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Neues Hobby: Datenarbeit

Illustration von einem Mann mit Laubbläser
Bild: AdrianHillman/istock

Endlich ein Hoffnungsschimmer. Wochenlang haben Sie nach einem
Kandidaten für die offene Stelle in der IT-Security gesucht. Der Markt
der heiß begehrten Nerds ist einfach leergefegt. Doch dann der rettende
Tipp Ihres Kollegen: „Probier“ doch mal das neue Sourcing-Programm aus.
Das spürt auch Leute auf, die nicht auf dem Markt sind, und zeigt dir
sogar, wie wechselwillig sie sind.“ Und siehe da: Der Algorithmus spuckt
Ihnen tatsächlich ein geeignetes Profil aus, Wechselwahrscheinlichkeit:
95 Prozent!

Hard Skills, Soft Skills, Wohnort in Firmennähe – alle Parameter des
Kandidaten passen genau zur Stelle. Jetzt müssen Sie nur noch Kontakt
aufnehmen und ihm den Wechsel zu Ihrer Firma schmackhaft machen. Sie
klicken auf den Link zum Xing-Profil, den die Software praktischerweise
mitliefert. Doch was ist das? Vom Bildschirm lächelt Ihnen Ihr Kollege
Müller aus der IT-Security entgegen. Mit dem waren Sie erst vorhin in
der Kantine. Voila: Ihr perfekter Kandidat …

Das Gedankenspiel klingt unrealistisch? Ist aber genauso schon passiert.
Moderne Softwareprogramme helfen beim Sourcen und berechnen über
Methoden wie Web Mining die Wechselwahrscheinlichkeit von Mitarbeitern.
Was mitunter zu Überraschungen führt.

Big Data: Riesenwuchs in HR?

Wo Personaler früher im Dunkeln tappten, zum Beispiel bei der
Wechselbereitschaft ihrer Mitarbeiter, sorgen neue Analysetools für
erhellende Momente. Die eingesetzten Verfahren gehen von
Zeitreihenanalysen über Simulationsverfahren bis hin zu Data Mining.
Sollen diese Methoden auf einen Begriff gebracht werden, begegnet einem
allerdings ein bunter Strauß voller Buzzwords: HR Analytics, People
Analytics, Business Intelligence, HR Intel – ligence, Workforce
Analytics, Talent Analytics, Recruiting Analytics und das Schlagwort
schlechthin: Big Data.

„Im Vergleich zu anderen Bereichen wie Providern sozialer Netzwerke
haben wir es in HR nicht wirklich mit Big Data zu tun“, sagt Stefan
Strohmeier, Lehrstuhlinhaber für BWL, insbesondere
Management-Informationssysteme, an der Universität Saarbrücken. Klar sei
allerdings, dass die Datenmenge auch in HR wachse, heterogener werde
und sich die Datenentstehung beschleunige. Womit in Zukunft vielleicht
eher die Kriterien erfüllt seien, über die Big Data häufig definiert
werden. „Big Data finden sich im Personalbereich noch am ehesten im
Recruiting, weil man dort auf größere Datenmengen aus sozialen
Netzwerken zurückgreifen kann“, sagt Strohmeiers Kollege Torsten
Biemann. „Bei den eigenen Mitarbeitern ist das aber kaum der Fall“, so
der HR-Professor von der Universität Mannheim.

Nichtsdestotrotz birgt der zunehmende Datenzuwachs für Personaler das
Potenzial, ihre Arbeit auf ein breiteres Fundament zu stellen: mehr
Informationen. Doch wenn nicht über Big Data, worüber reden wir dann?

Den Begriffsstrauß zurechtstutzen

Grundsätzlich befinden wir uns im Bereich der Business Intelligence
(BI), einem Teilbereich der Wirtschaftsinformatik. BI setzt strategische
Konzepte und Softwaresysteme ein, um Daten zu erfassen und zu
analysieren mit dem Ziel, bessere Geschäftsentscheidungen treffen zu
können. Klassischerweise bezieht sich BI auf die Analyse der eigenen
Geschäftsbereiche, des Marktes und der Mitbewerber, fokussiert also
stark das Business, nicht Bereiche wie HR.

Mit den neuen Möglichkeiten zur Auswertung HR-relevanter Daten
verändert sich das. HR kann Erkenntnisse für bessere
personalwirtschaftliche Entscheidungen gewinnen, von der kleinen Frage,
ob jemand einen Weiterbildungskurs machen soll, bis zu den großen
strategischen Entscheidungen. Information ergänzt oder ersetzt
Intuition. In Deutschland lautet der gängigste Begriff für diese Art der
softwaregestützten Datenarbeit „HR Analytics“, international wird eher
von „People Analytics“ gesprochen. Beide Begriffe meinen aber dasselbe.
Schlagwörter wie Talent oder Recruiting Analytics beziehen sich hingegen
auf Anwendungen in einzelnen Bereichen des Personalmanagements.

Im
Gegensatz zum Personalcontrolling liefern HR Analytics weniger
Kennzahlen und vergangenheitsbezogene Reportings: „Bei HR Analytics geht
es stärker darum, Beziehungen, Kausalitäten, Einflüsse und Wirkungen
zwischen verschiedenen Bereichen aufzuspüren“, so Professor Biemann, der
Mannheimer Personalforscher. „Die Datenverwendung richtet sich dabei
häufig in die Zukunft, fällt also in den Bereich der Predictive
Analytics.“ Prädiktive Analysen sind eine der drei Grundformen, in die
Analytics meist unterteilt werden. Hinzu kommen die sogenannten
Descriptive Analytics und die Prescriptive Analytics.

HR-Maßnahmen aufblühen lassen

Die neuen Datenauswertungen machen bislang verborgene gebliebene
Effekte der Personalarbeit sichtbar. Mit HR Analytics können Personaler
zeigen, dass ihre Maßnahmen einen konkreten Mehrwert für das Unternehmen
haben.

Dazu ein Beispiel aus der Forschungspraxis: In einem
produzierenden Unternehmen hat ein Team um Professor Biemann und
Professor Woywode evaluiert, wie die Einführung von kurzen täglichen
Morning-Meetings die Leistung beeinflusst. Dazu wurden
Produktivitätskennzahlen gemessen: Wie viel wurde produziert (Quantität)
und wie häufig traten Fehler auf (Qualität)? Ergebnis: Die Abteilung
Organisation und Entwicklung konnte zeigen, dass das, was sie macht,
einen Einfluss hat. Die Morning-Meetings wirkten sich positiv auf die
Produktivität aus.

Ähnlich die Erfahrungen von Professor
Strohmeier: In einem von ihm begleiteten Unternehmen ging es um
Absentismusdaten. Bislang hatte der Betrieb Abwesenheitshäufigkeiten und
Abwesenheitsdauer getrennt voneinander analysiert, man wusste nicht,
wie sie zusammenhängen. Die Wissenschaftler haben dann die beiden Größen
in einem Clusteranalyseverfahren untersucht (Cluster von Mitarbeitern:
„fehlen häufig und kurz“, „fehlen selten und lang“ et cetera). Letztlich
haben sie daraus ein Konzept entwickelt, das spezifisch auf die
verschiedenen Cluster zugeschnitten ist und Absentismus reduziert.

Einiges
deutet darauf hin, dass diese Form von HR – die „informationsbasierte“
Personalarbeit (Strohmeier) oder „evidenzbasierte“ Personalarbeit
(Biemann) – in den kommenden Jahren immer wichtiger wird. Denn der
HR-Analytics-Ansatz lässt sich auf alle HR-Bereiche anwenden, vom
Recruiting bis zu Compensation & Benefits.

Andere
Unternehmensbereiche nutzen das Potenzial von Business Analytics schon
länger und intensiver (siehe Abbildung). Zwar gibt es Unternehmen in
Deutschland, allen voran die Konzerne wie Siemens, BASF, Lufthansa oder
Bosch, die den Analytics-Ansatz mehr und mehr verfolgen und „HR Data
Analysts“ oder „Scientists“ beschäftigen. Doch bislang geschieht es eher
in Einzelprojekten, zu bestimmten Bereichen und Größen der
Personalarbeit. Für die Mehrzahl der HRler ist Datenarbeit noch immer
Nebensache. Die Frage lautet daher: Wie machen sie ihr Hobby zum Beruf?

Schlüssel zur zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit, 2016
Eine Anwenderstudie des Business Application Research Centers zeigt: Vor allem der Finanzbereich, die IT und das Management nutzen Advanced Analytics (fortgeschrittene Analysen, zum Beispiel prädiktive). HR hat den größten Nachholbedarf. / Quelle: BARC GmbH: Advanced & Predictive Analytics.
Schlüssel zur zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit, 2016
Eine Anwenderstudie des Business Application Research Centers zeigt: Vor allem der Finanzbereich, die IT und das Management nutzen Advanced Analytics (fortgeschrittene Analysen, zum Beispiel prädiktive). HR hat den größten Nachholbedarf. / Quelle: BARC GmbH: Advanced & Predictive Analytics.

Das Datentreibhaus aufbauen

Wichtigste
Voraussetzung für korrekte und aussagekräftige Analysen ist laut
Experten und Beratern die Qualität der Daten. Doch die scheint bislang
noch in sehr vielen Unternehmen stark optimierbar zu sein. „Es ist zwar
hinlänglich bekannt, wie wichtig es ist, in HR über Fähigkeiten zur
Analyse, zum Modellieren und zum Treffen von Prognosen zu verfügen“,
erklärt Dr. Rainer Strack, Senior Partner und Managing Director der
Boston Consulting Group in Düsseldorf. „Doch nur wenige verfügen über
die benötigten Fertigkeiten, Werkzeuge, Technologien und eben die
Dateninfrastruktur, um diese Aufgaben wirklich zu meistern.“

Darüber
hinaus erschöpfe sich das Thema Analytics bei deutschen Personalern
meist in einem Berichtswesen mit Übersichten zu Altersverteilungen oder
Gender-Auswertungen. Richtiges Controlling mit konkreter
Maßnahmenableitung sehe anders aus. „Um alle drei Formen der Analytik
wirklich effizient nutzen zu können“, betont deshalb Joachim Skura, HCM
Cloud Strategy Director bei Oracle, „müssen HR-bezogene Daten stärker
mit geschäftlichen Daten verknüpft werden.“ Denn da beide Bereiche
einander beeinflussen, so Skura, müssten auch die Daten aus beiden
Bereichen kommen.

Wachstumshemmer und Unkraut

Nun weiß
allerdings jeder Personaler, dass bei der Verarbeitung
personalwirtschaftlicher Daten nicht alles, was möglich ist, auch
erlaubt ist. Datenschutz und Mitbestimmung setzen der
Informationsbeschaffung enge Grenzen. Das Bundesdatenschutzgesetz und
die EU-Datenschutzgrundverordnung schränken die Auswertungsmöglichkeiten
ein, um personenbezogene Daten zu schützen. Außerdem fallen diese
Informationen unter die betriebsrätliche Mitbestimmung. Datenexperten
fordern daher für HR Analytics einen klaren Code of Conduct.

Das
sensible Thema Datenschutz mag ein Grund dafür sein, dass Personaler
sich bisher zurückhalten, wenn es ans Durchforsten der Datenhaufen geht.
Ein anderer Grund besteht in einer gewissen Ehrfurcht vor der Domäne
der Statistiker, Mathematiker und Informatiker: „Viele Personaler haben
starken Respekt davor, mit Daten zu arbeiten“, meint Torsten Biemann.
Neben der Gefahr, Persönlichkeitsrechte zu verletzen oder sich beim
Umgang mit der Technik zu blamieren, scheuen HRler aber auch das
Projekt- und Kostenrisiko. Einfach ausgedrückt: Was, wenn der teure
Algorithmus am Ende nichts ausspuckt? „Wenn in den Daten keine Muster
vorhanden sind, findet man auch keine“, warnt Stefan Strohmeier. Auch
eher unangenehm: die mögliche Erkenntnis, dass die eigenen
Personalmaßnahmen gar nichts bewirken. HR Analytics machen eben viele
Dinge transparent.

Eine weitere Gefahr liegt darin, die
Ergebnisse der Datenauswertung zu sehr in den Vordergrund zu stellen.
„Es gibt hundert Gründe, warum ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt.
Wenn man durch Datenanalysen einen Faktor X ermittelt und sich auf
diesen fokussiert, vergisst man all die anderen“, erklärt Professor
Biemann. „Ich habe auch den Eindruck, dass das, was der Markt an Tools
anbietet, zwar zur Identifikation von Einzelfaktoren dient, dass dabei
aber viele Dinge verdeckt bleiben“, fährt er fort.

Neue Zweige im Job HR

Sowohl auf
Anbieterseite als auch auf Seiten der Anwender bleibt einiges zu tun,
bis HR die (gesetzlich zulässigen) Früchte der Datenarbeit ernten kann.
Die Profession von Personalverantwortlichen bewegt sich aber deutlich in
Richtung Datenanalyse. Intuition und Menschenkenntnis werden künftig
stärker mit tiefgehenden Informationen überprüft und kombiniert,
HR-Management wird deutlich datenbasierter werden. In der Studie „Global
Human Capital Trends 2016“ von Deloitte haben bereits 70 Prozent der
Befragten aus Deutschland angegeben, dass sie People Analytics für einen
(sehr) wichtigen Trend halten (globaler Durchschnitt: 77 Prozent).

Nicht
nur der Job HR, auch die personalwirtschaftlichen IT-Lösungen verändern
sich durch die Datenarbeit. „Berater und Anbieter sollten nicht nur
Versprechungen machen, sondern konkrete Anwendungsszenarien entwickeln
und in die Standardsoftware implementieren“, sagt HR-IT-Wissenschaftler
Stefan Strohmeier. Und Personaler wie Arbeitnehmervertreter sollten
bereit sein, die Chancen und Risiken abzuwägen. „Es gibt manchen Nutzen,
ohne den Mitarbeiter gläsern zu machen und die Privatsphäre zu
verletzen“, so Strohmeier.

Wer sich die passenden Werkzeuge
beschafft und den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte im Blick
behält, kann die Qualität seiner Entscheidungen verbessern – und damit
sein Personalmanagement. Die letzte Entscheidung sollten HRler
allerdings nicht den Algorithmen überlassen, schon im eigenen Interesse.
Zum Beispiel die, wie Sie Ihre fünfprozentige Chance nutzen, den
Kollegen Müller aus der IT zum Bleiben zu bewegen.

Big Data: Was heißt hier groß?

Big
Data („große Daten“) sind Massendaten, die sich nicht mit händischen
Methoden und konventionellen Datenbanksystemen auswerten lassen. Als
Kriterien gelten häufig die drei Vs:

  • Volume (Größe): Die Datenmenge ist besonders groß. Als
    Richtwert wird oft ein Datenzuwachs von 500 Terabyte pro Woche genannt.
    Das entspricht rund 500 externen Festplattenspeichern (aus der
    Preisspanne 55–70 Euro).
  • Velocity (Schnelligkeit): Die Daten entstehen schnell
    (in Echtzeit) und müssen mitunter schnell verarbeitet werden, was
    beispielsweise täglich bei Facebook, Twitter und Co. geschieht.
  • Variety (Heterogenität): Die Daten sind vielfältig
    beschaffen (un-, halb-, voll strukturiert) und stammen aus
    verschiedenartigen Quellen: Datenbanken, E-Mails, Blogtexte, Podcasts,
    Videos, soziale Netzwerke et cetera.

Analytics: Drei Grundformen

  • 1. Descriptive Analytics (beschreibend): Deskriptive
    Analysen setzen Modelle und Verfahren ein, mit denen Erkenntnisse über
    die Vergangenheit und Gegenwart gewonnen werden. Beantworten die Frage:
    Was passiert(e)? Zu den Methoden zählen etwa periodische Reports,
    statistische Modelle, Aggregationsmethoden und Data Mining.
  • 2. Predictive Analytics (vorhersagend): Prädiktive
    Analysen erstellen Prognosen auf Grundlage von erkannten Mustern
    (Trends, Zusammenhänge, Cluster). Beantworten die Frage: Was könnte
    beziehungsweise was wird passieren und weshalb? Verfahren sind zum
    Beispiel Web Mining, Zeitreihenanalysen oder Szenariosimulationen.
  • 3. Prescriptive Analytics (hinweisgebend): Präskriptive
    Analysen liefern dem Anwender Handlungshinweise und -alternativen.
    Bieten Antworten auf die Frage: Was sollte man tun? Zu den Verfahren
    zählen optimierende Algorithmen, Simulationen und
    entscheidungsanalytische Methoden.

Von: Christoph Bertram und Ulli Pesch

+++ Die digitalisierte Arbeitswelt und die Anforderungen an HR, sich
digital aufzustellen, ist auch Thema des umfangreichen und kostenlosen Whitepapers „HR-Digitalisierung
– Die wichtigsten Basics für das Personalmanagement 4.0“
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