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Ritual mit positiver Wirkung

Bild: Jeanette Dietl/Fotolia.de
Bild: Jeanette Dietl/Fotolia.de

Die Saison der Jahresgespräche hat begonnen. Doch in Anbetracht dynamischer Märkte und agiler Strukturen erscheint dieses Führungsinstrument für viele nur noch wenig zeitgemäß. Zum Einsatz kommen Mitarbeitergespräche trotzdem – aus gutem Grund.

Das klassische Jahresgespräch – wie es in vielen Unternehmen oftmals im ersten Quartal stattfindet – zielt auf einen Dialog zwischen Mitarbeiter und Führungskraft ab. Die Zeiten, in denen der Chef einen Monolog gehalten und einseitig die Ziele für den Mitarbeiter definiert hat, sind vorbei.
Meist fest im Führungsprozess verankert geht es darum, das vergangene Jahr zu bilanzieren und Ziele für das kommende Jahr zu formulieren. Was diese angeht, handelt es sich meistens um Leistungsziele, sagt Prof. Dr. Klaus Moser vom Lehrstuhl Psychologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Das Jahresgespräch bezeichnen daher viele Unternehmen auch als Leistungsbeurteilungsgespräche. „Es geht dabei um eine bedeutsame Methode des Leistungsmanagements. Das anspruchsvolle und spezifische Setzen von Zielen kombiniert mit einer Rückmeldung ist eine sehr wirksame Form der Leistungsförderung“, weiß Moser. In gewissem Umfang könne das Resultat zudem mit einer Entlohnungskomponente verknüpft sein.

Für den Wissenschaftler sollten Mitarbeiter ebenfalls Interesse am Jahresgespräch haben. Denn: Einerseits tragen ihre Leistungen zum Erhalt des Arbeitsplatzes bei, andererseits erfahren sie Anerkennung. Fällt eine Beurteilung nicht so positiv aus, sollten Mitarbeiter dies von ihrer Führungskraft erfahren. Auf diese Weise können sie die Situation im kommenden Jahr verbessern. „Das Themenspektrum in Jahresgesprächen kann aber auch weiter gefasst sein. Es kann beispielsweise auch darum gehen, die Qualität der Zusammenarbeit zu diskutieren, Weiterbildungsbedarf zu erörtern, Karrierewünsche des Mitarbeiters zu besprechen oder anstehende Veränderungen in der Organisation vorzubereiten“, so Moser.

Auf Unternehmensziele und Herausforderungen vorbereiten

Über Karrierewünsche und Entwicklungsmöglichkeiten zu sprechen, das ist auch Teil der Jahresgespräche im Hause der Adecco Group. Das Personaldienstleistungsunternehmen führt sie im ersten Quartal jedes Jahres. Die Gespräche zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter dienen der Information und dem Austausch. Inhalte und Ablauf seien dialogorientiert, die Dauer auf ein bis zwei Stunden angesetzt. Jahresgespräche bei Adecco bestehen aus drei Teilen: Zielvereinbarung, Kompetenzbewertung und Entwicklungsplanung.
„In unseren Jahresgesprächen erfolgt nicht nur eine Rückschau, sondern auch eine individuelle Vorbereitung auf Unternehmensziele und die Herausforderungen des bevorstehenden Jahres“, sagt Philipp Schmitz-Waters, Head of Communication bei Adecco. Durch das persönliche Gespräch könne das Unternehmen jedem Mitarbeiter einzeln seine Ziele verdeutlichen. Individuelle Herausforderungen lassen sich so besser nachvollziehen. Gleiches gilt für die eigene Position im Team, Kompetenzbereiche sowie zukünftige Aufgaben. „Wenn sich die Mitarbeiter mit dem eigenen Aufgabenfeld identifizieren können, identifizieren sie sich auch mit den Unternehmenszielen“, so Schmitz-Waters. Adecco sieht Jahresgespräche nicht als Einmalveranstaltung an. Das Jahresgespräch stelle lediglich den Anstoß für einen kontinuierlichen Austausch im Verlauf des Jahres dar. Dieser beziehe dann die Inhalte und Zielsetzungen aus den Jahresgesprächen mit ein.

Trotz dynamischer Märkte fundierte Gesprächskultur erhalten

Doch in manchen Berichten heißt es, Jahresgespräche hätten ausgedient – das besagt zumindest die Umfrage „Human Resources in der digitalen Transformation“ von Metaberatung. Demnach befürworten drei Viertel der 100 befragten Führungskräfte eine neue Feedback-Kultur.
Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ für alle Arbeitgeber, zeigt aber eine Tendenz. Vor allem beschäftigten sich viele Unternehmen aktuell mit dynamischen Prozessen und agilen Strukturen. Die Bedeutung von Jahresgesprächen ändert sich in Anbetracht dessen, der jährliche Turnus scheint deutlich zu lang. Doch die Praxis zeigt: Jahresgespräche kommen nach wie vor zum Einsatz – wenn auch zunehmend ergänzt durch regelmäßige Feedbackrunden.

Adecco ist sich durchaus bewusst, dass Jahresgespräche in einem dynamischen Umfeld, in dem sich der Personaldienstleister bewegt, nur als Momentaufnahme dienen können. „Beständigkeit und Stabilität sind wichtige Pfeiler in Zeiten dynamischer Prozesse“, sagt Schmitz-Waters. Der informelle Rahmen der Gespräche biete die Basis für einen kontinuierlichen Austausch beziehungsweise für eine Reflektion. Jahresgespräche seien insofern dynamisch, indem sie der Nachverfolgung und stetigen Beschäftigung mit den Zielsetzungen dienen. Sie stellen so einen kontinuierlichen und dialogorientierten Prozess dar.

Zuhören und Wertschätzung signalisieren

Mancher Arbeitgeber versucht sich aber auch an neuen Formen des gegenseitigen Feedbacks und der Zieldefinition. „Die vielbeschworenen agilen Unternehmen scheinen vor allem den Teamgedanken in den Vordergrund zu stellen“, sagt Moser. „Wenn nicht mehr der individuelle Mitarbeiter, sondern das Team entscheidend für den Erfolg ist – sich Führungskräfte entsprechend zurücknehmen – dann spricht dies eher gegen individuelle Jahresgespräche mit einzelnen Mitarbeitern.“ Vielmehr bieten sich dann Feedbackrunden mit den Teams, eventuell sogar unter Einbezug der Kunden, an.
Moser kann sich aber nicht vorstellen, dass die individuellen Belange von Mitarbeitern unbedeutend sein sollen und dass es nicht mehr gelingt, diese zumindest grob zu identifizieren.
„Dass Feedback möglichst im Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis oder Verhalten gegeben wird, versteht sich ohnehin“, so der Wissenschaftler. Die in letzter Zeit immer mal wieder aufkommende Forderung nach mehr Feedback, kommt ihm seltsam vor. Das sollte nämlich selbstverständlich sein – neben dem Jahresgespräch. „Wenn Vorgesetzte ihre Aufgabe so verstehen, dass sie sich alles für ein Gespräch im Jahr aufheben, dann haben sie ihren Job nicht verstanden.“ Es bietet sich aber durchaus an, längerfristige Angelegenheiten mehrmals in gewissen zeitlichen Abständen zu besprechen. Doch ganz ohne Jahresgespräche – davon ist Moser überzeugt – würden einige Themen einfach in Vergessenheit geraten.

Der Leistung wieder mehr Bedeutung einhauchen

Darüber hinaus hebt er die positive Funktion eines solchen Rituals hervor: Vorgesetzte nehmen sich Zeit, hören in dem Gespräch zu, signalisieren Wertschätzung und unterstreichen die Bedeutung der Tätigkeit des Mitarbeiters. Diese Punkte gehen in der Hektik des Alltags manchmal unter. „Mitarbeiter verlieren dann komplett das Gefühl dafür, welche Bedeutung ihre Arbeit eigentlich noch hat“, sagt Moser. Natürlich müsse die Führungskraft im Einzelfall bedenken, welche Inhalte in ein Jahresgespräch gehören und welche über andere Prozesse oder Methoden abgedeckt werden können. All das, was in Jahresgesprächen stattfindet, können im Prinzip andere Führungsinstrumente abdecken. Die eventuelle Abschaffung von Jahresgesprächen sei keine Revolution, könne aus Sicht von Moser sogar vernünftig sein. Voraussetzung für ihn: Die Alternativen sind fundiert.


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