fördert. Primär selbstorientierte Menschen neigen dazu, bei ihren Mitmenschen ebenfalls egoistische Motive zu vermuten, weswegen sie sich häufig gegen kooperatives Verhalten entscheiden. Je nach Konstellation der Interaktionspartner kann dies jedoch zu einer Negativspirale führen, in der es nie zu kooperativen Handlungen kommt. Derartige unfruchtbare Grundannahmen können in Individualcoachings hinterfragt werden.
Die Analyse des tatsächlichen Kooperationsverhaltens auf der Teamebene bildet die Grundlage zur Entwicklung maßgeschneiderter Teaminterventionen. Aufgrund ihrer Multiplikations- und Vorbildfunktion kommt dabei der Zusammenarbeit im Führungsteam eine besondere Schlüsselfunktion zu. Die Regeln der Zusammenarbeit werden auf die Anforderungen der Abteilungsebenen angepasst, teaminterne aber auch abteilungsübergreifend erfolgskritische Kooperationserfordernisse identifiziert und konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung der Zusammenarbeit entwickelt. Dabei stehen Commitment und der Aufbau gegenseitigen Vertrauens in Bezug auf das Gesamtergebnis im Mittelpunkt. Schließlich müssen Führungskräfte dazu befähigt werden, kooperatives und proaktives Mitarbeiterverhalten zu fördern und systematisch in Leistungsbeurteilungen zu berücksichtigen. Denn eine erfolgversprechende Entwicklung zur Kooperationskultur erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, ergänzt durch konsequentes Nachhalten des Fortschritts durch Verlaufskontrollen.