Wie finde ich als Arbeitgeber genau die Talente, die zu mir passen? Verlasse ich mich auf die Spürnase meiner Recruiter – oder gehe ich neue Wege und analysiere die Charakterzüge der Bewerber statt deren Lebensläufe? Der Unilever-Konzern hat sich für letzteren Weg entschieden. Melissa Gee Kee, Strategy Director CHRO bei Unilever, wird in den „HR-Management News“ so zitiert, dass HR den Recruitingprozess nicht nur verändert hat, sondern „das ganze alte System auseinandergenommen“ und neu zusammengesetzt hat. „Bei HR sorgen sich die Menschen oft darum, dass die KI dem Recruiting ein Stück Menschlichkeit entzieht“, so Gee Kee, „aber der Anwendungsprozess bei Unilever ist jetzt menschlicher als jemals zuvor.“
Unilever ist als Global Player einer der größten Anbieter von Konsumgütern mit Produkten, die weltweit in mehr als 190 Ländern angeboten werden. Mit ihren über 400 Marken bedient der Konzern die Nachfrage der Konsumenten im Bereich der persönlichen Pflege, Haushaltswaren, Lebensmittel und anderer Produktgruppen. Um die dynamische, sich rasch verändernde Nachfrage ihrer Kunden schnell zu bedienen, holt Unilever Talente aus der ganzen Welt in das Unternehmen. Dabei fokussiert sich das Konzern insbesondere darauf, internationale Millennials für sich zu gewinnen.
Konkret hat der Vorstand für HR das Ziel ausgegeben, dass bis zum Jahr 2020 bis zu 60 Prozent der Mitarbeiter Millennials sein sollen. Für HR bedeutet das, mit der jungen Generation zwischen 16 und 30 Jahren in Kontakt zu treten. Eine Brücke dahin kann eine innovative Technologie im Unternehmen sein, die motiviert und mobilisiert, die dynamisch ist und schnell funktioniert.
Das Recruiting vollkommen neu ausrichten
Die Organisation hat bei der Neuausrichtung des Recruitings entschieden, Lebensmittel im Einstellungsprozess nicht mehr zu berücksichtigen. Statt dessen kooperiert Unilever mit den Digital-HR-Dienstleistern Pymetrics und HireVue. Damit hat der Konsumgüterkonzern die ersten Schritte des ganzen Recruitingprozesses bereits digitalisiert. Anstatt bei internationalen Eliteuniversitäten vorstellig zu werden und nach einer ersten Vorauswahl Telefoninterviews mit Kandidaten zu vereinbaren, lässt Unilever Bewerber ein KI-Screening durchlaufen. An deren Ende erhalten die Kandidaten eine Antwort, ob sie einen Job bekommen oder nicht. Der amerikanische HR-Softwareanbieter Pymetrics testet die persönlichen Qualitäten eines Kandidaten vor allem danach, ob eine Person in ein Team passt.
Die Praxis in den allermeisten Unternehmen sieht noch anders aus. Dort wird die Entscheidung gegen einen Bewerber in 75 bis 90 Prozent der Fälle auf der Basis von Lebensläufen gefällt. Tatsächlich erweisen sich aber nur wenige Entscheidungen für einen Kandidaten allein auf der Basis von Berufserfahrungen oder einem Lebenslauf für die spätere Zusammenarbeit wirklich erfolgreich.
Genau nach diesen Prinzipien wählt Unilever junge Talente aus. HR interessiert sich weniger für die berufliche Laufbahn der Bewerber, sondern für das Potenzial, das sie mitbringen und das bislang noch kaum genutzt wird. Der unvoreingenommene Blick der KI soll helfen, den innersten Kern eines Kandidaten zu erkennen sowie seine Motivation und seine Teamfähigkeit herauszulesen. Als Zwischenergebnis kann Unilever vermelden, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz dazu beiträgt, dass die Teams in den verschiedenen Bereichen deutlich diverser sind. Vorurteile und Befangenheiten in Bezug auf die Ethnie oder das Geschlecht eines Kandidaten lassen sich so in deutlich höherem Maße als bislang eliminieren.
Neuer Ansatz beim Recruiting strahlt direkt auf die Marke aus
Dieser komplett neue Ansatz beim Recruiting ist bei Unilever im „Future Leaders Programme“ zusammengefasst, einem selektiven Programm für junge Hochschulabsolventen. Der Konzern führt es auch deshalb durch, weil er auf die Marke ausstrahlt, die die Konsumenten wahrnehmen. Bewerber sind für den Konzern nicht nur potentielle Mitarbeiter von morgen, sondern auch Konsumenten der eigenen Markenartikel.
Bei 250.000 Bewerbern für 800 Einstiegsplätze im „Future Leaders Programme“ wird die überwiegende Mehrheit der Bewerber zwangsläufig abgelehnt. Aber die abgelehnten Talente sollen ihre Absage so erhalten, dass sie Unilever-Konsumenten bleiben. Deshalb wollen Melissa Gee Kee und ihre Kollegen von HR sicherstellen, dass auch abgelehnte Bewerber am Ende eine positive Erfahrung aus dem Kontakt mit dem Unternehmen mitnehmen. In den externen Talentpool kommen gute abgelehnte Bewerber und haben damit Chancen, zu einem späteren Zeitpunkt und an anderer Stelle doch noch in den Konzern einzusteigen.
Damit die Bindung abgelehnter Talente an Unilever gelingt, nutzt HR weitere Lösungen, um den Kandidaten eine motivierende, digitale Erfahrung zu schaffen. Dafür setzt Unilever die Software HireVue ein. Mit dieser Lösung können Bewerber mobilfunkbasierte Videointerviews aufzeichnen. Nach Angaben von Unilever gelingt es mit der HireVue-Assessments-Lösung, über künstliche Intelligenz bis zu 80 Prozent eines Kandidatenpools zu filtern. Dabei nutzt das Programm Datenpunkte, etwa für die Mimik, die Körpersprache und andere Schlüsselpunkte. Als Resultat erhält Unilever einen Überblick über die Kandidaten, die alle Wahrscheinlichkeit nach besonders erfolgreich für Unilever arbeiten werden.
Überwiegend positives Feedback der Teilnehmer
In jeder Stufe des Assessmentprozesses erhält ein Bewerber Feedback, und das unabhängig davon, ob er für eine vakante Stelle genommen wird oder nicht. Unilever setzt die HireVue-Software in mehr als 53 Ländern ein. Über 80 Prozent der Kandidaten haben ein positives Feedback zum Software-Tool gegeben. Durch den Einsatz des KI-unterstützten HR-Programms ist der gesamte Prozess für die Kandidaten deutlich schneller und qualitativ besser geworden. Zugleich verzeichnet Unilever aufgrund der effizienteren Administration binnen eines Jahres hohe Einsparungen. Auch die zeitliche Dauer des Recruitingprozesses ging um 75 Prozent zurück.
Die Recruiting- und HR-Strategie von Unilever ist aus der Konzernstrategie abgeleitet. Trotz oft sperriger Konzernstrukturen hat sich die Organisation schneller, agiler und mit einer einfacheren Struktur aufgestellt. Das Unternehmen unterstützt die Mitarbeiter dabei, neue Fachkompetenzen und neue Arbeitsformen sowie neue Führungskompetenzen zu erlernen. Auch dieser Teil der HR-Strategie zahlt auf den Erfolg im Recruiting ein, denn eine Mitarbeiterschaft, die agiles Arbeiten und moderne Führung beherrscht, spricht jüngere Talente eher an.