Frage an die HR-Werkstatt: „Wie kann Coaching dabei unterstützen, dass mit dem Strukturwandel verbundene Anforderungen nicht nur formuliert, sondern auch umgesetzt werden?“
Es antworten: Paul Fortmeier und Dr. Ronny Jahn, Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V. (DGSv)
Ob gewollt oder nicht gewollt, im Zuge neuer Modelle der Zusammenarbeit sind Organisationen regelmäßig herausgefordert, etablierte Leitbilder, Strukturen und Prozesse zu überprüfen. In fast allen Branchen ist die digitale Transformation ein Thema. Der Ruf nach Kulturwandel, Agilität und New Work bewegt Unternehmen und Personalmanager. Nicht selten werden in Unternehmen Strukturen eingeführt, die versprechen, Verantwortungsübernahme, Entscheidungsfreude und Kreativität zu fördern. Pointiert lautet das Ziel dann: Erhöhung von Flexibilität, Schnelligkeit und Kundenorientierung durch flache Hierarchie, selbststeuernde Teams und Beendigung von „Silodenken“. Viele Unternehmen bekennen sich gern und ohne Weiteres zu dieser Idee und zu „erfrischenden“ Prozessdefinitionen, zu Modernisierung und Wandel. Ebenso wenig haben insbesondere Führungskräfte Schwierigkeiten, die mit dem Strukturwandel verbundenen Anforderungen an ihr Handeln in Worte zu fassen: zuhören statt ansagen, ermöglichen statt entscheiden, übersetzen statt durchsetzen, moderieren statt eskalieren, vertrauen statt misstrauen, kurz: dienen statt bedienen lassen. Allein die Umsetzung fällt so schwer.
Identifizieren Sie die Gründe für den Widerstand gegen Veränderung
Gute Absichten und Vorsätze ändern noch kein Verhalten. Hinzu kommt, dass gerade im Zuge der agilen Idee keine Anweisungen mehr gegeben werden sollen und Appelle wenig nützen. Wir sehen fünf mögliche Ursachen für Widerstand gegen Veränderung: Lippenbekenntnis statt realer Absicht. Das ist der Fall, wenn neue Organisationsmodelle nicht eingeführt werden, um den Arbeitsalltag zu erleichtern oder die Kunden schneller zu bedienen oder zufriedener zu stellen. Die neue Form des Organisierens dient vielmehr der Außendarstellung: „Seht, wie modern wir sind!“
Ignorieren berechtigter Zweifel an der Funktionalität neuer Organisationsstrukturen. Dies trifft etwa dann zu, wenn flache Hierarchien eingeführt werden sollen, obwohl die Herausforderungen im Arbeitsalltag zwingend andere Organisationsformen erfordern. Man denke an das Einsatzgeschehen bei der Feuerwehr, das einer klarer Kommandostruktur folgen muss. Hier wären langwierige Selbststeuerungsprozesse im Ernstfall dysfunktional oder sogar gefährlich.
Überraschung. Die psychischen, sozialen und kulturellen Folgen des neuen Organisationsmodells überraschen die Organisationsspitze. Sie fällt buchstäblich aus allen Wolken. Dass beispielsweise der kommunikative Aufwand durch Mitarbeitereinbindung, Selbstorganisation und Auflösung starrer Abteilungsgrenzen im Vergleich zu einer Anweisungskultur steigt, hat man nicht bedacht. Fehlender Mut und mangelndes soziales Geschick. In diesem Falle fehlt es den Organisationsmitgliedern an Experimentierfreude und Kompetenzen, um das neugestaltete „Spielfeld“ produktiv zu bespielen.
Ungeduld. Hier wird der Unterschied zwischen Strukturveränderungen und Haltungsveränderungen nicht gewürdigt. Im Zuge des Change-Prozesses auftauchende Konflikte werden dann beispielsweise nicht als Ausdruck eines normalen Lernprozesses verstanden und behandelt, sondern als schnellstmöglich zu behebende Störung. Der „psychische Apparat“ jedes Organisationsmitglieds und die Organisationskultur im Ganzen sind jedoch träge und bleiben erstmal hinter der Unmittelbarkeit und dem Schwung, den eine neue Idee mit sich bringt, zurück. Haltungs- und Kulturveränderungen sind ohne Bildungsprozesse nicht zu haben. Sie brauchen Zeit. Wie also soll man umgehen mit Dynamiken, die häufig als Widerstand erlebt werden und Ideal und Wirklichkeit auseinanderklaffen lassen? Wo kann gezieltes Coaching zum Gelingen von Veränderung beitragen?
Wo und wie Coaching nützlich ist – und wo es nicht weiterhilft
Coaching im ersten Fall des „Lippenbekenntnisses“ ist unnütz. Wird Coaching zur Implementierung neuer Organisationsstrukturen angeboten, obwohl diese gar nicht ernsthaft gewünscht sind, treten Schein und Sein auseinander. Steigende Mitarbeiterfrustration ist die erwartbare Folge. Sinnvoll ist Coaching hingegen in den anderen Fällen, wenn im Rahmen von Change-Prozessen tatsächliche Fragen und reale Handlungsprobleme auftreten. Coaching als Instrument zur Begleitung von Change und damit immer auch Bildungsprozessen kann unter anderem in folgenden Formen hilfreich sein: Gruppencoachings finden in Form von Reflexionsrunden statt, in denen die relevanten Organisationseinheiten vertreten sind. Hier können Zweifel zu Wort kommen, aufgegriffen, diskutiert und auf Triftigkeit überprüft werden. Klingt trivial, ist es aber nicht. Schwer Besprechbares, das aber dringend zu besprechen ist, besprechbar zu machen, ist eine Kunst, bei der Coaching wirksam unterstützt. Als Diplomaten zwischen verschiedenen Interessen bieten professionelle Coaches hier seriöse Übersetzungsarbeit. Sie sensibilisieren für unterschiedliche Perspektiven und Handlungszwänge und machen konstruktive Gespräche möglich. Im Ergebnis werden „blinde Flecken“ – nicht nur bei einzelnen Personen, sondern möglicherweise auch im System – sichtbar und die Kommunikationsfähigkeit wächst. Vertrauen und Engagement nehmen zu, die Identifikation mit der Organisation und dem Change-Prozess steigt.
Coaching für Führungskräfte, unter vier Augen oder auch in einer Gruppe, gewährt jenseits von Schlagworten Raum, um neue Sichtweisen und Handlungsoptionen für alltägliche Herausforderungen und Handlungsprobleme angesichts neuer Organisationsstrukturen zu entwickeln. Die Coachees nehmen konkrete Handlungsempfehlungen für ihren Führungsalltag mit, probieren nach den Treffen verschiedene Handlungsmöglichkeiten aus, die beim nächsten Treffen auf Wirksamkeit und Reichweite überprüft werden und erhalten diskretes, aber ehrliches Feedback zu ihrem Führungshandeln. Der Coach fungiert als Sparringspartner und bietet der Führungskraft das, was sie im Alltag oft wenig erfährt: Kritik, Wertschätzung sowie Problemlösung auf Augenhöhe.
Beim mediengestützten Coaching, sei es per Telefon, Videokonferenz oder schriftlich, ist der Coach flexibel an der Seite einer Führungskraft, die in herausfordernden Situationen oder angesichts bevorstehender wichtiger Entscheidungen ortsunabhängig und kurzfristig auf einen qualifizierten Gesprächspartner zurückgreifen kann. Insbesondere die Möglichkeit des schriftlichen Austausches öffnet Denkräume. Die Reflexion wird intensiviert, wenn Gedanken in Begriffe und damit auf den Punkt gebracht werden sollen. Sie werden im wahrsten Sinn des Wortes begreifbar. Darüber hinaus sind Coach und Coachee örtlich und zeitlich nicht aneinandergebunden und Reisekosten können gespart werden. Live-Coaching bietet Coachees Feedback zu ihrem realen Verhalten in realen Arbeitszusammenhängen. Insbesondere zwei Formen von Livecoaching haben sich bewährt. Erstens: Der Coach begleitet die Coachees – etwa bei einer Geschäftsleitungssitzung oder einem Teammeeting – wie ein Fußballtrainer die Fußballspieler an der Seitenlinie. Er gibt unmittelbar im Meeting Rückmeldungen zum Verlauf der Veranstaltung und bietet pragmatische Verbesserungsvorschläge. Zweitens: Der Coach nimmt an einem realen Arbeitszusammenhang als stiller Beobachter teil. Direkt im Anschluss daran gibt er den Coachees Rückmeldungen zu Gelungenem und Misslungenem. Livecoaching erleben viele Coachees als besonders pragmatisch und praxisorientiert.
Coaching oder doch eine andere Maßnahme?
Dass Kunden nicht immer wissen, welche Coachingform für ihr Anliegen die richtige ist, ist nicht erklärungsbedürftig. Professionelle Berater erörtern mit ihren Kunden in einem ersten Schritt, worin ihr Handlungsproblem liegt und bieten darauf bezogene Hilfe. Sie unterscheiden zwischen verschiedenen Unterstützungsangeboten und können nachvollziehbar erläutern, ob Coaching und in welcher Form für welches Anliegen passend ist.
Die Güte eines Coachs kann auch daran abgelesen werden, dass er oder sie nicht jedes Geschäft, das sich im Rahmen eines Change-Prozesses anzubieten scheint, in die eigene Tasche wirtschaftet. Er kann begründen, wann und an welchem Punkt seine Expertise hilfreich ist und wo gegebenenfalls andere Maßnahmen wie Training oder Fortbildung sinnvoller sind oder auch gänzlich anderer Sachverstand gefragt ist.
✓ Werkstatt-Check: Einsatz verschiedener Formen von Coaching |
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Gruppencoaching für Reflexionsrunden: Professionelle Coachs vermitteln bei schwer aber dringend zu besprechenden Themen, leisten „Übersetzungsarbeit“ und ermöglichen konstruktive Gespräche zwischen den relevanten Organisationseinheiten. |
Coaching für Führungskräfte: Die Coachees erhalten konkrete Handlungsempfehlungen für ihren Führungsalltag, probieren diese aus und erhalten ehrliches Feedback zu ihrem Führungsverhalten. |
Mediengestütztes Coaching: In herausfordernden Situationen oder angesichts bevorstehender wichtiger Entscheidungen erhält die Führungskraft ortsunabhängig und kurzfristig Unterstützung per Telefon, Videokonferenz oder schriftlich. |
Live-Coaching: Der Coach begleitet die Coachees zum Beispiel bei Meetings wie ein Fußballtrainer die Fußballspieler an der Seitenlinie oder er nimmt als stiller Beobachter teil. Die Rückmeldung vom Coach an die Coachees erfolgt schon im Meeting oder direkt im Anschluss daran. |
Autor
Paul Fortmeier ist Geschäftsführer und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching e. V. (DGSv), Köln. (Kontakt: paulfortmeier@dgsv.de)
Ronny Jahn ist Geschäftsführender Gesellschafter, P+O Gesellschaft für Personal- und Organisationsberatung mbH, Berlin. (Kontakt: jahn@p-und-o.de)